»True crime« aus dem Nachkriegsberlin
Horst Bosetzky wird 65 und publizierte ein neues Buch
Seinen 65. Geburtstag feiert er heute in einem märkischen Schloss. Ein Krimikönig? Horst Bosetzky, seit zwei Jahren emeritierter Soziologieprofessor und Vorsitzender des Berliner Verbandes deutscher Schriftsteller, würde sich gegen solche Überhöhungen wehren. Als Vater des deutschen Sozio-Krimis veröffentlichte er lange Zeit nur unter Pseudonym: -ky. In den neunziger Jahren machte dann die Familiensaga der Bosetzky-Matuschewskis Furore. Auf annähernd 40 Bücher mit einer Gesamtauflage von 1,5 Millionen Exemplaren kann der Meister zurückblicken und verblüfft auch weiterhin durch seine Produktivität.
Sein jüngster Band: »Der kalte Engel«, ein Roman aus dem Nachkriegsberlin. setzt die Traditionslinie seiner Dokumentarkrimis fort, die er 1995 mit »Wie ein Tier« begonnen hat. Literarische Darstellungen realer Verbrechen haben immer noch Konjunktur. Auch die Berliner Kriminalgeschichte bietet da einiges, wie Bosetzky beweist.
Im Dezember 1949 findet man in Ost- und West-Berliner Ruinen fachmännisch abgetrennte Leichenteile eines Schaustellers aus der DDR und einer 46-jährigen Schreibmaschinenverkäuferin aus Spandau. Kaum vierzehn Tage vergehen, bis die separat agierenden Mordkommissionen in Ost und West eine Verbindung zu der 35-jährigen Krankenschwester Elisabeth Kusian aus Charlottenburg herstellen. Die im Ostteil der Stadt Festgenommene wird im Februar 1950 nach West-Berlin ausgeliefert und steht dort im Januar 1951 vor dem Moabiter Schwurgericht.
Der Roman schildert den Fall Kusian und die Schwierigkeiten der Zusammenarbeit zwischen Ost und West akribisch und mit einer Fülle glaubhafter Personen und Details. In den Kapiteln des dritten Teils liefert Bosetzky ein bedrückendes Psychogramm der von Geltungssucht, Geldmangel und Drogen gebeutelten Täterin, deren Prozess zum Ansturm eines sensationsgeilen Publikums führt. Immer neue Lügen der Kusian und mancherlei Widersprüche in den Zeugenaussagen können nicht verhindern, dass sie zu zwei Mal lebenslänglich Zuchthaus verurteilt wird. Sieben Jahre später stirbt sie in der Haft. Das alles und dazu die passend erfundene Liebesgeschichte zwischen dem Neuköllner Assessor und der Kriminalassistentin aus Karolinenhof erzählt Bosetzky in seinem spannenden Buch vor dem weitgehend stimmigen Hintergrund jener Nachkriegsjahre in der noch nicht vollständig gespaltenen Stadt.
Bosetzky verträgt es, dass man auch an seinem Ehrentag an einem Buch herummäkelt. Die unüberwindbare sprachlich-ideologische Barriere zwischen VP im Osten und Vopo im Westen sollte ihm geläufig sein. Und wenn der ausgewiesene Schienenverkehrsexperte die Volkspolizisten vom Alex zur Hannoverschen Straße über den Lehrter Bahnhof im Westsektor schickt, vergisst er die Buslinie 9. Noch unverzeihlicher: Die DDR-Kriminalistin unternimmt samt Genossen Eltern am Sonntag, dem 14. Januar 1950, einen Spaziergang an der Dahme, statt Karl und Rosa zu ehren.
Nebenbei: Der hölzerne Müggelturm brannte erst 1958 ab und die Umbenennung der Liebknechtstraße verlief um einiges komplizierter als der Autor annimmt. Aber wem sage ich das? Haben wir beide nicht gerade für die Neuauflage unseres geheinsamen Berlin-Lexikons (dtv 2002) eine Reihe ganz...
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