Mit Leib und Seele Politiker

Zum Tod von Dirk Schneider

  • Jutta Matuschek
  • Lesedauer: 4 Min.
Dirk Schneider. 1939 in Rostock geboren, politisch aktiv in der AL, bei den Grünen und in der PDS, ist am Sonntag zu Hause im Kreis seiner Angehörigen an Krebs gestorben.
Aus den Schlagzeilen war er längst verbannt, als Adressat wütender Angriffe seiner ehemaligen Mitstreiter der Alternativen Liste wurde sein Name dennoch immer wieder in die Presse gezerrt. Als Kronzeuge für die These des »Unrechtsstaats DDR« ließ er sich nicht einbinden. Für ihn war die DDR ein legitimer Versuch einer linken Gesellschaftsalternative. Vielleicht ermöglicht sein Tod endlich eine unvoreingenommene Sicht auf seine Biographie und damit auf ein sehr wesentliches Kapitel deutsch-deutscher Beziehungen. Die Grünen haben über ihn nach Bekanntwerden seiner DDR-Kontakte schlicht den Stab gebrochen und sich damit auch der Möglichkeit beraubt, über ihre eigene Geschichte und Rolle im schwierigen Verhältnis der beiden deutschen Staaten nachzudenken. Aber auch die PDS, in die Dirk Schneider 1990 eintrat, hat die Chance vertan, seine politischen Erfahrungen und sein Wissen zu nutzen. Im Bestreben, Respekt für DDR-Biographien einzufordern, übersahen manche den notwendigen Respekt denjenigen gegenüber, die aus unterschiedlichsten westdeutschen Zusammenhängen zur PDS kamen. Bis heute wird öffentlich ignoriert, dass das Ermittlungsverfahren gegen Dirk Schneider wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit 1994 eingestellt wurde, und zwar weil ein solcher Verdacht trotz jahrelangen Bemühens nicht nachgewiesen werden konnte. Bis heute verhindern die Attacken gegen Dirk Schneider eine angemessene Beurteilung seines Bemühens, zur Entspannung zwischen den beiden deutschen Staaten beizutragen. Dadurch wird auch die Suche nach den Ursachen des Scheiterns von Rot-Grün 1990 in Berlin erschwert. Warum es damals nicht gelang, ein breites linkes Bündnis aus West und Ost zu schaffen, hängt damit zusammen. Dirk Schneider war mit Leib und Seele Politiker. Er hatte Kontakte zu DDR-Offiziellen. Er nutze diese, um gegenseitige Konfrontationen abzubauen. Die DDR-Führung, ständig in Bedrohungsängsten gefangen, beäugte besonders misstrauisch die Protestbewegungen der 70er und 80er Jahre in der BRD. Sie versuchte abzuschätzen, inwieweit von ihnen die Existenz der DDR in Frage gestellt wurde. Für Dirk Schneider war die DDR kein »Feindesland«. Für ihn war sie ein Fakt, ihr Bestehen war zu akzeptieren. Das schloss die gegenseitige staatliche Anerkennung ein. Für diese Überzeugungen trat Dirk Schneider beiderseits der Grenze ein. Er, der 1957 die DDR verlassen hatte, weil ihm nach dem Abitur die Studienzulassung versagt worden war, hatte sich diese Meinung hart erarbeitet. Für sie stritt er innerhalb der Alternativen Liste, zu deren Mitbegründern er 1979 gehörte. Er brachte sie in den Bundestag als Mitglied der ersten Grünen-Fraktion von 1983 bis 1985 ein. Und er war mit dieser Meinung nicht allein, nicht innerhalb der Grünen, und nicht innerhalb der Bundesrepublik. Aber er war einer ihrer profiliertesten Verfechter. Dirk Schneider blieb der DDR gegenüber nicht kritiklos. Für ihn war durch die DDR die sozialistische Idee »auf den Hund gebracht« worden, wegen der »Kommandowirtschaft« und der »Missachtung der schöpferischen und freiheitlichen Fähigkeiten der Menschen«. Die Aufarbeitung des Scheiterns der DDR sah er erst am Anfang. Wer Dirk Schneider kannte, kannte seine mitunter bis zur Rechthaberei ausartende Streitlust, seine Unberechenbarkeit in politischen Diskussionen, bei denen er auch gern mal den guten Ton vermissen ließ. Wer ihn wirklich kannte, weiß um die Unsinnigkeit des Vorwurfs »Stasi-Einflussagent« gewesen zu sein. Dass er etwas in jemandes Auftrag getan hätte, das nicht seinen eigenen Ansichten entsprochen hätte, ist absurd. Das Etikett Stasi-Spion verfing auch in der PDS. 1991 legte Dirk Schneider sein PDS-Mandat als Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses nach kontroverser Debatte innerhalb der Fraktion nieder. Das Wiederaufleben alter Westberliner Grabenkämpfe zwischen verschiedenen Klein- und Kleinstgruppen innerhalb der PDS Kreuzberg im Zusammenhang mit der innerparteilichen Nominierung zur Abgeordnetenhauswahl 1995 führte schließlich zum Zerfall der damaligen, von Dirk Schneider aufgebauten und maßgeblich geprägten Kreuzberger Gruppe. Dirks Hoffnung auf ein Eingreifen der Parteispitze in Solidarität zu seiner Person war vergeblich. In den Auseinandersetzungen ging es nicht nur um persönliche Abrechnungen. Es ging um die Frage, ob und in welchem Maße ein positiver, wenn auch kritischer Bezug zur DDR möglich ist. Infolge dieser Ereignisse geriet Dirk Schneider in völlige politische Isolation. Er blieb in Kreuzberg, wo er immer seine Wurzeln sah, aber er verließ die PDS. Seinen alten Traum, Diskussionsforen im Stile politischer Salons, einen neuen republikanischen Klub zu organisieren, konnte er nicht verwirklichen. Dirk Schneider blieb ein politischer Mensch und mecklenburger Sturkopp. Ich bin froh, ihn gekannt zu haben.

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