6,25 Euro für ein Pflege-Paket?

Der Streit über die Vergütung von Pflegeleistungen im Nordosten ist einer Lösung näher gekommen

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Die AOK Nordost, zuständig für die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin, sollte heute eigentlich Besuch von Pflege-Beschäftigten bekommen. Nach einer Grundsatzeinigung vom Wochenende über die Vergütung von Pflegeleistungen ambulanter Dienste könnte die Aktion aber ausbleiben.

Mehrere Tausend Beschäftigte von ambulanten Pflegediensten aus drei Bundesländern wollten sich heute vor der AOK Nordost in Berlin-Kreuzberg versammeln, um gegen Absenkungen ihrer Vergütungen in Mecklenburg-Vorpommern zu protestieren. Im Anschluss wollten die Pflegefachkräfte bis zum Bundesgesundheitsministerium ziehen und dort 46 000 Unterschriften gegen das Vorgehen der großen gesetzlichen Krankenkasse übergeben.

In der Nacht zu Sonnabend erreichten die Vertreter der Pflegeanbieter und die beteiligten Krankenkassen in Mecklenburg-Vorpommern nun aber eine Vereinbarung über das künftige Vorgehen zur Umsetzung eines Schiedsspruches in der Sache. Mehrere Mediationsgespräche unter Leitung der ehemaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) führten zu dem Ergebnis. Ein gutes Signal für die häusliche Pflege in dem nördlichen Bundesland, erklärte Nicolaus Voss, Staatssekretär im Schweriner Sozialministerium, am Sonntag dazu. Man könne sogar von einem »Zukunftspaket Pflege« sprechen, so Voss: »Denn darin ist gesichert, dass die Pflegekräfte auch künftig eine Bezahlung erhalten, die dieser wichtigen und schweren Arbeit angemessen ist.« Von Seiten der Wohlfahrtsverbände hieß es, dass die Einigung auf ein Eckpunktepapier zwar noch der Detailabstimmung bedürfe, aber »nach menschlichem Ermessen« nicht mehr scheitern werde.

Die Veranstalter der heutigen Demonstration, darunter Arbeiterwohlfahrt, Caritas und DRK, wollten über eine eventuelle Absage ihrer Proteste jedoch erst am Vormittag entscheiden. Aus ihrer Sicht betrifft die der AOK Nordost vorgeworfene Blockadepolitik in den Vergütungsverhandlungen auch die Länder Brandenburg und Berlin. Die Vergütung der Pflegeleistungen ist in vielen Bundesländern seit Jahren strittig. In Mecklenburg-Vorpommern eskalierte der Streit, seit ein Schiedsspruch in diesem Jahr zu einer Absenkung der Sätze für die häusliche Krankenpflege um bis zu 18 Prozent geführt hatte. Diese Festlegungen sollen zunächst bis Ende kommenden Jahres gelten, wogegen sich insbesondere der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) starkmachte. Auch der Deutsche Berufsverband für Pflegefachkräfte unterstützt die Proteste bisher schon bei vielen Aktionen und politischen Gesprächen bis auf Ministerebene.

Der bpa argumentierte unter anderem damit, dass bestimmte Leistungen der ambulanten Pflege seit dem 1. August in Mecklenburg-Vorpommern deutlich schlechter vergütet werden als anderswo. So würden seitens der AOK und einiger anderer Kassen hier für ein Paket aus Medikamentenabgabe, Insulinspritze und Blutdruckmessung einschließlich des Weges nur noch maximal 6,25 Euro gezahlt In Hamburg erhielten die Pflegedienste hierfür mindestens 14,56 Euro, in Schleswig-Holstein immerhin noch 9,46 Euro. Seitens der Veranstalter der heutigen Demonstration wird vermutet, dass die AOK nach ihrem Zusammenschluss in den drei nordöstlichen Bundesländern versucht, hier eine Monopolstellung zu gewinnen, um stärkeren Preisdruck auf die Pflegedienste ausüben zu können. Aus ihrer Sicht gefährdet die AOK Nordost die Versorgung von Tausenden Kranken und nimmt eine schlechtere Pflegequalität in Kauf. Eine Absenkung der Vergütungen verstärke zudem den schon vorhandenen Mangel an Pflegefachkräften. Insgesamt betreuen in den drei Bundesländern 1500 gemeinnützige und private Pflegedienste 72 200 Bedürftige.

Das Problem werde dadurch verschärft, dass Beschäftigte auf Mitarbeiterparkplätzen in Westmecklenburg von Unternehmen aus Schleswig-Holstein oder Hamburg gezielt angesprochen und abgeworben würden, wie der mecklenburgische LINKEN-Politiker Helmut Holter im Sommer bei einer Rundreise zum Thema Pflege feststellen musste. Möglich sei das nur angesichts von Lohnunterschieden von 400 bis 600 Euro zwischen den Bundesländern, erklärte Holter und bekräftigte die Forderung nach einem einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn von zehn Euro.

Schon seit Jahren stagnieren in den drei nordöstlichen Ländern die Vergütungen - in Berlin seit 2007 - oder es sind gerichtliche Verfahren gegen Schiedssprüche anhängig. Verhandlungen scheitern an den grundsätzlichen Absenkungsforderungen der AOK, so die Veranstalter der heutigen Proteste. Die AOK Nordost hingegen sieht die Problematik völlig anders. Die Vergütungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern seien zwar verändert worden, aber vor allem, weil neue Rahmenbedingungen wie ambulante Wohnformen berücksichtigt wurden. Bei einzelnen Leistungen gebe es auch höhere Vergütungen, zum Beispiel für das Anlegen von Wundverbänden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.