Der nicht verlorene Sohn Brandenburgs

Loriot-Ausstellung noch bis zum 16. Dezember im Bürgerhaus Altstadt zu sehen

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 4 Min.

Er war einer der populärsten deutschen Humoristen und Karikaturisten. Der Hundeliebhaber und Erfinder der Knollennasemännchen hatte wie kein zweiter einen Blick für die Unwägbarkeiten zwischenmenschlicher Beziehungen. In seinem umfangreichen Werk persiflierte er gnadenlos komisch die Auswüchse der spießbürgerlichen Gesellschaft.

Loriot, mit bürgerlichem Namen Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow, wurde am 12. November 1923 in Brandenburg an der Havel geboren. Seit dem 11. August erinnert im Bürgerhaus Altstadt die Ausstellung »Moooment - Loriot, der Brandenburger in Brandenburg« an die Zeit, die der Künstler in seiner Geburtsstadt verbrachte.

Obwohl Loriot nur bis zu seinem dritten Lebensjahr in Brandenburg lebte und es fast 60 Jahre bis zu einem Wiedersehen mit der Stadt an der Havel dauern sollte, verband ihn zeitlebens eine besondere Fühlung mit der märkischen Heimat. Sogar im fernen Ammerland am Starnberger See, wo Loriot bis zu seinem Tod im August 2011 wohnte, hielt er seine Vorliebe für die Lektüre der Wanderungen Fontanes durch die Mark Brandenburg aufrecht.

Anhand von liebevoll konzipierten Schautafeln, Originalfotos und vielen aus privaten Beständen zusammengetragenen Exponaten wie Loriots geliebten Teddybären aus Kindertagen führt die Schau zunächst in die Kinderjahre Loriots ein. Der Besucher erfährt, dass er sich kaum an seine früh verstorbene Mutter erinnern konnte, während der Vater, ein Polizeileutnant, für ihn zeitlebens ein großes Vorbild war. Seine Kindheitserinnerungen fügte Loriot, der seinen Künstlernamen an die französische Bezeichnung des im Familienwappen abgebildeten Vogels Pirol anlehnte, später zu einer lebhaften anekdotischen Geschichte zusammen. Wann immer möglich, erzählte er fortan von seinen ersten Gehversuchen in der Altstadt oder inwiefern sich die damalige Inflation auf die Preise von Knabenoberbekleidung auswirkte.

Die Ausstellung macht dann einen großen Sprung vom Jahr 1926, dem Jahr seiner Abreise zur Großmutter nach Berlin, ins Jahr 1985. Am 18. Mai 1985 kehrte Loriot als »nicht verlorener Sohn« in die Stadt Brandenburg zurück. Anlass war die Eröffnung seiner ersten Ausstellung in der DDR. Obzwar die Schau im Dommuseum von den staatlichen Organen als »innerkirchliche Veranstaltung« genehmigt worden war, wurde das Unterfangen doch als höchst brisant eingestuft. Aufgrund des Bekanntheitsgrades Loriots in der Bundesrepublik fürchtete man einen Fall von »Grenzunterlaufung«.

Tatsächlich war die Stadt in hellem Aufruhr. Zu den zur Eröffnung geladenen Gästen, darunter der Staatssekretär für Kirchenfragen Klaus Gysi, gesellten sich noch rund 1500 Bürger dazu. In seiner Rede, deren Aufzeichnung in der Ausstellung zu hören ist, bedankte sich Loriot für die Wärme, mit der ihn die Stadt nach so vielen Jahren wieder aufgenommen habe. Anschließend hielt er seine berühmte »Parlamentsrede«, in der er eigentlich nichts sagte: »Politik bedeutet, und davon sollte man ausgehen, das ist doch - ohne darum herum zu reden - in Anbetracht der Situation, in der wir uns befinden. Ich kann meinen Standpunkt in wenige Worte zusammenfassen: Erstens das Selbstverständnis unter der Voraussetzung, zweitens und das ist es, was wir unseren Wählern schuldig sind, drittens, die konzentrierte Beinhaltung als Kernstück eines zukunftsweisenden Parteiprogramms.« Das Publikum war begeistert.

Der Künstler sollte die Begegnung mit seiner Geburtsstadt und ihren Einwohnern später als einen der bewegendsten Momente seines Lebens bezeichnen. In den folgenden Jahren kam Vicco von Bülow immer wieder zu Besuch. 1993 wurde er zum Ehrenbürger ernannt.

Der letzte Teil der Ausstellung widmet sich der Nachwende. Loriot sah früh die Probleme, die sich für die neuen Bundesländer ergeben werden. So gründete er bald die Vicco-von-Bülow-Stiftung, die Kindern aus einkommensschwachen Familien das Studium der Musik ermöglicht. In tiefer Dankbarkeit für die Verdienste des Humoristen schenkten ihm die Brandenburger 2009 symbolisch die frisch sanierte Nordkapelle seiner Taufkirche St. Gotthardt.

Ausstellung »Moooment«, bis 16. Dezember, Bürgerhaus Altstadt, Bäckerstraße 14 in Brandenburg/Havel, Di. bis So. von 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 4 Euro, ermäßigt 2,50 Euro

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.