Schleswig-Holstein beweist Reife
Sinti und Roma sollen Status einer nationalen Minderheit erhalten
Schnack: Die Eile ist dem ausdrücklichen Wunsch der neuen Landesregierung geschuldet, endlich eine Gerechtigkeitslücke zu schließen. Es darf keine Minderheiten erster und zweiter Klasse geben, und während Friesen und Dänen den Status seit langem genießen, steht dieser für Sinti und Roma noch aus. Anders als bei den fünf bisherigen Versuchen scheint eine qualifizierte Mehrheit im Landtag jetzt allerdings einer Änderung der Landesverfassung zustimmen zu wollen.
Seit 1998 ist den Sinti
und Roma der Minderheitenstatus auf Bundesebene zuerkannt, damals trat
das Rahmenabkommen zum Schutz nationaler Minderheiten in Deutschland in
Kraft. Wozu braucht es eine extra Regelung in Schleswig-Holstein?
Dieses
Rahmenabkommen hat eine wichtige gesetzgeberische Grundlage geschaffen.
Doch Schutz und Förderung werden unterhalb dieser Ebene formuliert und
im Land und den Kommunen umgesetzt. Je dichter man dem Alltag der
Menschen kommt, umso konkreter wird der Handlungsbedarf. Schutz und
Förderung wurden den Sinti und Roma bei uns im Lande auch bisher zuteil,
doch bisher war dies Ergebnis eines politischen Willens. Einen Anspruch
gab es nicht, den werden sie erst haben, wenn dieser auch in der
Landesverfassung verankert ist. Ich betrachte das Bekenntnis auch als
Zeichen der Reife, der inneren Verfasstheit unseres Landes.
Inwiefern?
Die
Identität des Landes Schleswig-Holstein hängt auch mit ihrer Existenz
zusammen. Sinti und Roma sind eine autochthone Bevölkerungsgruppe.
Das heißt, eine, deren Wurzeln hier liegen und die nicht als zugewandert gilt.
Autochthonie
ist das Kriterium, nach der die Entscheidung gefällt werden muss, ob es
sich bei einer Bevölkerungsgruppe um eine nationale Minderheit handelt
oder um eine ethnische oder andere Gruppierung. In Schleswig-Holstein
sind Sinti und Roma spätestens seit 1417 ansässig, dafür gibt es den
urkundlichen Nachweis.
Die CDU wendet ein, dass Sinti und Roma keine landesspezifische Minderheit sind, sondern bundesweit verteilt sind.
Wenn
damit der Status der autochthonen Minderheit in Frage gestellt wird,
ist dies ein verletzendes Argument. Damit wird das Klischee des Fremden
bedient. Und es ist falsch. Zum Teil können Sinti und Roma ihre
Vorfahren in Schleswig-Holstein weiter zurückverfolgen als Menschen, die
von sich ganz selbstverständlich behaupten, dass sie Alteingesessene
sind.
Müssten dann nicht auch andere Bundesländer einen dringenden Handlungsbedarf sehen?
Für
unser Bundesland ist diese Frage von besonderem Interesse, weil es hier
gleich drei alteingesessene Minderheiten gibt und die Sinti und Roma
den anderen gegenüber bisher benachteiligt sind.
Wird die Verfassungsänderung diesmal gelingen?
Neben
den drei Koalitionsparteien haben auch FDP und Piraten Zustimmung
signalisiert, das müsste für eine qualifizierte Mehrheit reichen. Ich
bin überzeugt, dass auch CDU-Abgeordnete zustimmen würden. Dafür müsste
allerdings die CDU die Größe haben, ihren Abgeordneten die Abstimmung
frei zu stellen. Offiziell heißt es, es gebe noch Beratungsbedarf.
Was ändert sich für Sinti und Roma mit einer Verfassungsänderung konkret?
Für
den Alltag ergibt ein solch hochrangiges politisches Signal auf den
ersten Blick nicht viel Veränderung, die bisherigen Zuwendungen des
Landes und der Kommunen bleiben, allerdings gibt es nun den Anspruch auf
diese, unabhängig etwa von Regierungswechseln. Es wird ein beratendes
Gremium für die Belange der Sinti und Roma geben. Den Vorsitz übernimmt
der amtierende Landtagspräsident, das ist der frühere Innenminister von
Schleswig-Holstein Klaus Schlie,
Von der CDU ...
Er hat sich gründlich mit der Materie beschäftigt, er wird ein exzellenter Vorsitzender sein.
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