Klage von Gertrud Mielke abgewiesen

Gericht nach 71 Jahren: Keine politische Verfolgung vor Machtantritt Hitlers

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.
Für Schlagzeilen ist der Name Mielke noch immer gut. Zweieinhalb Jahre nach seinem Tod ist er wieder in den Medien präsent. Im Berliner Landessozialgericht - wohin sich sonst kaum ein Reporter verirrt, denn es geht in den meisten Fällen um »normale« Rentenansprüche - herrschte gestern hektische Betriebsamkeit. Zur Verhandlung vor dem 16. Senat standen die Rentenansprüche des einstigen Ministers für Staatssicherheit der DDR, Erich Mielke. Geklagt hatte die 92-jährige Witwe Gertrud. Sie wollte erreichen, dass die Exilzeit zwischen 1931 und dem 8. Mai 1945 als verfolgungsbedingte »Ersatzzeit« für die Rente angerechnet wird. Die Bundesanstalt für Angestellte hatte 1994 eine Neufeststellung der Rente abgelehnt und das Sozialgericht in erster Instanz 1996 die Klage abgewiesen. Nun also musste die zweite Instanz abschließend entscheiden. Es lag in der Natur der Sache, dass es kein normaler Rentenprozess, sondern eine politische Rückschau auf die deutsche Geschichte der Vornazi- und Nazizeit durch das Landessozialgericht werden würde. Und der Klägerin ging es wohl auch weniger um einige Euro Erhöhung - sie erhält eine Hinterbliebenenrente von etwa 500 Euro -, als um die historische Bewertung der Flucht ihres Mannes als verfolgungsbedingt. Im Mittelpunkt der Verhandlung standen die Ereignisse auf dem damaligen Berliner Bülowplatz, dem heutigen Rosa-Luxemburg-Platz in unmittelbarer Nähe des Kinos »Babylon« am 9. August 1931. Während einer Arbeiterdemonstration wurden die beiden Polizisten Paul Anlauf und Franz Lenk erschossen. Verfolgt wurde für diese Tat Erich Mielke. 62 Jahre später sprach ihn das Berliner Landgericht in einem Indizienprozess schuldig und verurteilte ihn zu sechs Jahren Haft. Zwingende Beweise für die Schuld Mielkes konnten vor Gericht nicht mehr erbracht werden. Mielke selbst hat die Tat nie eingestanden. Man stützte sich teilweise auf Aussagen ehemaliger Nazis und Unterlagen der KPD, aus denen man entnehmen konnte, dass Mielke der Schütze gewesen sein konnte. Doch dass er es wirklich war, wurde nie eindeutig belegt. Aus Sicht der Klägerin Gertrud Mielke, die durch eine Anwältin vertreten wurde, war die Flucht ihres Mannes in die Sowjetunion vor allem bestimmt durch den Terror gegen Kommunisten. Die Ermittlungen gegen die Schützen vom Bülow-Platz wurden von der faschistischen Polizei geführt, die nicht die Täter ausfindig machen, sondern die Kommunisten diskreditieren wollten. Die frühe Rückkehr Mielkes nach dem Ende der Hitler-Diktatur - als die politischen Nachkriegsstrukturen noch nicht erkennbar waren - sei ein Beleg dafür, dass Mielke bereit war, sich der Verantwortung zu stellen. Das Landessozialgericht kam nach zweistündiger Verhandlung zu der Auffassung, dass die Flucht im Zusammenhang mit dem Polizistentod gestanden habe und wies die Klage der Witwe ab. 1931 hätten in Deutschland noch rechtsstaatliche Verhältnisse geherrscht. Das Gericht ging bei seiner Einschätzung davon aus, dass Mielke nicht wegen drohender politischer Verfolgung, sondern nur deshalb geflohen sei, um der Strafe für den Mord zu entgehen. Eine »verfolgungsbedingte« Flucht könne nur für die Zeit nach dem 30...

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