»Ein Gefühl wie Weihnachten...«

Schatzjäger in Deutschland - unbeliebt, aber nicht zu bremsen und manchmal reich belohnt

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: 6 Min.
Wer in Deutschland gezielt nach Schätzen sucht, riskiert den Konflikt mit dem Gesetz. Vor allem das Heer der Sondengänger ist bei amtlichen Denkmalschützern verhasst. Selten genug kooperieren beide Gruppen miteinander.
Er nennt sich Lui und zieht es vor, mit diesem Spitznamen in der Zeitung zu stehen. Der Grund dafür ist sein heikles Hobby: Lui ist Sondengänger - was noch kein Problem wäre, wenn es nicht Zehntausende von seiner Sorte allein in Deutschland gäbe. Nach Feierabend oder am Wochenende greifen sie sich ihre Metalldetektoren, die wie Minensuchgeräte arbeiten, und ziehen los, nicht wenige am liebsten nachts - denn die im Dunkeln sieht man nicht. Und das ist besser so, denn oft suchen die Sondengänger offizielle Bodendenkmäler ab oder andere Stellen, die für sie verboten sind. Manche der Glücksritter haben es auf römische Münzen abgesehen, auf Schmuck von Keltenfürsten oder Waffenteile längst verrauchter Schlachten. Andere forschen nach verschollenen Kriegskassen von Söldnern des Dreißigjährigen Krieges oder durchwühlen Strände und Baggersee-Ufer nach verlorenen Uhren und Eheringen, manchmal sogar im Auftrag der rechtmäßigen Eigentümer. Wer Wertvolles finden will, kann bzw. muss planvoll vorgehen, jahrelang in alten Archiven Dokumente wälzen und sich so langsam zum ersehnten Fund vorarbeiten - etwa dem berühmten Bernstein-Zimmer, den nach Kriegsende verschollenen Schätzen der Reichsbank oder zu einem der über 1200 Schiffswracks, die allein vor der mecklenburgischen Ostseeküste liegen. Oder er kauft sich eine Metallsonde und hofft auf das Summen in den Kopfhörern, das Metall im Boden anzeigt - meist bloß Blechbüchsen und sonstiger Schrott, manchmal aber auch ein Vermögen. »Ich gehe auf Römisch, Keltisch und Mittelalter«, sagt Lui salopp. Er blickt auf 16 Jahre Erfahrung als Sondengänger zurück und besitzt gleich mehrere einsatzbereite Detektoren, die Metallobjekte je nach Größe bis zu zwei Meter tief orten können. Oft war er mit seinen Sonden erfolgreich. »Wenn ich all das behalten würde, was ich gefunden habe, könnte ich hier bei mir ein Museum eröffnen«, sagt der Rheinländer. Seinen wertvollsten Fund, einen römischen Kinder-Goldring mit blauem Stein, hat Lui für »ein paar tausend Mark« an einen Privatsammler verkauft. Illegal, versteht sich. Denn überall in Deutschland sind kulturhistorisch wertvolle Funde beim jeweiligen Landesdenkmalamt abzuliefern - abgesehen davon, dass es verboten ist, gezielt nach Schätzen oder altem Kulturgut zu suchen und es auszugraben. Deswegen sind Schatzjäger und Archäologen seit langem über Kreuz. Wolfgang Stüssel aus Osburg bei Trier kann ein Lied davon singen. Seit dreißig Jahren ist er leidenschaftlicher Sondengänger. Wenn er etwas finde, sei das »ein Gefühl wie Weihnachten«. Und Geld hat er auch damit verdient. In den 80er Jahren tauchte Stüssel regelmäßig an der Römerbrücke in Trier. Um den Flussgöttern zu opfern, hatten die römischen Bewohner der Stadt vor zweitausend Jahren immer wieder Geldstücke aus Kupfer, Bronze und Silber in die Mosel geworfen. Stüssel wusste das und barg ca. 4000 Münzen aus dem Fluss, außerdem Werkzeuge und anderes Metallgerät. »Damals hat das Trierer Landesmuseum mir noch gerne Fundstücke abgekauft«, erinnert er sich. Ein wertvolles Bronzegewicht, das Stüssel Anfang der 80er Jahre in einer römischen Höhensiedlung fand, erstand das Landesmuseum für 2500 Mark. »Heute würde ich vermutlich höchstens einen Tritt in den Hintern bekommen«, mutmaßt der Sondengänger. Denn seit 1986 enthält das Landesdenkmalgesetz von Rheinland Pfalz ein so genanntes Schatzregal. Damit hat sich das Land den Zugriff auf kulturhistorisch wertvolle Funde gesichert. Die juristisch umstrittene Regelung fußt auf dem mittelalterlichen Rechtsprinzip, im Boden verborgene Schätze gehörten dem König. Dem entgegen schreibt seit über 100 Jahren Paragraf 984 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) vor, dass bei herrenlosen Schatzfunden eine Hälfte des Gegenwertes dem Entdecker, die andere dem Grundeigner zusteht. Inzwischen verfügen aber 13 von 16 Bundesländern über ein Schatzregal und hebeln so das BGB aus - verfassungsrechtlich unhaltbar, wie der Frankfurter Jurist Ralf Fischer zu Cramburg findet. Und nicht nur das: Die Regelung führe dazu, dass Funde verheimlicht oder unter der Hand verscherbelt würden. Oder dass sie Museen angeboten würden, die Finder halbwegs angemessen entschädigten - über Bundeslandgrenzen hinweg. Auch Wolfgang Stüssel stößt sich am Schatzregal. Er meldet auch keine Funde mehr. »Ich weiß einige noch jungfräuliche Fundstellen, die das Landesmuseum nicht kennt, aber ich gebe sie nicht weiter«, sagt der verärgerte Schatzsucher. Die Archäologen hingegen bangen angesichts eines Heeres von Sondengängern um die Unversehrtheit bekannter und noch unbekannter Fundstellen. Denn für sie ist die ungestörte Lage einer römischen oder keltischen Gewandfibel meist erhellender als das Geldstück selber. Der wissenschaftliche Schaden durch Raubgräber sei immens, beklagt Hauke Jöns, stellvertretender Landesarchäologe in Mecklenburg-Vorpommern. Die nicht selten organisierten Banden seien »nur am Profit interessiert und nehmen deshalb die Zerstörung von Bodendenkmälern in Kauf«. Oder von Schiffswracks: »Wir haben immer wieder Probleme mit Tauchern, die Schiffe systematisch ausbeuten wollen«, sagt Jöns Kollege Harald Lübke. Manchmal seien die Taucher nur auf »Messing-Bullaugen für den Partykeller« scharf. Manche Schätze indes werden ganz zufällig entdeckt. Beim Einreißen einer Mauer im Keller seines 350 Jahre alten Elternhauses fand Horst Brendel aus Dreisen bei Kaiserslautern 1989 mehrere Töpfe voller alter Silber- und Gold-Münzen, insgesamt rund 2700 Kreuzer, Dukaten und Gulden. Er meldete den Fund bei Archäologen des Historischen Museums in Speyer - woraufhin diese den Münzhort wegen des Schatzregals beschlagnahmten. Brendel prozessierte und verwies darauf, dass die Münzen nach 1752 versteckt worden sein mussten, das Haus aber seit 1648 in Familienbesitz war. Der Schatz wäre demnach nicht herrenlos gewesen. Doch das Gericht erkannte die Eigentümerschaft der Familie nicht an. Brendel bekam vom Land immerhin noch eine Finderprämie von 50000 Mark. »Das hätten die nicht machen müssen«, räumt er ein. Mit dem Geld konnte er indes die noch anfallenden Prozesskosten (35000 Mark) zahlen. Nach dem BGB freilich hätte dem verhinderten Glückspilz und seiner Mutter als Hauseigentümerin der gesamte Fundwert zugestanden - ein Sachverständiger veranschlagte diesen auf 245000 Mark, laut Brendel war der Schatz vier Mal so viel wert. Heute würde er wegen all seiner Scherereien »den Schatz nicht mehr abgeben, sondern ein paar Münzen behalten und den Rest wieder vergraben«, sagt er. Geldgierige würden ihn vermutlich eher auf dem schwarzen Markt verhökern - so wie es im Februar 2002 auch die unrechtmäßigen Besitzer der Sonnenscheibe von Sangershausen versucht haben, einer 3600 Jahre alten goldverzierten Himmelsdarstellung aus Bronze, vermutlich der ersten der Menschheitsgeschichte überhaupt. Die 1999 in Sachsen-Anhalt von Raubgräbern ausgebuddelte archäologische Sensation wurde in Basel zum Kauf angeboten, doch die Käufer waren getarnte Polizisten. Der Versuchung zur Hehlerei müsste der akribische Schatzsucher Rudolf Patzwaldt gar nicht erst erliegen. Er vermutet den sagenhaften Schatz der Nibelungen in Nordrhein-Westfalen, einem Land ohne Schatzregal. Keineswegs nämlich habe der burgundische Recke Hagen das legendäre »Rheingold« bei Worms oder anderswo in den Rhein gekippt, wie es die gängige Übertragung des achthundert Jahre alten Nibelungenlieds ins Hochdeutsche nahe legt. »Man wirft sein Machtmittel nicht unwiederbringlich in die Fluten des Rheins«, sagt der frühere Finanzbeamte. Aus vielen Indizien und intensiver Beschäftigung mit drei Sagen, die das Schicksal des Nibelungen-Schatzes verarbeiten, hat Patzwaldt abgeleitet, dass Hagen den ominösen Gold-Hort versteckt hat - und zwar in alten römischen Erzstollen in der Nähe von Rheinbach, einer Kleinstadt in der Voreifel unweit von Bonn. Davon, dass namhafte Nibelungenlied-Experten seine Vermutung für hanebüchen halten und einen Schatz der Nibelungen massiv bezweifeln, lässt sich der 50-Jährige nicht abschrecken. Noch sucht Patzwaldt Sponsoren, mit deren Geld er professionell und mit der nötigen Erlaubnis der Landesarchäologen nach seinem Schatz graben könnte. Käme es dazu und behielte er Recht, dürfte sich der Schatzjäger freuen - denn er hätte Anspruch auf eine Hälfte des Schatzwertes, die andere stünde dem Bauern zu, unter dessen Pferdekoppel der Goldhort liegen soll.

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