Arbeitskampf, damit Verzicht nicht von Dauer ist

In Borna streiken 15 Frauen und ein Mann auch für demokratische Grundregeln

  • Hendrik Lasch, Borna
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.

Seit fünf Wochen läuft im sächsischen Borna ein harter Arbeitskampf. Dabei geht es nicht um mehr Geld. Mitarbeiter einer kommunalen Wohnungsgesellschaft wollen lediglich verhindern, dass Gehaltsverzicht zum Dauerzustand wird.

Abends rufen sich die Frauen manchmal gegenseitig an und verabreden sich auf ein Glas in einer Gaststätte. Ein Streik ist nichts für schwache Nerven, und wer allein zu Hause sitzt, kann leicht ins Grübeln und Zweifeln kommen. Zu Weihnachten, sagt Ines Schug, hätte sie sich eine Lösung erhofft: »Das ist schließlich ein Fest der Versöhnung.« Doch in der zweiten Woche des neuen Jahres sind die 15 »zänkischen Weiber« von der Bornaer Wohnungs- und Siedlungsgenossenschaft mbH (BWS) und ihr Kollege noch immer im Ausstand, und ein Ende der Auseinandersetzung scheint in immer weitere Ferne zu rücken. Der Konflikt in dem kommunalen Wohnungsunternehmen, der mittlerweile in die fünfte Woche geht, hat Bedeutung weit über die sächsische Stadt hinaus. Die Genossenschaft steht - wie viele ostdeutsche Großvermieter - wirtschaftlich alles andere als blendend da: Zwar zählt die BWS rund 3500 Mieter, aber ein Fünftel der Wohnungen steht leer. Daher will die Geschäftsleitung bei den Personalkosten sparen. Aus dem Arbeitgeberverband und damit der Tarifbindung hat sich das Unternehmen schon vor Jahren verabschiedet. Jetzt will man sich vollends vom Flächentarif lossagen: Nach Vorstellungen der Chefetage sollen die Mitarbeiter auf ein Drittel ihres Gehalts verzichten. Das, sagt Ines Schug, »können wir uns nicht gefallen lassen«. Sie müsste auf monatlich 500 Euro verzichten. Zwar werden in der Branche »keine Hungerlöhne« gezahlt, wie Martin Lesch, Leipziger Sekretär der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, sagt. Doch nicht nur für die alleinerziehenden Mütter unter den Mitarbeiterinnen wäre die Gehaltskürzung ein schwerer Schlag ins Kontor. Dabei, sagt die BWS-Betriebsratsvorsitzende, »arbeiten viele von uns ohnehin schon für zwei«: Mitte der 90er Jahre hatte die BWS noch über 30 Mitarbeiter; inzwischen sind es ein Drittel weniger. Dass sie von der schwierigen Lage des Betriebes ungerührt seien, müssen sich die Mitarbeiterinnen nicht vorwerfen lassen. Auf eine 2002 eigentlich im Tarif vorgesehene Lohnsteigerung von 2,7 Prozent haben sie freiwillig verzichtet. Auch über ein Auslassen der nächsten Aufstockung seien die Mitarbeiter zu reden bereit, sagt Lesch - nur dürfe das nicht zu permanentem Verzicht führen: »Der Betrieb darf nicht dauerhaft vom Flächentarif abgekoppelt werden.« Zudem wollen die Kolleginnen wissen, wie die wirtschaftliche Lage des Unternehmens wirklich ist. Ein Gutachten von Unternehmensberatern, in dem die Aussichten für die nächsten zehn Jahre aufgezeigt werden, wird dem Betriebsrat jedoch vorenthalten. In dem Konflikt wird inzwischen mit äußerst harten Bandagen gefochten. BWS-Geschäftsführer Jürgen Linke hat den 15 Frauen die Kündigung angedroht und zunächst 13 von ihnen ausgesperrt. Weil die Betroffenen allesamt Gewerkschaftsmitglieder sind, warf ver.di dem Unternehmen »selektive Aussperrung« vor, was rechtlich unzulässig ist. Daraufhin wurde ein am Streik bis dahin nicht beteiligter Mitarbeiter ebenfalls vor die Tür gesetzt - der allerdings kurz darauf in die Gewerkschaft eintrat. Über die Vorgänge tobt nun ein juristischer Streit - einer von mehreren: Weitere Auseinandersetzungen gibt es um das verweigerte Weihnachtsgeld und ein illegal mitgeschnittenes Telefonat zwischen Gewerkschafter Lesch und dem Bornaer Oberbürgermeister Bernd Schröter. Der Rathauschef ist auch Vorsitzender des BWS-Aufsichtsrates, spielt aber bei der Lösung des Konflikts bisher eine »enttäuschende« Rolle, wie Schug konstatiert. Zu ringen haben die streikenden BWS-Mitarbeiter nicht nur mit der Geschäftsführung und dem Rathauschef, sondern auch mit vielen Vorbehalten und Vorurteilen bei Bürgern. Er habe »kein Verständnis« dafür, dass bei der BWS »Westtarif« gezahlt wird, während andere Bornaer für bescheidene Löhne weit pendeln müssen, sagt Mieter Rudi Kleemann. Diese auch von Geschäftsführer Linke verbreitete Behauptung sei allerdings »miese Stimmungsmache«, entgegnet Gewerkschafter Lesch: In der Wohnungswirtschaft würden bereits seit 1995 gleiche Löhne gezahlt. Wer diese jetzt als »Westgehalt« bezeichne, wolle eine Bevorzugung der BWS-Beschäftigten suggerieren. Zudem würde »der Sozialneid geschürt«, sagt Frank Feldmann, PDS-Stadtrat und BWS-Aufsichtsrat: »Wir wollen Lohnangleichung, aber nicht auf dem niedrigen Ost-Niveau.« Immerhin hält es auch Mieter Kleemann, der zur gestrigen Streikversammlung eingeladen wurde, für »nicht in Ordnung«, wie in dem kommunalen Unternehmen mit den Mitarbeitern umgegangen wird. Das vergiftete Betriebsklima belegen nicht nur Äußerungen Linkes in einem Radio-Interview, wonach die Mitarbeiter so streiken würden, wie sie auch arbeiteten: »auf der Couch«. Auch im Aufsichtsrat sind die Arbeitnehmer nicht vertreten. Dass der Betriebsrat übergangen wird, belegen ein früheres Gerichtsurteil und neue Entwicklungen: Die BWS-Telefonzentrale wird inzwischen von der Hauptamtsleiterin der Stadt betreut. Davon wurden weder die Personalvertretungen der Stadt noch der BWS informiert - »ein Rechtsverstoß«, sagt Lesch. Der Gewerkschafter spricht daher inzwischen von einer »Bananenrepublik Borna«, in der grundlegende Rechte missachtet würden. Auch der PDS-Landtagsabgeordnete Karl-Friedrich Zais bemerkt, in dem Konflikt gehe es um die Einhaltung »grundlegender demokratischer Rechte«. Nach einem Besuch bei den Streikenden sagte der Politiker gestern, die Verhältnisse seien »noch finsterer, als ich geglaubt hatte«. Der Abgeordnete glaubt indes auch, dass die Auseinandersetzung »Beispielcharakter für Ostdeutschland« hat: »So dürfte es vielerorts aussehen.« Auch deshalb erscheine es sinnvoll, wenn von außen schlichtend eingegriffen würde, sagt Zais. Anderenfalls dürfte der Streit weiter eskalieren - ein Streit, bei dem es um nicht mehr und nic...

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