Wenn im Wahlkreisbüro die Angst umgeht
Schmiererei, Drohung, Brandanschlag: 2010 und 2011 zählte die Linkspartei über 140 Angriffe auf Büros und Politiker
Sie kamen in der Nacht, und sie kamen gleich zwei Mal hintereinander: Ende Juli griffen Unbekannte das Büro des Schweriner Landtagsabgeordneten Thorsten Koplin in Neustrelitz an. Erst flog ein Ziegelstein durch die Scheibe. Und kaum hatten die Mitarbeiter des LINKEN-Politikers die Fenster notdürftig gesichert, folgte ein paar Tage später die nächste Attacke, diesmal mit einem Feldstein.
Vorfälle wie dieser sind Alltag: Ob in Niedersachsen, Thüringen oder Berlin - immer wieder werden Büros von Parteien Ziel von Angriffen. Mal gehen bei der CDU die Scheiben zu Bruch, mal werden, wie unlängst in Berlin, Briefkästen am Privathaus eines LINKE-Politikers in die Luft gesprengt.
Dass dabei bislang noch niemand ernsthaft zu Schaden gekommen ist, grenzt an ein Wunder. Spuren hinterlassen die Attacken dennoch - finanziell, persönlich, politisch. Die Empörung ist deshalb parteiübergreifend.
Nachdem Koplins Büro wiederholt attackiert wurde, forderte der Chef der SPD-Landtagsfraktion, Norbert Nieszery, »konsequente Einigkeit unter den Demokraten« im Kampf gegen Rechts. Auf das Wahlkreisbüro des Sozialdemokraten hatte es ein paar Monate zuvor ebenfalls eine Attacke gegeben. Auch CDU und Grüne sprachen von einem Anschlag auf die Demokratie. Und der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Schweriner Landtag, Peter Ritter, nannte es »unerträglich«, dass Angriffe auf Abgeordnetenbüros »fast zur Normalität gehörten«.
Die vorliegenden Zahlen sprechen für sich (siehe Kasten). Zwar bekunden Landesministerien mitunter, dass Vergleiche zwischen den Ländern wegen teils fehlender Statistiken nicht möglich seien. Experten verweisen zudem auf methodische Probleme bei der Auflistung von politisch motivierten Straftaten. Und da viele der Attacken so genannte Spontanstraftaten sind und gar nicht aufgeklärt werden, bleibt auch weitgehend im Dunkeln, welche Motive und welcher Grad an Organisiertheit bei den Angriffen eine Rolle spielen. Dass ein Gros der Anschläge Rechtsextreme verüben, wird kaum bestritten. Dass auch aus der linken Szene heraus Parteibüros attackiert werden, allerdings ebenso wenig.
Es sind bundesweit vor allem Büros und Mitglieder von Linkspartei und SPD, die von Angriffen betroffen sind. Eine interne Übersicht der Linksfraktion im Bundestag listet allein für 2010 und 2011 über 140 Attacken auf Einrichtungen und gegen Politiker der Partei auf - von der Schmierei über den Brandanschlag bis zum Stein, der durch die Büroscheibe sechs Meter durch den Raum fliegt und dann noch eine Tür beschädigt.
So wie in Neustrelitz. Dort ist bei den Mitarbeitern des Abgeordneten Koplin nach der Doppelattacke vom Juli nicht nur ein »ungutes Gefühl« geblieben. Staatsschutz und LKA haben jetzt zwar eine Videoüberwachung des LINKE-Büros veranlasst. Doch wirklich Sicherheit wird dadurch kaum erreicht. Wenn der Herbst kommt und die Tage früher dunkel werden, sagt eine Mitarbeiterin, schmeißen sie womöglich den nächste Stein während der Geschäftszeiten durchs Fensterglas.
Zum Thema erschien außerdem:
Einschüchterung ist eine rechte Strategie
Kombi-Abo. Mobil, kritisch und mit Links informiert: neues deutschland als e-Paper - und am Wochenende im Briefkasten!
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.