»Niebel denkt nur an die Märkte von heute«

GTZ-Gutachter Theo Rauch über die ersten 20 Monate nach der Fusion in der deutschen Entwicklungspolitik

  • Lesedauer: 5 Min.
Theo Rauch ist Professor für Geographie an der Freien Universität Berlin mit Schwerpunkt Entwicklungspolitik. Er arbeitete für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) als Gutachter und Auslandsmitarbeiter in Afrika und Asien. Über die Bilanz der zum Januar 2011 vollzogenen Fusion in der Entwicklungspolitik durch Minister Dirk Niebel sprach mit ihm für »nd« Martin Ling.

nd: Seit dem 1. 1. 2011 ist die Fusion von Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), Deutschem Entwicklungsdienst (DED) und Internationaler Weiterbildung und Entwicklung (InWEnt) juristisch vollzogen. Ist daraus nach fast 20 Monaten eine homogene Organisation Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) geworden oder existieren die drei alten unter einem großen Dach munter nebeneinander her?
Rauch: Von einem munteren Nebeneinander der drei alten Organisationen unter einem neuen Dach kann wohl keine Rede sein. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) hat bei der Fusion durchaus Nägel mit Köpfen gemacht: Es gilt nun ein einheitliches Management - und zwar das der vormaligen GTZ. Ob der Einsatz von »Entwicklungshelfern« des Ex-DED oder der Bereich der Weiterbildung von Ex-InWEnt: Beide unterliegen nun ebenfalls dem - zwischen BMZ und GTZ seit je üblichen - Auftragsverfahren. Dieses zwingt dazu, alle eingesetzten Ressourcen, also zum Beispiel auch eine Entwicklungshelferin, strikt orientiert an vertraglich vereinbarte Ziele einzusetzen, erlaubt also weniger »Kür«.

Mehr Einheitlichkeit klingt nicht per se schlecht ...
Nicht per se, aber hier werden DED und InWEnt letztlich der Logik der GTZ unterworfen. Unter eingegliederten DED- und InWEnt-MitarbeiterInnen ist deshalb oft von einer »feindlichen Übernahme« die Rede, zu vergleichen mit der »Eingemeindung« der DDR bei der Wiedervereinigung.

Fusion bedeutet auch, dass unterschiedliche Unternehmenskulturen integriert werden müssen. Ist das gelungen?
Nein. Die Chance, zu einer gemeinsamen Unternehmenskultur zu gelangen, wurde von der GIZ-Führung unter Bernd Eisenblätter (vormals GTZ-Chef) verspielt, indem sich die GIZ von einer Werteorientierung abwandte und sich in ihren neuen Leitlinien allein am betriebswirtschaftlichen Ziel des Weltmarktführers orientierte. Da bleibt wenig Raum für eine Entwicklungshelfer-Kultur, die karikierend als »Gutmenschentum« denunziert wurde. Da ist es auch nicht mehr angesagt, bei Projektanträgen noch die entwicklungspolitische Sinnfrage zu stellen. Eine Unternehmenskultur, die einerseits von Effizienz und Professionalität geprägt ist und andererseits von Orientierung an Werten wie Nachhaltigkeit, Armutsminderung und Partizipation ist nicht in Sicht.

Der erste Vorstandsvorsitzende der GIZ, Bernd Eisenblätter, der am 1. Juli in den Ruhestand ging und der CDU-Politikerin Tanja Gönner Platz machte, vertrat Ende Juni bei der Vorstellung der Bilanz 2011 die Auffassung, dass es gelungen sei, Doppelstrukturen abzubauen und aus drei Unternehmen ein effizientes zu schmieden. Teilen Sie diese Einschätzung?
Dass Doppelstrukturen abgebaut wurden, ist nicht zu leugnen. Diesen Einsparungen steht aber gegenüber, dass die Kosten der Entwicklungshelfer nun mit den wesentlich höheren Verwaltungsgemeinkosten der Ex-GTZ belastet werden. Entwicklungshelfer werden nun also teurer, benötigen zusätzliche Budgetmittel. Damit verbindet sich die Frage, ob die Partnerländer im Rahmen von Regierungsverhandlungen zukünftig noch bereit sein werden, »Entwicklungshelfer« zu diesem Preis zu akzeptieren. Da wird so mancher Regierungsvertreter eine Umwidmung der Mittel zugunsten des Einsatzes lokaler Fachkräfte fordern. Was ja entwicklungspolitisch nicht immer schlecht sein muss. Was aber problematisch ist, wenn man davon ausgeht, dass gute, kontextgerechte Entwicklungszusammenarbeit auch auf basisnaher Fachlichkeit, auf Bodenhaftung von externen BeraterInnen beruht.

Die GIZ setzt verstärkt auf die Kooperation mit der Privatwirtschaft. Mit der Allianz Re hat die GIZ für Kleinbauern in Asien Policen gegen Ernteausfälle entwickelt, mit der BASF arbeitet die GIZ bei der Anreicherung von Nahrungsmitteln mit dem Vitamin A zusammen, mit TUI bei der Qualifizierung von Frauen im Tourismus. Wie bewerten Sie diese Beispiele?
Ich bezweifle nicht, dass es gute Beispiele für eine sinnvolle Kooperation mit der Privatwirtschaft gibt. Es gibt entwicklungspolitisch wichtige Aufgaben, die eine Privatfirma effizienter, zuverlässiger oder billiger machen kann als eine Behörde. Hierzu gehören vor allem die Bereitstellung eines Zugangs zu Dienstleistungen wie in den genannten Beispielen und von Absatzmärkten für Kleinproduzenten. Auch im Bereich der betrieblichen HIV-AIDS Prävention und Behandlung gibt es gute Beispiele. Die Konstellationen, wo ein Engagement für Privatunternehmen interessant ist, dieses Unternehmen gleichzeitig die erforderlich lokale Kompetenz mitbringt und das gemeinsame Unterfangen auch entwicklungspolitisch erstrebenswert ist, sind aber nicht allzu häufig vorzufinden. Wenn dann aber politischer Druck aus Deutschland kommt, den Anteil der Partnerschaften mit der Privatwirtschaft auf »Teufel komm raus« zu erhöhen, dann kommt es zu reiner Symbolpolitik, das heißt Partnerschaften um ihrer selbst willen.

Eisenblätter bezeichnete die »alte Form der Entwicklungshilfe« als »Auslaufmodell« und hält es für legitim, dass Deutschland seine Interessen deutlicher betont. Wie sehen Sie diese Tendenz?
Eisenblätter und Niebel bauen hier einen ärgerlichen Popanz für alle Menschen auf, die sich in den letzten Jahrzehnten mit Entwicklungspolitik befasst haben. Die beschworene »alte Form der Entwicklungshilfe« gibt es schon seit Jahrzehnten nur noch in Nischen. Selbsthilfeorientierte Partnerschaft steht seit den späten 80er Jahren im Vordergrund. Mindestens genauso lange versuchte man es mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Das war aufgrund der Weltmarktbedingungen und bürokratischer Hemmnisse freilich oft nicht von Erfolg gekrönt. Wer aber behauptet, wirtschaftliche Zusammenarbeit sei was Neues und folglich die damit bereits gemachten Erfahrungen ignoriert, statt daraus zu lernen, der wird die alten Fehler wiederholen. Ähnliches gilt für die propagierte Orientierung an deutschen Interessen. Die gab es schon immer, mal ehrlicher zugegeben, mal schamhaft verdeckt. Mit einem Unterschied: Unter Ministerin Heidemarie Wiezcorek-Zeul (SPD) stellte man das »aufgeklärte langfristige Eigeninteresse« Europas in den Vordergrund: das heißt ein friedens-, umwelt-, migrations- und auch handelspolitisches Interesse der reichen Länder an einer nachhaltigen und armutsmindernden Entwicklung in den armen Ländern. Damals hieß es Entwicklung schaffe die Märkte von morgen. Niebel denkt nur an die Märkte von heute.

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