Ciorans Liebe

Friedgard Thoma erinnert sich

  • Hans Eisenbrenner
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit dem Namen des rumänischen Philosophen Emil Cioran (»Auf den Gipfeln der Verzweiflung«), der als junger Mann nach Paris gekommen war und dort bis zum Schluss lebte, verbindet sich das Bild von einem abweisenden Einzelgänger. Viele erinnern sich an ihn als Verfasser von Aphorismen, die - in bestechender Brillanz formuliert - das Leben als sinnlos und absurd begreifen. Manche sahen zudem in Cioran (1911-1995) einen Propagandisten des Suizids und hielten ihm vor, selbst die Konsequenz zu scheuen, seinem Leben ein Ende zu setzen. Die Erinnerungen der Kölner Philosophie-Lehrerin Friedgard Thoma, die nun - versehen mit der Dokumentation ihres Briefwechsels und persönlichen Fotos - als Buch vorliegen, zeichnen ein anderes Bild: Cioran erlebte als Siebzigjähriger eine leidenschaftliche Liebe. Es begann mit einem Brief, den Friedgard Thoma voller Bewunderung an Cioran schrieb. Er sei »einer der Wenigen, die ihre Todesangst nicht ideologisch sublimieren, sondern sich der Katastrophe der Geburt stellen«. Ihr habe gefallen, wie der Philosoph mit geschliffenen Gedanken den herrschenden gesellschaftlichen Vorstellungen und Erwartungen begegnet sei. Ihr Brief wurde postwendend beantwortet: »Ich würde mich freuen, Sie kennen zu lernen.« - Die bald darauf folgende erste Begegnung in Paris blieb nicht ohne Folgen. Cioran bekannte der jungen Frau, mit der er diskutierend lange durch die Seine-Metropole gestreift war, in einem Brief sein leidenschaftliches Verlangen. Die »intimsten Szenen«, die in seinem »Geist abgerollt« seien, hätten ihm den Schlaf geraubt. An eine Diskussion über Georg Büchners Erzählung anknüpfend, schließt der Philosoph, der damals schon viele Jahre mit einer französischen Gymnasiallehrerin zusammenlebte: »Mit Ihnen möchte ich mich im Bett über "Lenz" unterhalten.« Dazu ist es offenkundig nie gekommen. Cioran, der seinen »Kopf für immer unter Ihrem Rock begraben möchte«, wird später in einem Brief aus Köln lesen: »In Worten und Briefen bin ich bei Ihnen mehr zu Hause als in der nonverbalen Gestik der Zuneigung. Diese Ihre Zuneigung hat mich (nach meinem Empfinden) verdinglicht, also in einen Gegenstand verwandelt, während ich mich in der subtilen Form eines Briefes als Subjekt realisiere oder es mir zumindest einbilde.« Am liebsten würde sie den nächsten Brief selbst nach Paris bringen, unter der Türe hindurch schieben, um dann sofort zurückzukehren. Zu den Briefen kommen Besuche und Gegenbesuche, das Kennenlernen von Ciorans Lebensgefährtin und ein Treffen im schweizerischen Soglio, zu dem sich neben dem Freund von Friedgard Thoma, mit dem sie sich in einem Trennungsprozess befand, u. a. auch der Schriftsteller Hermann Burger der sich später das Leben nehmen wird, und ihr geschiedener Mann einfindet. Nach den Wochen in den Bergen gesteht Cioran ein, er habe sich Illusionen gemacht. Auch Friedgard Thoma empfindet, dass »etwas« zerbrochen ist. Doch der Austausch mit dem Philosophen wird fortgesetzt - solange es geht. Sein letztes Lebensjahr dämmert Cioran in einem Pariser Pflegeheim vor sich hin. Simone, seine Lebensgefährtin, schwimmt zwei Jahre später in den Atlantik - und kehrt nicht zurück. Zurück bleibt Ciorans Verehrerin. Den Titel ihren Buches entlieh Friedgard Thoma einem Zitat von Colette über die 80-ährige Marguerite Moreno: »Um nichts in der Welt hätte sie darauf verzichtet, lyrisch und vagabund ihren extremen Herbst auszukosten« Das hatte ihr Cioran einst auf eine Serviette geschrieben.
Friedgard Thoma: Um nichts in der Welt. Eine Liebe von Cioran. Weidle-Verlag. 140Seiten, gebunden, 19 Euro

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