Silvio Meier - einer, der nicht wegsehen konnte

1992 erstachen Nazis den Berliner Hausbesetzer

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.

Vor zehn Jahren wurde Silvio Meier von Neonazis im U-Bahnhof Samariterstraße in Berlin-Friedrichshain erstochen. Daran erinnert seitdem jedes Jahr eine Gedenkdemo. Über den Ermordeten wissen die meisten Demonstranten wenig. Gerüchte geistern umher. Je nach Quelle soll er Antifa-Aktivist, Punk oder völlig unpolitisch gewesen sein. Wer war Silvio Meier wirklich?

In der Schreinerstraße 47 hat er zuletzt gewohnt. Nach der Schönhauser Allee 20 war es 1989 das zweite besetzte Haus in Ostberlin. Die Fassade ist rechts zugewachsen, links bröckelt der Putz. Mehrere von denen, die heute legal hier leben, besetzten das Gebäude einst zusammen mit Silvio Meier. »Silvio war kein Punk, eher ein Hip-Hopper«, erzählt einer von ihnen. Flüchtig kannte den Hausbesetzer Silvio Meier auch der Hausbesetzer Freke Over. Seit 1995 sitzt Over für die PDS im Berliner Abgeordnetenhaus. Schon seit Jahren meldete er Gedenkdemos für Silvio an. 2001 überließ er diese Aufgabe anderen. Jetzt kümmerte sich wieder Over darum. Dabei bat er die Polizei, das Anmeldungsschreiben gleich an den Verfassungsschutz weiterzuleiten, um diesem Recherchearbeit zu sparen. Denn im Verfassungsschutzbericht werde die Gedenkdemo als Beispiel des Zusammenwirkens »gefährlicher Autonomer« mit der PDS angeführt, so Over. Die Demo startet am Sonnabend um 14 Uhr am U-Bahnhof Samariterstraße und führt zum Bahnhof Lichtenberg. Schon heute ab 17 Uhr gibt es die traditionelle Mahnwache im U-Bahnhof. Veranstalter sind die Antifaschistische Aktion und weitere Antifas. Dirk Moldt kannte Silvio Meier richtig gut. »Wir waren dicke Freunde, wie Bonnie und Clyde«, sagt der 35-Jährige, der noch heute in der Schreinerstraße 47 wohnt. Am 21. November 1992 zählte Silvio Meier 27 Jahre, arbeitete als Drucker und freute sich über seinen gerade erst geborenen Sohn Felix. Der Kleine war das erste Kind im Kreis der Hausbesetzer. Sie tauften ihr Domizil »Villa Felix«. Der Schriftzug ziert die Hauswand noch heute. Am Abend des 21. November wollte Silvio mit Freunden in den Club »Eimer« in Mitte, wo sein Bruder Platten auflegte. Unterwegs begegneten ihm drei Männer und zwei Frauen, zwischen 13 und 18 Jahre alt, die aus dem Lichtenberger Jugendclub »Judith Auer« kamen. An der Bomberjacke des einen prangte ein rechtsextremer Aufnäher. Meier sprach die Jugendlichen darauf an- Zivilcourage nennt man so etwas. Es kam zum Streit. Er konnte nicht wegsehen, das war sein Charakter, erinnert sich Moldt. »Silvio machte niemals aktive Antifa-Arbeit. Er war Antifaschist nur in dem Sinne, wie es eigentlich jeder sein sollte.« Die rechten Hooligans erstachen Silvio und verletzten seine Freunde schwer. Das Messer gehörte einem 17-jährigen Berufsschüler. Drei Tatbeteiligte verurteilte ein Gericht später zu Haftstrafen bis zu viereinhalb Jahren. Moldt besuchte damals gerade Verwandte in seiner Heimatstadt Jena. Nachts kam die Todesnachricht per Telefon. Moldt nahm den nächsten Zug nach Berlin. Was er fühlte, vermag er nicht auszudrücken. Dafür erzählt er die Lebensgeschichte von Silvio Meier. Herkunft: Quedlinburg im Harz, erlernter Beruf: Werkzeugmacher. In der örtlichen Folkmusikszene fühlten sich die wohl, die sonst im Realsozialismus nicht recht warm wurden. Bis Mitte der 80er Jahren hauten viele von ihnen ab in die BRD. Der Freundeskreis schmolz. Was tun? »Normal werden, ausreisen oder nach Berlin«, beschreibt Moldt die Situation. Silvio entschied sich für letzteres. Hier lernte er Moldt kennen. Der brachte ihn unter bei der Volkssolidarität in Lichtenberg, wo sie Rentnern mit Fahrrädern Essen brachten. Es blieb »wahnsinnig viel Zeit für Oppositionsarbeit«. Mahnwachen stehe nur durch, wer nicht täglich hart arbeiten müsse, erläutert Moldt. Silvio mischte mit bei wichtigen DDR-Oppositionsgruppen: bei der Umweltbibliothek und bei der »Kirche von Unten« (KvU). 1987 hatte er die erste schlimme Begegnung mit rechten Hooligans. Silvio organisierte ein Konzert der heute bekannten westdeutschen Band »Element of Crime« in der Zionskirche. Die Musiker reisten als Touristen in die DDR ein und borgten sich in Ostberlin die Instrumente. Nach Ende des Konzerts überfielen Skinheads brutal die Besucher vor der Kirche. Dirk Moldt erlebte den Überfall mit und erforschte ihn jetzt. Die Polizei habe direkt am Zionskirchplatz zugeschaut. Der Einsatzleiter sei verspätet eingetroffen. Es habe einen Befehl gegeben, nicht einzugreifen, sagt Moldt. Warum, sei anhand der Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) nicht nachzuvollziehen. Polizeiakten gebe es nicht mehr. Nur weiter entfernt habe ein Volkspolizist einige der Schläger in einer Straßenbahn verhaftet. Eine andere Sicht der Dinge hat Klaus Roßberg, damals Vizechef der MfS-Kirchenabteilung XX/4. Es habe eine Schlägerei mit »Skins« gegeben, »zu der die Polizei erst eintraf, als alles vorbei war«, schreibt er in seinem Buch »Das Kreuz mit dem Kreuz«. Silvio Meiers Lebensgefährtin Christiane, nun allein erziehende Mutter, machte schwere Zeiten durch. Zu allem Unglück wurden ihr laut Moldt Entschädigungszahlungen der Täter von der Sozialhilfe abgezogen, auf die sie zeitweise angewiesen war. Was hätte aus Silvio noch werden können? »Vielleicht hätte er doch noch studiert, so wie ich«, mutmaßt Moldt. In der DDR sei dem Wehrdienstverweigerer das verwehrt gewesen. Trotzdem klagte er nicht, »in der blöden DDR eingesperrt« zu sein. »Wir haben uns unsere Freiheit genommen«, erklärt Moldt. Er hielt eine eigenständige DDR auch noch Anfang der 90er Jahre für den besseren Weg. Silvio habe das genauso gesehen. Heute denkt der Historiker Moldt anders. Die »totale Okkupation« der DDR durch die BRD sei notwendig gewesen, um die Macht der SED zu brechen, meint er. Zur Gedenkdemo geht Moldt nicht. Mit autonomen Kids zu marschieren, sei nicht seine Sache. Trotzdem finde er gut, dass es das gebe. Bei den Silvio-Meier-Demos kam es in der Vergangenheit immer wieder zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Polizei. Die Polizei selbst leugnete unmittelbar nach der tödlichen Messerattacke, dass die Totschläger Rechtsextreme waren. Man sprach lediglich von »rivalisierenden Jugendgruppen«. Angeblich versuchten Beamte auch, einen schwer verletzten Begleiter Silvios im Krankenhaus zu der Erklärung zu zwingen, dass er nicht genau...

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