Eine neue Untersuchung der Leiche des italienischen Bankchefs Roberto Calvi lässt keine Zweifel mehr: Er wurde 1982 ermordet. Doch wer gab den Auftrag?
Am Morgen des 18. Juni 1982 baumelte am nördlichen Bogen der Blackfriars Bridge in London ein Erhängter über den trüben Fluten der Themse. Brücke der schwarzen Mönche - die finale Tat setzte ein letztes Symbol im Leben des Mannes, der sich offenbar so tief verstrickt hatte in den Wirren von Kapital und Kirche, dass er keinen Ausweg mehr sah: Roberto Calvi, genannt »Bankier Gottes«. Als Chef der Banco Ambrosiano, der größten italienischen Privatbank, hatte er durch kriminelle Finanzgeschäfte, für die er die Verfilzung mit der Vatikanbank nutzte, den gewaltigsten Bankencrash der europäischen Geschichte verursacht.
Während die britischen Behörden den Fall des aus Italien geflüchteten Bankrotteurs als Selbstmord zu den Akten legten, ermittelte die italienische Justiz weiter. Gegen die Suizid-Variante sprachen sowohl Motive jener Kreise, denen mögliche Enthüllungen Calvis mit Sicherheit schwer geschadet hätten, wie der Fundort der Leiche, den zu erreichen der korpulente 62-Jährige nachgerade artistische Fähigkeiten hätte entwickeln müssen.
Mehrfache Exhumierungen und Untersuchungen der Leiche erhärteten die Mordthese mit Indizien, da aufgrund von Materialspuren die Themse-Brücke nicht der Tatort gewesen sein konnte. 1999 wurden in Rom die Mafiosi Flavio Carboni und Pippo Calò für den Mord an Roberto Calvi zu lebenslanger Haft verurteilt. Sie sollen das Opfer nach London gelockt und die Killer dort angeleitet haben.
Dieser Tage setzte die italienische Justiz den offenbar definitiven Strich unter den Fall. Bei einer weiteren Untersuchung der sterblichen Überreste des Bankiers hätten Experten »eindeutig« festgestellt, dass er nicht Selbstmord verübt haben könne, berichteten italienische Zeitungen. Er sei zuerst erdrosselt und dann an das Gerüst unter der Brücke gehängt worden.
Fall gelöst und alle Fragen offen? Hintergründe und -männer von Leben und Tod des »Bankiers Gottes« werden wohl auch künftig ein weites Feld blühender Spekulationen bleiben. So ist Calvi für den britischen Enthüllungsautor David A. Yallop (»Im Namen Gottes?«) einer der Hauptverdächtigen an der angeblichen Ermordung des »33-Tage-Papstes« Johannes Paul I. 1978. Das Tatmotiv: Eine mögliche Ablösung des US-amerikanischen Kardinals Paul Marcinkus als Chef des Istituto per le Opere di Religione (Institut für religiöse Werke - IOR), wie die 1942 gegründete Vatikanbank offiziell heißt.
Der umtriebige Marcinkus band das päpstliche Finanzunternehmen in den
70er Jahren durch Beteiligung an Banken des in Mafia-Diensten stehenden sizilianischen Steueranwalts Michele Sindona in den größten Geldwäschering Europas ein. Da das IOR weder Bilanzen noch Rechenschaftsberichte veröffentlichte, seine ausgewählten Kunden aber von der durch den Vatikan-Status bedingten Steuerfreiheit profitierten, musste der »ehrenwerten Gesellschaft« diese Verquickung als wahres Himmelsgeschenk vorkommen.
Nachdem Sindonas Betrügereien Mitte der 70er Jahre aufgeflogen waren und das IOR Verluste von bis zu 50 Millionen Dollar hinnehmen musste, avancierte Sindonas langjähriger Freund Calvi zum engsten Vertrauensmann von Vatikanbankchef Marcinkus. Die zentrale Rolle, die die Banco Ambrosiano bereits im Imperium von Sindona (er wurde 1986 im Gefängnis vergiftet) spielte, war weiter bestimmend für die vatikanischen Geldgeschäfte. Da auch Calvi auf dieser Symbiose seine Transaktionen aufgebaut hatte, wäre die Panik, in die er laut Yallop nach dem Tod von Papst Paul VI. geraten sein soll, durchaus erklärlich. Hatte selbiger doch sowohl Marcinkus (dessen Karriere als Leibwächter von Paul VI. begann) als auch Sindona voll vertraut. Sein Nachfolger auf dem Stuhl Petri, der als Papst Johannes Paul I. nach 33-tägiger Amtszeit das Zeitliche segnende Albino Luciani, galt als ein den weltlichen Vorgängen gegenüber misstrauischer Kirchenmann, dessen Drang nach Integrität so manchem Kurialen weltfremd erschien. Durch sein - unter welchen Umständen auch immer - schnelles Ableben blieben die finanzpolitischen Konstellationen hinter den Leoninischen Mauern unangetastet. Und dem nun zum Pontifex maximus gewählten Karol Wojtyla kamen die Geldkanäle, die ihm als nominellem Eigentümer der Vatikanbank zur Verfügung standen, bei der Realisierung seiner politischen Pläne zweifellos zupass.
Der vor dem Konklave in keinem »Papstlotto« aufgetauchte Erzbischof von Kraków war nicht nur der erste nichtitalienische Wahlsieger seit 450 Jahren, son- dern zudem Bürger eines sozialistischen Staates. Die auf den Sturz des Realsozialismus zielende strategische Achse Washington-Vatikan konzentrierte ihre Aktivitäten nach Amtsantritt des neuen Papstes auf dessen Heimatland Polen, wo ab 1980 als »Fünfte Kolonne« die Solidarnosc-Bewegung bereitstand. Dass die verdeckten Geldtransfers an Solidarnosc über Calvi liefen, ist für Yallop ebenso klar (er vermutet über 100 Millionen Dollar) wie für die Autoren Heribert Blondiau und Udo Gümpel, die in ihrem Buch »Der Vatikan heiligt die Mittel« das Fazit ziehen: »Calvi steckte tief in allen politischen Angelegenheiten Italiens, aber über die Vatikanbank steckte er eben auch in der Unterstützung der antikommunistischen Bewegungen, nicht nur in Polen, aber eben auch gerade dort: Die Vatikanbank unterstützte Solidarnosc dank der Vermittlung der Banco Ambrosiano.«
Dass an der Einfädelung dieser Transaktionen die CIA regen Anteil nahm, ist nahe liegend angesichts der Aufmerksamkeit, die der US-Geheimdienst dem polnischen Pontifex und dessen Ambitionen von Anfang an zukommen ließ. In dem Buch »Das schwarze Reich« verweist E.R. Carmin darauf, dass es schon im November 1978 - also im Monat nach der Papstwahl - zu einem ersten Treffen zwischen Johannes Paul II. und dem Chef der CIA-Residenz in Rom gekommen sein soll. Später habe sich das Kirchenoberhaupt einmal pro Woche in Rom mit Beamten der CIA zur Lagebesprechung getroffen.
Zurück zu Calvi, der de facto als Finanzier des geplanten Umsturzes im Osten fungierte. Während er als »Bankier Gottes« die Konten der Banco Ambrosiano zu Gunsten der päpstlichen Kassen plünderte, wuchs hinter dem Vorhang kurialer Reputation seine Tollkühnheit. Gemeinsam mit seinen Helfern, die ebenso über beste Kontakte zu Kurienkreisen wie zur organisierten Kriminalität verfügten, gründete er ein internationales Netz von Banken, die ausschließlich auf dem Papier seiner Bücher existierten. 1981 verfing sich Calvi in den Maschen dieses Netzes. Wegen Devisenvergehen wurde der bis dato mächtigste Banker Italiens zu vier Jahren Haft und 27 Millionen Dollar Geldstrafe verurteilt. Im Mai 1982 folgte der endgültige Zusammenbruch der Banco Ambrosiano unter einer Schuldenlast von 1,5 Milliarden Dollar. Calvi, der in Berufung gegangen und auf Kaution frei war, sah seine Hoffnung, dem Vatikan überlassenes Geld zurückzubekommen, zerschlagen. Marcinkus, Freund aus fetten Zeiten, hatte sich in den Kirchenstaat zurückgezogen, wo er für die italienische Justiz unerreichbar war und bis 1989 IOR-Chef blieb.
Die Reise nach London, die Calvi dann am 16. Juni 1982 antrat, sah er offenbar als letzte Chance. Der gängigen Darstellung zufolge wollte er dort mit Hilfe ihm gewogener Personen seine Anteile an der von ihm ruinierten Bank verkaufen, um damit das riesige Bilanzloch zu stopfen. Aber die Aktien der Banco Ambrosiano waren längst suspendiert. Eine andere Version des London-Trips offeriert die Journalistin und Vatikanexpertin Valeska von Roques in ihrem Buch »Verschwörung gegen den Papst«. Danach hegte Calvi die Hoffnung, dass die katholisch-fundamentalistische Organisation Opus Dei ihn und damit den durch den Bankencrash gebeutelten Kirchenstaat aus der finanziellen Misere erlösen würde. Das Opus Dei, dessen Gründer Josemaría Escrivá de Balaguer im vorigen Monat vom Papst heilig gesprochen wurde, gilt als Hausmacht von Johannes Paul II. und - neben dem so genannten freimaurerischen - als einer der Flügel der Kurie. Die Realisierung des Deals hätte dem Opus die Kontrolle über die Vatikanbank gesichert - eine Option, die bei den »Freimaurern«, so von Roques, nicht gut ankam. Doch auch dieser angebliche - vom Opus Dei dementierte - Plan gelangte nicht zur Ausführung.
Calvis letzte Reise sorgte seinerzeit offenbar auch in Geheimdienstkreisen für Unruhe. So geht aus den Ermittlungsakten hervor, dass Flavio Carboni, der den Banker in London begleitete und zusammen mit Pippo Calò den Mord durch Auftragskiller der Mafia arrangierte, dort in ständigem Telefonkontakt mit dem als CIA-Agent geltenden Francesco Pazienza stand, der sich in Washington aufhielt.
Wie interessiert der Vatikan an Calvis Nachlass war, zeigt der Umstand, dass er über einen Mittelsmann - den inzwischen wegen Hehlerei verurteilten Bischof Pawel Hnilica - von Carboni die Dokumente kaufte, die Calvi in einer Aktentasche mit nach London genommen hatte. Dabei sollen zwischen zwei und fünf Millionen Dollar den Besitzer gewechselt haben.
Vor wenigen Woche erst wurde in Mailand ein Schließfach mit weiteren Dokumenten entdeckt, die Calvi vor seiner Flucht nach London dort hinterlegt haben soll. Über den Inhalt der Papiere ist bislang nichts bekannt geworden.
Die rein kriminalistischen Umstände des Mordes am »Bankier Gottes« mögen jetzt geklärt sein. Die politischen Hintergründe indes sind trübe wie die Fluten der Themse am Morgen des 18. Juni 1982.