Wille des Fürsten ist nicht Gesetz des Volkes

Das Wartburgfest von 1817

Eisenach, 18. Oktober 1817. Gegen 8 Uhr versammelten sich auf dem Marktplatz der thüringischen Stadt etwa 500 Studenten. Es gab damals in den Staaten des Deutschen Bundes etwa 8900 Studenten; also war jeder Siebzehnte gekommen. Gegen 8.30 Uhr setzten die jungen Männer sich bei Glockenklang und feierlicher Musik in Marsch. Der Zug bewegte sich zur Wartburg, deren Konturen sich bereits deutlich aus dem Morgendunst herausschälten. Die Studenten waren zusammengekommen, um gemeinsam zwei nationale Gedenktage zu begehen: den 300. Jahrestag des Lutherschen Thesenanschlages und zugleich den vierten Jahrestag der Leipziger Völkerschlacht. Auf der Burg wurden sie bereits von ihren Ehrengästen erwartet, unter denen sich vier namhafte Professoren der Universität Jena befanden: der Philosoph Jakob Friedrich Fries, der Mediziner Dietrich Georg Kieser, der Naturforscher Lorenz Oken und der Jurist Christian Wilhelm Schweitzer. Der Jenaer Theologiestudent und ehemalige Lützower Jäger Heinrich Arminius Riemann hielt die Festrede. Er würdigte den Reformator Martin Luther und den antinapoleonischen Befreiungskampf - und er brachte die Sehnsucht der fortschrittlichen Kräfte Deutschlands nach nationaler Einheit und ihre Enttäuschung über die Restaurationspolitik der Fürsten zum Ausdruck. Am Abend des gleichen Tages kam es dann zu jenem spektakulären Ereignis, welches das Wartburgfest am meisten berühmt gemacht hat: zur Verbrennung reaktionärer und »undeutscher« Schriften auf dem der Wartburg gegenüberliegenden Wartenberg. Der Theologiestudent Hans Ferdinand Maßmann, ein Schüler des Turnvaters Jahn, übergab sie den Flammen. Es sei vermerkt, dass nicht wirkliche Bücher ins Feuer geworfen wurden - die ja damals sehr teuer waren -, sondern Packen Makulaturpapier, auf die man die Titel geschrieben hatte. Vermerkt sei aber auch dies: Als der Name des jüdischen Schriftstellers Saul Ascher und seines Buches »Germanomanie« fiel, riefen einige der Studenten: »Wehe über die Juden, so da festhalten an ihrem Judenthum und wollen über unser Volksthum schmähen und spotten!« Nach den »Büchern« wurden ein preußischer Ulanenschnürleib, ein Militärzopf und ein österreichischer Korporalstock in die Flammen geschleudert. Die Studenten hatten 1813 bis 1815 großenteils mit der Waffe in der Hand für die Befreiung Deutschlands gekämpft. Es war ihnen nicht nur darum gegangen, die napoleonische Fremdherrschaft zu brechen, sondern sie hatten auch darauf gehofft, dass die fortschrittlichen Reformen nach dem Siege zügig weitergeführt werden würden. Das Treffen der Studenten am 18. und 19. Oktober 1817 stellt in der politischen Geschichte Deutschlands eine bedeutsame Zäsur dar: Es war die erste Manifestation national-demokratischer Forderungen und überhaupt die erste politische Demonstration. Einige Monate nach dem Wartburgfest arbeiteten Riemann und sein Kommilitone Johann Heinrich Müller die berühmten »Grundsätze und Beschlüsse des 18. Oktober« aus, in denen sie das Leitbild eines künftigen deutschen Nationalstaates umrissen. Zwei der Kernsätze lauteten: »Ein Deutschland ist. Ein Deutschland soll sein und bleiben« und »Der Wille des Fürsten ist nicht Gesetz des Volkes, sondern das Gesetz des Volkes soll Wille des Fürsten sein.« Die Regierenden Preußens und Österreichs witterten eine »jakobinische Verschwörung«. Im September 1819 ließen sie die Burschenschaften durch die berüchtigten »Karlsbader Beschlüsse« verbieten. Zahlreiche Studenten wurden eingekerkert oder in die Emigration getrieben. Es breitete sich eine politische Friedhofsruhe aus. Doch die Revolution von 1848 zog dann einen e...

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