Glanz und Elend an den Gleisen
Seit der Bahnreform hat der Staatskonzern DB den Bahnhof als reine Geldquelle entdeckt
Von Erich Preuß
Wer auf dem Hauptbahnhof von Mannheim ankommt, findet sich, im Bahnsteigtunnel im Gegenstrom der zu den Zügen Eilenden, plötzlich im hell erleuchteten Ambiente eines Entrees wieder. Dieses empfängt mit einer Saftbar, einer »Nordsee«-Theke und Läden voller Kinkerlitzchen. Das ist das Kellergeschoss, die Etage darüber lockt mit Coffee-Shops, Bulettenbratereien und Backwarenläden, wie man sie aus jedem Supermarkt kennt. Dass hier ein Bahnhof ist, verraten nur ein Reisezentrum mit vier Schaltern, ein »Service-Point« und die große Abfahrtstafel mit angenehmen und unangenehmen Wahrheiten zum Zugverkehr.
Was der renovierte Mannheimer Hauptbahnhof seinen Gästen an Annehmlichkeiten bietet, wiederholt sich fast auf jedem Großstadt-Bahnhof. Die kleineren Bahnhöfe müssen sich mit Backwarengeschäft und Zeitungsladen zufriedengeben, in dem auch Zigaretten und Bockwürste verkauft werden. Regionale Anbieter oder eine gemütliche Bahnhofsgaststätte sucht man vergeblich. Die passen nicht zum Kommerz, der jeden Quadratmeter gegen hohe Pacht nutzt.
Präzedenzfall Düsseldorf Hauptbahnhof
Der Hauptbahnhof in Düsseldorf war das erste Beispiel für die extensive Vermarktung von Bahnhofsflächen. Er wird höhnisch als »Kaufhalle mit Gleisanschluss« beschrieben. Diesem Beispiel folgten seinerzeit noch bei der Deutschen Bundesbahn München, Frankfurt am Main sowie Hamburg Hauptbahnhof mit seiner legendären Wandelhalle, wo Zugfahren unwichtiger ist als das Genießen und Kaufen.
Mit der Gründung der Deutschen Bahn AG im Jahr 1994 sollte sich vieles ändern. Der Personenbahnhof, so erklärte es Martin Lepper, Vorsitzender des Geschäftsbereichs Personenbahnhöfe, »formt als Ausgangs- und Endpunkt jeder Bahnreise das Image der Bahn und entscheidet darüber, ob der Kunde zu uns kommt«. Diese Ansicht wurde allerdings durch das Ziel konterkariert, dass der Geschäftsbereich rentabel, sogar gewinnbringend sein sollte. Deshalb hob sogleich das Jammern an. Es gebe über 6500 Personenbahnhöfe, die ihrer Modernisierung harren. Die Sanierung »nach heutigen Gesichtspunkten« koste 25 bis 30 Milliarden Mark. Das hörte sich so an, als stehe alles kurz vor dem Zusammenbruch.
Jetzt gelte es, sprach der Immobilienfachmann Lepper, die im Durchschnitt rund 83 Jahre alten Gebäude den heutigen Bedürfnissen der Kunden anzupassen. 2010 wurden 511 Millionen Euro, 2011 etwa 550 Millionen Euro in die Bahnhöfe investiert. Dabei ist die Deutsche Bahn chronisch unterfinanziert - die Bundesregierung fühlt sich seit der sogenannten Bahnreform 1994 nur noch bedingt für die Belange der DB zuständig.
Daher müssen die Bahnhöfe zu Geld gemacht werden, und zwar mit Hilfe der Kunden, weniger der Reisenden! Kunden sind vor allem die Besucher aus der Stadt, die Geld ausgeben möchten. An sie war gedacht worden, als 1996 in Leipzig das Pilotprojekt für den Umbau von Bahnhofsgebäuden umgesetzt wurde. Der Hauptbahnhof als Umsteigepunkt in der Stadtmitte war für das Shopping besonders geeignet. Auf einer Fläche der Größe von mehr als vier Fußballfeldern wurden 100 Einzelhandelsgeschäfte, ein Lebensmittelmarkt, Gastronomiebetriebe, ja, auch ein Reisezentrum gebaut. Der Bahnhof war nun weniger tot.
Kioskpächter muss 1000 Euro berappen
Die vom damaligen Bahnchef Heinz Dürr verkündete »Renaissance der Bahnhöfe« hatte zum Ziel, mit den Bahnhofsgebäuden klingende Münze zu machen. Und das nicht zu knapp. Der Pächter eines einfachen Kiosks muss beispielsweise jährlich 100 000 Euro bezahlen. Welcher örtliche Händler kann sich das leisten? Da können nur die bekannten Handelsketten mithalten. Der Umsatz in den Bahnhofsgebäuden mir ihren täglich rund fünf Millionen Besucher sollte nicht unterschätzt werden. Beispiel Köln Hauptbahnhof: Täglich durchschreiten zwischen 6 und 24 Uhr rund 280 000 Menschen die Bahnhofshalle, die vor allem von den »System-Gastronomen« beherrscht wird.
In den insgesamt 120 Le-Crobag-Filialen in Bahnhöfen werden jährlich zwei Millionen Croissants gekauft und rund 69 Millionen Euro umgesetzt. Das Hamburger Unternehmen benötigt keine Werbung, der Geruch der Croissants in den Bahnhofshallen genügt schon. Das britische Unternehmen Select Service Partners (SSP), das inzwischen einem schwedischen Investor gehört und zu dem auch die Segafredo-Standorte, Point-Supermärkte und Gosch-Restaurants gehören, betreibt allein auf dem Kölner Hauptbahnhof fünf Wurstbuden auf den Bahnsteigen.
2011 stieg der Umsatz im Geschäftsbereich Personenbahnhöfe um 33 Millionen Euro an, der Gewinn vor Steuern um 9 Millionen Euro, gleich 4 Prozent. Nicht viel im Verhältnis zu den Zahlen im Bahnkonzern, aber immerhin kein Verlust. Die Einnahmen setzen sich zusammen aus den Stationsgebühren, die für haltende Züge zu entrichten sind, sowie aus Mieten und Pacht. Daraus folgt die simple Regel: Je höher die Mieten und die Pacht sind und je mehr derartige Einnahmequellen zur Verfügung stehen, desto besser ist das Geschäftsergebnis.
Die Bahn verkaufte 1700 Empfangsgebäude
Bahnhofsgebäude, aus denen sich mangels Besucher, wegen der geringen Größe des Ortes und der niedrigen Zahl an Fernzügen kein Shopping-Center machen lassen, werden bescheidener mit Backwaren-Shop oder Service-Store eingerichtet - oder einfach abgestoßen. Seit dem Jahr 1994 verkaufte die Bahn rund 1700 Empfangsgebäude, 700 sollen folgen. Damit ist der Ausverkauf aber nicht beendet; die Deutsche Bahn hat immer noch unzählige Immobilien im Angebot.
Einige der Objekte wurden zu Wohnhäusern, Heimatmuseen, Verkehrsbüros, auch zu Rathäusern, Sozialeinrichtungen oder Tanzschulen. Doch die Masse der Gebäude ist schwer verkäuflich, zu hoch ist inzwischen der Instandhaltungsaufwand. Die Kommunen haben kein Geld dafür. Kleine Häuser finden noch schnell ihre Interessenten. Die großen Gebäude allerdings, die einst mehrere Diensträume, eine Bahnhofswirtschaft und vor allem preisgünstige Wohnungen für Eisenbahner enthielten, sind nur schwer verkäuflich.
Sie verfallen weiter. Zwischen Zittau und Bischofswerda hatten einst die Königlich Sächsischen Staatseisenbahnen Gebäude errichtet, deren Größe dem Verkehrsvolumen und der Belegschaftsstärke entsprachen. Heute fahren hier nur noch Triebwagen nach Taktfahrplan; der einst lebhafte Güterverkehr wurde abgeschafft. Die Bahnhofsgebäude stehen der Öffentlichkeit nicht mehr zur Verfügung. Mit Ausnahme von Bischofswerda, wo das Bahnhofsgebäude um ein Drittel verkürzt wurde, ehe das Verkehrsbüro einzog, braucht niemand mehr die Häuser am Gleis. Die Städte und Gemeinden haben auch kein Geld für sie. In Sachsen bevorzugt man den Abriss, baut einen Busbahnhof neben das Gleis. Dem Reisenden bleiben eine im Verhältnis zu den Fahrpreisen ganz unangemessene Bahnhofslandschaft und ein Stehplatz im Freien. Zurück bleibt eine gesichtslose Anlage.
Nicht mehr als eine Wartehalle plus Aufzug
Auf den meisten Bahnhöfen und Haltepunkten dieser Art findet der Reisende, abgesehen von einer kleinen Wartehalle auf dem Bahnsteig und dem aus Mitteln eines Konjunkturprogramms finanzierten Aufzug, nichts, was der Rede wert ist, nicht einmal eine Toilette.
Der Niedergang der einstigen, auch mit Steuergeld gebauten und in jeder Ortschronik gewürdigten Bauwerke lässt sich an vielen Stellen betrachten. Ihr Zustand ist einer Werbung für das Bahnfahren regelrecht abträglich. Es mag Bahnfahrer geben, die nur die Glitzerwelt kennen. Aber ebenso viele kennen ihre Bahn von dieser weniger blendenden Seite.
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