Es begann mit Milch für Kubas Kinder
10 Jahre Cuba Sí: »Die Hoffnung ist kein leeres Wort - Utopien kann man verwirklichen«
Den Weg, den Cuba Sí seit 1991 zurückgelegt hat, hatten selbst kühnste Optimisten nicht für möglich gehalten. Aus der anfänglichen Spendenaktion »Milch für Kubas Kinder« ist ein kleiner, aber kräftiger Strom der Solidarität für das sozialistische Kuba geworden. Morgen feiert Cuba Sí in der Lichtenberger Parkaue ab 14 Uhr seinen 10. Geburtstag.
Es war im Juni 1991, während einer Kundgebung der PDS, auf dem Alexanderplatz. Unter dem Motto »Milch für Kubas Kinder« hatten Mitglieder und Sympathisanten der Partei zu einer Spendensammlung aufgerufen. Nach den weltpolitischen Veränderungen von 1989/90 und dem damit verbundenen verschärften internationalen Boykott des sozialistischen Kubas war Solidarität dringend erforderlich. Durch diese Aktion sollte jedem kubanischen Kind bis zum siebenten Lebensjahr auch weiterhin ein halber Liter Milch pro Tag garantiert werden. Denn die damalige Bundesregierung unter Kanzler Kohl war nicht bereit, die Vereinbarung der DDR zur Lieferung von jährlich 22000 Tonnen Milchpulver an Kuba zu übernehmen.
Keine Schule, keine Poliklinik geschlossen
Die Woge der Solidarität ließ das eingerichtete Sonderspendenkonto - mit Einmal- oder Dauerspenden - anwachsen. An unseren Informationsständen füllten sich die Sammelbüchsen, meistens begleitet von aufmunternden Worten und unvergesslichen Gesprächen. So erlebte und erlebe ich bis heute die Lebendigkeit der Worte von Che Guevara »Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker«. Wohl wissend, dass nicht jeder Politiker, Journalist und Bürger unsere Haltung - damals wie heute - teilte und teilt. Auch unter Mitgliedern und Sympathisanten der PDS gab und gibt es Zweifel, Zurückhaltung und kritische Distanz. Das ist nicht verwunderlich nach dem Untergang des Staatssozialismus und bedarf der weiteren Klärung in der Entwicklung der Solidaritätsbewegung für das sozialistische Kuba.
Heute kann jeder, der die Entwicklung Kubas in den letzten zehn Jahren unvoreingenommen betrachtet, feststellen: Trotz ungeheurer Schwierigkeiten, persönlicher Entbehrungen, schier unlösbarer Probleme, hat das kubanische Volk überlebt, seine Freiheit verteidigt und den »kubanischen Sozialismus«, wie er genannt wird, entwickelt.
Unsere Kampagne »Milch für Kubas Kinder« begann in einer Zeit, als Kuba mit dem Schock des Zusammenbruchs des sozialistischen Lagers und dem Wegfall von 85 Prozent seiner Außenhandelsmärkte fertig werden musste. Jeder, der sich an diese Periode erinnert, weiß, dass es reichlich Stromsperren gab, Mangel an Nahrungsmitteln, Kleidung, Transportmitteln, kurzum an allem Lebensnotwendigen. Trotzdem wurde keine Schule, kein Krankenhaus, keine Poliklinik geschlossen und gegenüber Ländern der Dritten Welt leistete Kuba weiterhin medizinische Hilfe. Mit unseren über 50 regionalen Cuba Sí-Gruppen in Ost und West haben wir in dieser Zeit vorwiegend Sachspenden gesammelt, in über 300 Schiffscontainer verladen und auf die Reise geschickt.
Der Inhalt bestand unter anderem aus Medikamenten, medizinischen Geräten, Bekleidung, Werkzeugen, Ersatzteilen für Maschinen, Fahrrädern, Omnibussen, Schulmaterial und Krankentransportern für die schnelle medizinische Hilfe. Besonders am Herzen lagen uns Sachspenden für die »Tamara-Bunke-Schule« bei Havanna. Schaut man sich unsere Solidaritätsleistungen an, kann man vielleicht ermessen, wie viele Köpfe in Bewegung gesetzt, wie viele Hände sich rühren mussten, um das alles zu ermöglichen.
Heute sehen wir deutlicher als damals: Es hat sich gelohnt, wir haben ein klein wenig dazu beitragen können, die Lebensbedingungen der Kubaner in diesen schweren Jahren etwas erträglicher zu gestalten. In Zukunft können wir unsere Sachspenden gezielter auf Projekte richten, die wir in Kooperation mit der Kubanischen Vereinigung für Tierproduktion (ACPA) betreiben, auf Spenden für das Gesundheitswesen, für soziale und kulturelle Einrichtungen, Schulen, Universitäten und die technische Rekonstruktion von kleinen Betrieben. Im Zentrum unserer Solidaritätsbewegung steht seit 1992 das Milchprojekt »ACPA-Cuba Sí«. Wir gingen davon aus, dass allein mit Spenden für Milchpulver keine dauerhafte Verbesserung der Milchversorgung zu erreichen ist. Gemeinsam mit kubanischen Institutionen und mit wissenschaftlicher Betreuung aus der Bundesrepublik begannen wir im Valle del Perú in der Provinz Havanna, ein Projekt weideabhängiger Milchproduktion zu entwickeln. Nach erfolgreichem Verlauf wurde das Projekt 1997 auf Kubas östliche Provinz Guantánamo und 1999 auf die Provinz Sancti Spíritus erweitert. In diesem Jahr starteten wir im Landwirtschaftsbetrieb »Nazareno« vor den Toren der Stadt Havanna das Projekt zur Erhöhung weideabhängiger Milchproduktion unter Einbeziehung des Zuchtprogramms der Rinderrasse »Siboney de Cuba«. Unterstützt haben Freundinnen und Freunde diesen Prozess durch Workcamps in ihrer Urlaubszeit bei eigener Finanzierung der Reise und des Aufenthalts. So haben wir selber einen großen Lernprozess durchgemacht und können beurteilen, was unsere »Hilfe zur Selbsthilfe« in Kuba gebracht hat.
Bis heute wurde in den Projekten eine Verdreifachung der Milchproduktion erreicht, die neue Weidetechnologie findet im ganzen Land zunehmend Verbreitung, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Landarbeiter konnten durch den Bau von Wohnungen und die Nutzung von Biogas verbessert werden. Die Milchversorgung der Kinder wurde stabilisiert und durch Bullenaufzucht gutes Rindfleisch für den heimischen Markt produziert. Diese Projekte haben zweifellos eine wirtschaftliche Perspektive.
Doch wird die Zukunft Kubas heute und morgen entscheidend geprägt von den tiefgreifenden strukturellen Veränderungen, die nach 1993 in der Wirtschaft des ganzen Landes eingeleitet und durchgesetzt wurden. Seit 1994 geht es wirtschaftlich wieder aufwärts, mit einem jährlichen Wachstum des Bruttoinlandproduktes von 4,5 Prozent. 31 Gemeinschaftsunternehmen wurden gebildet, insbesondere zur technologischen Erneuerung bestimmender Industriezweige und zur Rekonstruktion der Altstadt Havannas. Heute gibt es keine Stromsperren mehr, die Versorgung der Bevölkerung wurde verbessert, auch durch die Aktivitäten der kleinen Handwerker, Gewerbetreibenden und der privaten Bauernmärkte. Trotzdem weiß man sehr genau, dass die Versorgung der Bevölkerung mit allem Notwendigen zum Leben noch nicht ausreichend ist und das soziale Ungleichheiten dringender Lösungen bedürfen. Niemand auf Kuba muss in Armut leben, aber »Wunder« dauern nun einmal etwas länger. Fidel Castro hat den eingeschlagenen Kurs treffend mit folgenden Worten charakterisiert: »Kuba ist weder Paradies noch sozialistische Hölle, weder auf dem Weg in den Kapitalismus noch in den Untergang.«
Weder Paradies noch sozialistische Hölle
Das Entscheidende, was dem kubanischen Volk von 1990 bis heute gelungen ist, ist die Tatsache, dass es seine wirtschaftliche und soziale Entwicklung auf eigene Grundlagen gestellt hat. In der Vergangenheit war Kuba immer von einer Großmacht abhängig, erst von den spanischen Kolonialherren, dann von den USA und später von der Sowjetunion. Kuba hat verzichtet auf die diskriminierenden Bedingungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. Welches Land Lateinamerikas kann auch nur annähernd solche Lebensbedingungen für sein Volk aufweisen? So gesehen denke ich, dass die gegenwärtige Entwicklung in Kuba für das Land, aber auch darüber hinaus für demokratische Sozialistinnen und Sozialisten eine gewisse strategische Bedeutung hat. Sozialistische Politik für eine andere, gerechtere Welt ist heute möglich. Diese Erfahrungen des sozialistischen Kubas sollten vorurteilsfrei analysiert und durch einen kritischen Dialog begleitet werden.
Die Entscheidung darüber, in welcher Demokratie es leben will, liegt doch beim Volk eines jeden Landes selbst. Ich werde in vielen Diskussionen das Gefühl nicht los, dass man das Argument von den Demokratiedefiziten als Vorwand benutzt, um die sozialistische Entwicklung in Kuba überhaupt zu diskreditieren. Kritischer Dialog über Demokratie und Sozialismus ja - doch immer mit dem Blick auf die Entwicklung des Sozialismus in Kuba und nicht seine Zerstörung. So wäre meines Erachtens auch von demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten zu hinterfragen, was sich hinter der Entwicklungspolitik der Regierung Schröder unter dem Motto »Wandel durch Annäherung« verbirgt. Wandel und Annäherung für völlig gleichberechtigte Beziehungen, bei Wahrung der Souveränität und Integrität Kubas, ein eindeutiges Ja, aber als Versuch die so genannte »freie Marktwirtschaft« zu exportieren, eindeutig nein.
Ich bin sicher: Die AG Cuba Sí wird, gestärkt durch die Erfahrungen des Berliner Solidaritätskongresses für Kuba, ihre Gedanken in die Diskussionen um gesellschaftliche Alternativen einbringen. Von dem portugiesischen Schriftsteller José Saramago stammt der Satz: »Die Hoffnung ist kein leeres Wort - Utopien kann man verwirklichen.«
Unser Autor ist Gründungsmitglied von Cuba Sí und weiter ehrenamtlich aktiv. Spendenkonten von Cuba Sí: Berliner Sparkasse, BLZ 100 50000, Kto: 13222210, Verwendungszweck Milch für Kubas Kinder oder Kto: 43822...
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