Einsames Erwachen
Das Verschwinden des »Tacheles« ist trotz berechtigter Kritik am Kunsthaus eine Zäsur
»Wir weichen der Gewalt«, lautete das etwas pathetische Schlusswort einer Sprecherin im Kapitel Kunsthaus »Tacheles«. Und so ging gestern mit friedlicher Räumung und freiwilliger Schlüsselübergabe an den Gerichtsvollzieher unspektakulär zu Ende, was vor 22 Jahren spektakulär aus dem Chaos geboren wurde. Rätselhaft aber bleibt, dass zu konkreter Unterstützung des legendären Szene-Kristallisationspunktes sich weder die Politik, noch die Hausbesetzer, noch die Berliner Kulturszene aufraffen konnten, obwohl das zunehmend zerstrittene Kunstkollektiv eigentlich zahllosen Berlinern irgendwie sympathisch war. Viele konnten sich wohl bis zuletzt einfach nicht vorstellen, dass dieses weltberühmte Haus den kleinlichen Interessen einer vom Steuerzahler geretteten Bank geopfert werden könnte. Schließlich symbolisierte das »Tacheles« bei allem künstlerischen Bedeutungsverlust immer noch wie kein anderes Projekt die einzigartige Nachwende-Off-Kultur-Explosion Berlins.
Für viele war das Kunsthaus aber wohl eher wie der alte Schmöker, den niemand mehr lesen will, den aber jeder gerne im Regal stehen hat - und sei es nur weil er gut aussieht und die Freundinnen beeindrucken soll.
Denn besucht hat die Kaufhausruine an der Oranienburger Straße in Mitte außer Laufkundschaft und Touristen schon seit zehn Jahren kaum jemand mehr. Die künstlerischen Impulse blieben aus, die Tische im Café Zapata wollte man sich als cooler Berliner nur ungerne mit Shopping-Junkies bei ihrer Latte-macchiato-Pause teilen. Außerdem war man schließlich »schon weiter«, und durch den »Tacheles«-Besuch hätte ja eine geradezu peinliche konservativ/nostalgische Haltung offenbar werden können. Ganz so, als wüsste man nicht, wo heutzutage tatsächlich die Musik spielt.
Dennoch war der schon allein optisch noch immer eindrucksvolle Komplex aus Backsteinruine und aktionskunstgeladener Freifläche ein Ankerpunkt der Berliner Coolness. Ist sie nicht großartig, diese Stadt, die sich auf bestem Baugrund eine solch verruchte, am Ende auch stinkende Nische leistet? Eine Stadt, die es entgegen kurzsichtiger Profitmöglichkeiten zulässt, dass ein verlotterter Kunstbetrieb dem Brandenburger Tor an internationalem Ruhm den Rang abläuft? Neben der Möglichkeit, an diesem Ort noch durchaus vorhandene Reste eines wilden Geistes vergangener Zeiten zu spüren: Es waren diese Fragen, die die meisten Berliner, auch wenn ihnen die dort produzierte Kunst herzlich egal war, nach wie vor für das »Tacheles« einnehmen konnten - bis gestern. Nun ist es weg. Und nicht wenige werden eine merkwürdige Trauer verspüren - als sei der schrullige aber irgendwie spannende Onkel plötzlich tot, auch wenn man ihn seit Jahren nicht mehr besucht hat.
Insofern ist das Ende des Kunsthauses ein unangenehmes Symbol, eine Zäsur, die weit über die Grenzen Berlins hinaus zeigt: Vor der Gier der Immobilienhändler ist nichts sicher. Schutz bietet offenbar weder eine (dem »Tacheles« oft vorgeworfene) Kommerzialisierung, noch ein internationales, in zahllosen Reiseführern festgeschriebenes Touristen-Interesse. Vom Schutze der Kultur will man ja schon gar nicht mehr anfangen.
Was auch immer an dem Ort nun passiert, es wird keinesfalls die Straße, den Bezirk, die Stadt bereichern. Die (nur für einen Bruchteil des Areals) vorgeschriebene »kulturelle Nutzung« wird ein von Glasfassaden und Bekleidungsketten umgebener Witz sein. Die Oranienburger Straße wird sich mit dem Verschwinden des letzten »Schandflecks« endgültig von den inneren Stadtplänen verabschieden - es sei denn man braucht ganz dringend ein Paar neue Turnschuhe.
Bei Hausbesetzern und linker Szene hatte das »Tacheles« schon immer einen schweren Stand - ein altbekannter Konflikt zwischen Politaktivisten und Kulturschaffenden, der sich im Kleinen bis heute in so manchem besetzten Haus abspielt. Vielleicht hätte sich das Kunsthaus hier dennoch besser vernetzen müssen, anstatt voll auf den Weltruhm zu bauen. Denn so stand man nun am Ende des Traums ziemlich alleine da.
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