Abzocke zur Haushaltskonsolidierung?
Radarfallen in sämtlichen Variationen sind zumeist eine sprudelnde Geldquelle
Geblitzt wird allerorten - durch die Polizei, durch private Dienstleister, auch durch die Kommunen. Von Milliardenabzocke ist da schon mal die Rede. Zumindest das mit den Milliarden scheint zu stimmen. Der Internetwarndienst Radarfalle.de ermittelte unlängst 3017 stationäre Tempomessgeräte - so viele wie nie zuvor. Hinzu kommen rund 10 000 mobile Messgeräte. Allein die Polizei nahm 2011 um die 260 Millionen Euro ein. Bayern und Hessen bilden dabei mit je 50 Millionen die Spitze.
Verlässliche Einnahme
Doch die Kommunen halten hier gut mit. München blitzte etwa mit einem einzigen Radargerät in einem Jahr 85 233 Raser und kassierte damit geschätzte acht Millionen Euro. Hannover konnte die Einnahmen aus seinen 28 Radarfallen zwischen 2007 bis 2011 von 1,7 Millionen jährlich auf 3,9 Millionen steigern. In Bielefeld sind bis zu 19 Mitarbeiter nur damit beschäftigt, »teure Fotos« zu versenden. Vor allem die Radarfalle an der Talbrücke Lämershagen spielt der Kämmerei 2011 gut 5,7 Millionen Euro ein.
Der ADAC unterstellt deshalb den Städten unverhohlen, ihnen gehe es mit den Starenkästen, Infrarotschranken, Induktionsschleifen oder Lidar-Säulen, die bis zu vier Fahrspuren kontrollieren, längst nicht mehr zuerst um eine höhere Verkehrssicherheit. Für Sachsens Landeschef Nikolaus Köhler-Totzki gehören Bußgelder vielmehr »fest zur Haushaltsplanung der Kommunen«.
Fraglos bilden Tempoblitzer heute eine verlässliche Größe bei öffentlichen Etatberatungen in Kreisen und Kommunen. Dennoch widerspricht man beim Sächsischen Städte- und Gemeindetag energisch jener Pauschalschelte. Von »Abzocke« kann für Fachreferent Falk Gruber keine Rede sein. Vielmehr verstärkten die Bürgermeister die Kontrollen eben gerade deshalb, weil sie von Anwohnern mancher Raserpisten einen »unmittelbaren Druck zu spüren« bekämen.
Indes goss unlängst der Chemnitzer Ordnungsbürgermeister Mirko Runkel auch noch Wasser auf die Mühlen der Gegenseite. Die Ausgaben für Blitzer »rentieren sich«, frohlockte er in Bezug auf das aktuelle Sparpaket der Stadt bis 2015. Man plane nun »eine weitere Anlage im Wert von 140 000 Euro zu installieren«. Verräterische Signale gibt es auch aus manchem Landratsamt in Rheinland-Pfalz: Als die rot-grüne Regierung in Mainz verkündete, ab 2013 eine zentrale Bußgeldstelle einzurichten, damit ertappte Sünder ihren Strafobolus direkt an die Landeskasse überweisen, protestierten die Landräte. Sie sprachen von »nicht hinnehmbaren Einnahmeausfällen« und forderten zumindest Ausgleichszahlungen.
Offenbar muss man aber auch wissen, wie man rentabel zur Kasse bittet. Der sachsen-anhaltische Salzlandkreis stellte sogar das Blitzen ein, da er am Ende draufzahlte. Immerhin kostet ein Starenkasten 100 000 Euro. Freilich lassen sich diese auch leasen - doch dann fasst auch der Verleiher fünf Euro pro Blitz ab. Cleverer agiert man da offenbar in Dresden. Laut Ordnungsamt blechten Bleifüßler letztes Jahr 7,8 Millionen Euro, derweil sich der Unterhalt der Anlagen auf gerade 224 000 Euro belief.
Auch im niedersächsischen Landkreis Lüneburg, wo die Radarfallen durchweg dem Kreis gehören und das Geld damit auch der Kreiskasse zufließt, scheint man zufrieden mit der Kosten-Nutzen-Relation. Sechs Mitarbeiter betreuen hier sechs stationäre Anlagen sowie je einen mobilen Blitzer und eine Videokamera. Wie es heißt, stehe man vor allem vor Schulen, Kindergärten, Altenheimen sowie in Tempo-30-Zonen.
Motiv: Geld machen
Ob dies in jeden Fall stimmt, wird von interessierter Seite bezweifelt - nicht nur in Lüneburg. Vor allem dort, wo private Dienstleister die Blitzer aufstellen, glaubt selbst die Polizei nicht daran, dass man nur Unfallschwerpunkte entschärfen will. Die Polizeigewerkschaft in München erkennt ein anderes Motiv: Geld machen. In Bayern gründen Kommunen sogar Zweckverbände für den Betrieb von Radarfallen - und beauftragen damit dann Privatfirmen.
Prof. Dr. Dieter Müller von der sächsischen Polizeihochschule in Rothenburg rügt überdies, die Kommunen agierten bei ihrem Vorgehen »oft isoliert und ohne Absprache mit der Polizei«. Das vergebe »große Chancen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit«. Nach seiner Beobachtung sei eine Ausrichtung der Kontrollpunkte auf Unfallschwerpunkte bei den Kommunen »nur selten feststellbar«. Und selbst Polizisten beklagen hinter vorgehaltener Hand »Knöllchenvorgaben«, die es zu erfüllen gebe. Andernfalls könne es mit der nächsten Beförderung etwas dauern - so zu hören etwa in Brandenburg, wo die Polizei jährlich rund 40 Millionen Euro durch Blitzer einnimmt.
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