Das ambivalente Erbe der Sklaverei
Die »Gedenkstätte der Neuen Schwarzen« in Rio de Janeiro will afrobrasilianische Kultur fördern
Zwei schwarze Frauen, beide über 70 Jahre alt, benetzen die im Boden eingelassenen Glaspyramiden mit parfümiertem Wasser. Unter den Fenstern sind die Ausgrabungen des Friedhofs der »Neuen Schwarzen« zu sehen. »Hier wurden die Schwarzen beerdigt, die aus ihrer Heimat nach Brasilien verschleppt wurden und an den Folgen der Überfahrt starben. Die Reinigung soll die sterblichen Überreste unserer Vorfahren schützen«, sagt die afrobrasilianische Hohepriesterin Iyá Edelzuita de Oxoguian mit fester Stimme.
Das Weihwasser wird weißen Vasen entnommen, in denen weiß-rote Gladiolen stehen. Es sind die Farben von Xangô, dem Gott des Donners und der Blitze, der für Gerechtigkeit zuständig ist.
Die Weihe der archäologischen Fundstätte entspricht den Riten des Candomblé, einer afrobrasilianischen Religion, die sich nach der Befreiung der Sklaven Ende des 19. Jahrhundert im ganzen Land verbreitete. Die feierliche Zeremonie fand am Eröffnungstag der »Gedenkstätte der Neuen Schwarzen« vergangene Woche statt. »Hier werden historische Fakten gezeigt, die in unserer Geschichtsschreibung oft ausgeblendet werden«, erklärte Kurator Marco Antonio Teobaldo. Es sei ein Ort des Erinnerns, aber auch des Lernens und der Forschung. Der Friedhof wurde 1996 zufällig bei Renovierungsarbeiten im zentrumsnahem Stadtteil Gamboa in Rio de Janeiro gefunden. Erst kurz zuvor hatte die Unternehmerin Ana Merced Gonzalez das Gebäude aus dem 18. Jahrhundert gekauft, unter dessen Fundament Archäologen Knochenreste von knapp 6000 Afrikanern fanden. Gonzalez ergriff die Initiative und gründete vor sieben Jahren mit Unterstützung von Freunden und der Stadtregierung das Institut der Neuen Schwarzen, um die Gedenkstätte in ein Kulturzentrum zu verwandeln.
Der Begriff Neue Schwarze, der erst in den vergangenen zehn Jahren wieder in Erinnerung gerufen wurde, bezeichnet Männer und Frauen, die im 19. Jahrhundert auf einem der größten Sklavenmärkte Lateinamerikas verkauft wurden. Die auf dem Friedhof Begrabenen waren zumeist Kinder oder Jugendliche, die aufgrund der unmenschlichen Unterbringung in Lagerhallen verstarben, bevor sie an wohlhabende Familien oder Landbesitzer verkauft werden konnten.
Als die Stadtherren den Sklavenmarkt nicht mehr direkt neben ihren herrschaftlichen Palästen haben wollten, wurde er 1774 aus dem Zentrum in das Hafenviertel Valongo, das heute Gamboa heißt, verlegt. Wenig später entstand der Friedhof, der 1831 wegen des Verbots des Sklavenhandels durch England geschlossen wurde. In keiner anderen Stadt weltweit lebten damals so viele Sklaven wie in Rio. Offiziell wurde die Sklaverei in Brasilien allerdings erst 1888 abgeschafft.
»Es ist tragisch, dass nicht einmal die Anwohner wissen, was sich an diesem Ort in der Vergangenheit ereignet hat«, beklagt die 78-jährige Candomblé-Priesterin Edelzuita. Es sei wichtig für das Land, dass »die Bewohner der Stadt und die Intellektuellen Stätten wie diese besuchen, denn hier liegen die Wurzeln unserer afrobrasilianischen Kultur«.
Brasilien tut sich schwer mit der Erinnerung an diesen Teil seiner Geschichte. Zwar sieht es sich gerne als multikulturelles Land, der Samba und der Kampftanz Capoeira sind in aller Munde. Doch die schwarze Bevölkerung ist bis heute benachteiligt, sei es in Bezug auf Wohlstand und Chancengleichheit oder auf Teilhabe an der politischen Macht. Die Gedenkstätte ist ein Kontrapunkt.
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