Der schwärzeste Tag
Umgang von KPD, SPD und SED mit dem 30. Januar 1933
In ihrem Aufruf vom 11. Juni 1945 hatte die KPD nicht nur Ursachen und Folgen der faschistischen Diktatur erhellt, sondern auch die Frage nach Schuld und Mitschuld an der Katastrophe 1933-45 aufgeworfen und dabei vier Ebenen hervorgehoben:1. Hitler und seine Naziclique, »die aktiven Anhänger und Helfer der Nazipartei«; 2. Hitlers Hintermänner, die »Träger des reaktionären Militarismus«, die »imperialistischen Auftraggeber der Nazipartei, die Herren der Großbanken und Konzerne«; 3. Mitverantwortung jener Deutschen, die Hitler bei den Wahlen von 1932 ihre Stimme gaben, »willenlos und widerstandslos zusahen, wie Hitler die Macht an sich riss, wie er alle demokratischen Organisationen, vor allem die Arbeiterorganisationen, zerschlug und die besten Deutschen einsperren, martern und köpfen ließ«; 4. die Fehler in den eigenen Reihen, das Unvermögen, »die antifaschistische Einheit der Arbeiter, Bauern und Intelligenz entgegen allen Widersachern zu schmieden«. Eine vergleichbare, unterschiedliche Ebenen von Schuld und Verantwortung aufdeckende Betrachtung sucht man im Aufruf des Zentralausschusses der SPD vom 15. Juni 1945 vergeblich.
Als 1946 zum ersten Male nach der Befreiung der Jahrestag des 30. Januar begangen wurde, nahm die KPD-Zeitung nicht am 30., sondern erst am 31. Januar Stellung. Ein peinliches Versäumnis. Sowohl die Tageszeitung der SPD »Das Volk« als auch die von der sowjetischen Besatzungsmacht herausgegebene »Tägliche Rundschau« hatten am 30. Januar ihre Leitartikel dem Jahre 1933 gewidmet. Im Nachgang also brachte das Zentralorgan der KPD einen knappen Beitrag unter der Überschrift »Deutschlands schwarzer Tag«. Er begann mit den Worten: »Gestern vor 13 Jahren kam das faschistische Untier zu Macht. Großgefüttert vom deutschen Großkapital. Gepflegt und gehätschelt von den Keitel-Naturen des deutschen Generalstabs. In den Sattel gehoben von den reaktionären Kreisen um den Herrenklub. Die verschiedensten Interessenten und Repräsentanten des deutschen Großkapitals waren sich einig geworden: Hitler war ihr letzter und bester Trumpf für die Durchführung ihrer imperialistischen Eroberungspläne.«
In unterschiedlichen Variationen sollten diese Aussagen auch künftig der Tenor bleiben. Für 1946 überrascht nicht, dass - im Vorfeld des Zusammenschlusses von KPD und SPD - einseitige Schuldzuweisungen an die Adresse der Sozialdemokratie unterblieben: »Die deutsche Arbeiterbewegung, die allein die Kraft gehabt hätte, den 30. Januar zu verhindern, wenn sie einig gewesen wäre, erinnert sich ihres schwärzesten Tages mit Ingrimm und mit dem festen Vorsatz, seine Wiederkehr zu verhindern mit der schärfsten Waffe, die sie damals nicht zu gebrauchen wusste, der Einheit.«
Insgesamt interessierte die KPD und die SED indes nicht so sehr der Tag selbst, sie interessierten die Ursachen, Zusammenhänge und Folgen von zwölf Jahren faschistischer Herrschaft in Deutschland. Die Jahrestage des 30. Januar 1933 waren kein herausragender Anlass für Rückbesinnung. In ihrem theoretischen Organ »Einheit« hat die SED kein einziges Mal einen »runden« Jahrestag dieses Datums aufgegriffen, in ihrer zentralen Tageszeitung hingegen wiederholt. Dass dies entsprechend der jeweiligen politischen Großwetterlage geschah, überrascht nicht.
In der Erinnerung im Zentralorgan der SED »Neues Deutschland« 1948 traten drei bemerkenswerte, in der Folgezeit mehr oder weniger prononciert beibehaltene Deutungen hervor. Erstens ist ein auffälliger Schwenk in der internationalen Einordnung des 30. Januar zu beobachten. Die Installierung der faschistischen Macht sei hinlänglich bekannt, hieß es. »Viel interessanter ist es heute schon wieder zu beobachten, wie die Reaktion die in den Westzonen etablierte Karikatur auf eine Demokratie sich zunutze macht, um ihr autoritäres Regime aufzurichten. Das amerikanische Monopolkapital spielt dabei die Rolle des Propagandaministeriums unseligen Angedenkens...« Zweitens gerieten nun wieder die rechten sozialdemokratischen Führer in die Schusslinie. Dahingegen wurden die antifaschistischen Verdienste der KPD unter Ernst Thälmann hervorgehoben. Die Berufung auf die antifaschistisch-demokratischen, später sozialistischen Errungenschaften der SBZ und DDR bildete den dritten Argumentationsstrang. In diesen liege die Gewähr, dass sich der 30. Januar nicht wiederhole.
1953 - mittlerweile war die doppelte deutsche Staatsgründung erfolgt - befasste sich ND mit den »Lehren des 30. Januar 1933«. Erneut wurde die Frage gestellt, ob »die Errichtung der faschistischen Hitler-Diktatur unabwendbar« war. Die nun einseitige Antwort lautete: »Nein und nochmals nein!... Aber dazu hätte das deutsche Volk den Rufen und Ratschlägen der Partei Ernst Thälmanns folgen müssen... Ohne die verräterische Politik der rechten sozialdemokratischen Führer... hätten die kriegslüsternen deutschen Imperialisten niemals ihre Hitler-Diktatur errichten können.« Kurzschlüssig waren auch die Vergleiche zwischen dem Untergang der Weimarer Republik und Entwicklungen in der BRD, die »der zunehmenden Faschisierung« des Staatsapparates und der Gesetzgebung beschuldigt wurde.
Der 30. Jahrestag fiel in eine Zeit steigenden Selbstbewusstseins der DDR. Mit dem 13. August 1961 schienen zeitweilig existenzielle Gefahren für den »deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat« gebannt, durch das vom VI. Parteitag der SED im Januar 1963 beschlossene Parteiprogramm der weitere Weg abgesteckt, und mit dem parallel erarbeiteten »Grundriß der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung« meinte die Partei Antworten auf die gravierenden Fragen der jüngeren deutschen Geschichte gegeben zu haben. Von nun an wurde das Gedenken an den 30. Januar 1933 auch mit der Erinnerung an die Schlacht von Stalingrad verbunden. Zur Forderung nach Unterstützung der Friedenskräfte der Bundesrepublik trat eine folgenreiche neue Losung hinzu. Sie lautete: »friedliche Koexistenz zwischen beiden deutschen Staaten«. Je ernster diese Forderung genommen wurde, je stärker sie auch für die Beziehung zwischen beiden deutschen Staaten in Anwendung kam, umso eher verboten sich grobschlächtige Vergleiche zwischen Bundesrepublik und NS-Zeit. Das galt auch für die Kritik an der Sozialdemokratie. So bahnte sich 1968 ein neuer Umgang an.
1973 - der Grundlagenvertrag zwischen DDR und BRD war kurz zuvor unterzeichnet worden - verzichtete ND darauf, an den 40. Jahrestag zu erinnern. In der Folgezeit wurde die Rückschau auf das Jahr 1933 in die Hände der Parteihistoriker gelegt. Zum 30. Januar 1978 gedachte ND in der Wochenendausgabe auf der Geschichtsseite der illegalen KPD mittels neu aufgefundener Dokumente.
Am 50. Jahrestag des 30. Januar konnte und wollte niemand vorbeigehen. Gleichwohl überantwortete das Organ des ZK der SED dieses Thema der Geschichtsseite in der ND-Wochenendausgabe. 1988 war der 30. Januar wieder kein Thema im ND.
Fazit: Betont wurde stets, dass die Zeit der faschistischen Diktatur das schwärzeste Kapitel der deutschen Geschichte darstellt und sich jegliche Relativierungen oder gar Schönfärbereien verbieten. Bedenklich stimmt allerdings, dass im Laufe der Jahre statt einer Vertiefung der Analyse und Ausweitung der Sicht eher eine Verengung stattgefunden hat, die aus tatsächlichen oder vermeintlichen Bedürfnissen eines durch den Kalten Krieg geprägten Politikverständnisses herrührte. Verwiesen sei hier vor allem auf vier vernachlässigte oder gar ausgeklammerte Aspekte: Erstens lässt sich nicht erkennen, dass die SED zu einem tieferen Verständnis der Mechanismen der Machtinstallierung und Machtausübung des Faschismus vorgedrungen sei; die politisch motivierten Vergleiche zwischen dem »Dritten Reich« und der Bundesrepublik zeugen eher von einem Abrücken von manchen Einsichten. Zweitens wurden auch die Urteile über die Rolle der Massen und die Arbeiterklasse oberflächlicher oder verschwanden ganz. Hatte 1945/ 1946 die politische Gretchenfrage gelautet: »Wie hast Du es mit den Nazis gehalten?«, so wurde diese bereits zwei/drei Jahre später durch die Frage ersetzt: »In welchem Lager des Kalten Krieges stehst Du?« Drittens gingen mit dem einseitigen Hervorkehren einer von der KPD gewiesenen antifaschistischen Alternative und des kommunistischen Widerstandes Versäumnisse beim Erinnern an andere Opfer einher, auch im Gedenken an den Holocaust. Viertens blieb die internationale Dimension des 30. Januars und seiner Folgen unterbelichtet. Dazu gehört auch die Tabuisierung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes.
Politisch motivierte Einseitigkeiten, Verzeichnungen und Auslassungen dienen indes nicht der Immunisierung der Bevölkerung gegen neofaschistische Bestrebungen u...
Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.