Portugals Regierung lenkt ein

Proteste gegen harten Sparkurs zeigen Wirkung, Pläne zur Erhöhung der Sozialbeiträge gestoppt

  • Ralf Streck, Madrid
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach den jüngsten landesweiten Protesten will die portugiesische Regierung besonders umstrittene neue Sparmaßnahmen nicht umsetzen. Sie sei bereit, nach »sozial verträglicheren« Alternativen für die geplante Erhöhung der Sozialbeiträge zu suchen, teilte das Präsidialamt mit.

Das Beratergremium, das sich aus ehemaligen Staatschefs und renommierten Persönlichkeiten zusammensetzt, rief die Regierung auf, den »gesellschaftlichen Zusammenhalt« zu erhalten. Die wolle nun mit den Arbeitgebern und den Gewerkschaften ins Gespräch kommen, hieß es. Schon während der Debatte hatten sich am Freitag Tausende Demonstranten vor dem Präsidentenpalast versammelt, um gegen die jüngsten Pläne zu protestieren, die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung von 10 auf 18 Prozent anzuheben und die Beiträge für Unternehmer dafür zu senken. Auch in 15 anderen Städten gab es Proteste gegen die Kürzungspläne. Viele Teilnehmer riefen »Diebe, Diebe« und »Das Volk hat genug davon, bestohlen und gedemütigt zu werden«. Der Mitte-Rechts-Regierungschef, Pedro Passos Coelho, trägt seitdem den Spitznamen »Robin Hood der Reichen«. Für das kommende Wochenende ist ein weiterer Aktionstag geplant.

Widersprüche in der Regierung zu den geplanten Sparmaßnahmen hatten sich schon vorher zugespitzt, sollen jetzt aber beigelegt worden sein, hieß es am Samstag. Eigentlich hatte sich Außenminister Paulo Portas für die rechtskonservative Volkspartei (CDS-PP) von der Sozialversicherungsreform distanziert. In Coelhos Sozialdemokratischer Partei (PSD) stellten sich drei Minister dagegen, hat die Zeitung Publico berichtet. Justizministerin Paula Teixeira da Cruz, Gesundheitsminister Paulo Macedo und Innenminister Miguel Macedo zweifelten ebenfalls, ob die Maßnahmen von der Verfassung gedeckt seien. Das gilt auch für die Streichung des 14. Monatsgehalts im öffentlichen Dienst.

Nach einem Regierungsjahr der liberal-konservativen Koalition ist vielen in Portugal der Kragen geplatzt. Nach den riesigen Demonstrationen machen nun auch Streiks die explosive Stimmung gegen die gespaltene Regierung deutlich. Bestreikt werden seit vergangenem Montag der Öl- und Gaskonzern Galp und die Häfen des Landes, womit zwei sensible Bereiche der Wirtschaft betroffen sind. Versorgungsengpässe seien nicht das Ziel gewesen, sagte Armando Farias von der Gewerkschaft Fiequimetal. Der Gewerkschaftssprecher hebt hervor, dass sich 90 Prozent der Beschäftigten der Belegschaft beteiligten. Galp dementierte diese Zahl. Eines der 600 weltgrößten Unternehmen räumte aber ein, dass sie deutlich höher war als früher. Am Montag übernehmen dann die Beschäftigten der Hafenverwaltungen und streiken. Im Containerhafen der Hauptstadt Lissabon stauen sich schon jetzt die Lastwagen. Auch der Tourismus wird beeinträchtigt, weil Kreuzfahrtschiffe nicht landen können. Der Portugiesische Reisebüroverband (APAVT) spricht von »Unverantwortlichkeit«. Es habe lange gedauert, um die Schiffe anzulocken. Doch die Lotsen geben zurück, dass Entlassungen wiederum die Sicherheit untergraben würden. Man wendet sich auch gegen Lohnkürzungen und gegen die sich verschlechternden Arbeitsbedingungen.

Die oppositionellen Sozialisten hatten den Kurs von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho lange mitgetragen. Sie lehnen diese Maßnahme nun ab, mit der die Regierung das Haushaltdefizit senken will. Dass Portugal die Sparziele einhalten kann, wird aber immer unwahrscheinlicher, obwohl das Land bis 2014 ein Jahr mehr Zeit dafür erhalten hat. Denn die tiefe Rezession lässt Steuern einbrechen und Sozialausgaben steigen. Zudem kommen geplante Privatisierungen nicht voran. Die Lufthansa und der britisch-spanische Luftfahrtkonzern International Consolidated Airlines Group (IAG) wollten eigentlich ein Angebot für die Fluglinie TAP abgeben. Die Frist verstrich nun aber ungenutzt.

Solch riesige Demonstrationen wie an den vergangenen Wochenenden in vielen Städten hat das Land seit der Nelkenrevolution nicht mehr gesehen als 1974 linke Militärs friedlich die Diktatur stürzten.

In der letzten Woche wurde ein Bürgerbegehren eingebracht, um Neuwahlen zu erzwingen. Gefordert wird der sofortige Rücktritt des Ministers für Parlamentarische Angelegenheiten, Miguel Relvas. Er soll in einen Geheimdienstskandal verwickelt sein. Die Juristin Sonia Sousa Pereira, die die Initiative vorantreibt, fordert »mehr Würde« gegenüber einem Volk, das sich in der Krise »vorbildlich« verhalte. Zwar wird nicht direkt der Rücktritt der Regierung gefordert, doch das sei die logische Folge, da sich Coelho hinter seinen Skandalminister stelle.

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