Otto Köhler - Ein Telegramm und das große Feuer

Der Reichstagsbrand in Berlin vor 70 Jahren - wie Geschichte gemacht und verbogen wird

Heute vor 70 Jahren, am 27. Februar 1933, ein Montag, brannte der Reichstag. Sechs Stunden bevor die Flammen aus dem ungeliebten deutschen Parlament schlugen, begann die Aktion Reichstagsbrand. Rudolf Diels, Leiter der politischen Polizei im Preußischen Innenministerium, verschickt ein Telegramm.

Es war Hermann Göring, der Diels zum Leiter der Politischen Polizei in Preußen ernannt hatte. Schon bald - Diels bewährte sich in der Nacht des Reichstagsbrands - wird er ihn zum Chef der neu gegründeten Gestapo machen. In der nun zu Ende gegangenen Weimarer Republik war Diels, Mitglied der Deutschen Staatspartei, im Innenministerium zuständig für das Referat Linksextremismus und unterhielt gute Kontakte zur aufstrebenden NSDAP. Der Text des Diels-Telegramms vom 27. Februar 1933, 15 Uhr: »Kommunisten sollen am Tage der Reichstagswahl bzw. kurz vor- oder nachher zugleich mit dem Ziele der Entwaffnung planmäßige Überfälle auf Polizeistreifen und Angehörige nationaler Verbände beabsichtigen.« Diels ordnete an: »Geeignete Gegenmaßnahmen sind sofort zu treffen, kommunistische Funktionäre erforderlichenfalls in Schutzhaft zu nehmen.« Um 18 Uhr war dieses Polizeifunk-Telegramm bei allen Polizeidienststellen in Preußen eingetroffen. Nach 21 Uhr brannte der Reichstag. Und Joseph Goebbels notierte in sein Tagebuch: »Mitten in der Nacht erscheint noch Oberregierungsrat Diels vom preußischen Innenministerium und gibt mir eingehend Bericht über die bisherigen Maßnahmen. Die Verhaftungen sind reibungslos verlaufen.« Er fügte hinzu: »Wenn Widerstand geleistet wird, dann Straße frei für die SA.« In der Nacht noch diktierte der Berliner Gauleiter und künftige Volksaufklärungsminister seinen Leitartikel für den Angriff: »Nun erhebe dich, deutsche Nation! Nun stehe auf und gib dein Urteil ab! Nun soll am 5. März über die rote Weltpest Gottes Strafgericht, verkündet durch die Stimme des Volkes, hereinbrechen.« Dass der holländische Anarchist Marinus van der Lubbe allein nicht den Reichstag angezündet haben konnte, wird durch zahlreiche Gutachten bestätigt. Er hatte Kontakt zu einer »Allgemeinen Arbeiter-Union«, die seit 1932 von Nazis unterwandert wurde. Einer von ihnen: der SA-Mann Wilfred von Oven, später der letzte Adjutant von Goebbels. Sieben Tage vor dem Reichstagsbrand hatte Reichstagspräsident Göring 25 führende Großindustrielle von Krupp bis IG Farben zu einem Spendenabend mit Adolf Hitler in sein Palais gebeten. »Alle Lebensgüter, die wir besitzen«, erläuterte Hitler den großen Besitzenden, »verdanken wir dem Kampf von Auserlesenen«. Und kam zur Sache: »Wir stehen jetzt vor der letzten Wahl. Sie mag ausfallen, wie sie will, einen Rückfall gibt es nicht mehr, auch wenn die kommende Wahl nicht entscheidet, muss die Entscheidung eben auf anderem Weg fallen Innere Ruhe aber gibt es nicht eher, als bis der Marxismus erledigt ist.« Bevor dann Hjalmar Schacht (»Und nun meine Herren, an die Kasse!«) unter den Industriellen Spendenzusagen für drei Millionen Mark einsammelte, kam Hausherr Göring zu Wort: »Ohne Zweifel haben wir Nationalsozialisten die meiste Arbeit zu leisten, denn wir müssen mit den SA-Leuten in die dunkelsten Quartiere der Großstädte vordringen.« Ein dunkles Quartier erstreckte sich in einem unterirdischen Gang zwischen dem Heizungskeller von Görings Palais und dem eine Woche später brennenden Reichstag. Ob durch diesen Gang in Görings Auftrag SA-Leute mit Brandmaterial in den Reichstag vorgedrungen waren oder ob die SS im Verbund mit Goebbels ihre Finger im Spiel hatte, ist bis heute umstritten. Seit aber das Reichsgericht im Dezember 1933 Dimitroff und Genossen vom Vorwurf der Brandstiftung freisprechen musste, ist klar: Kommunisten hatten den Reichstag nicht angezündet. Kriminalkommissar Dr. Walter Zirpins aber, der als erster van der Lubbe verhörte, schrieb in seinem offiziellen Abschlussbericht vom 3. März 1933: »So ein Bursche, der schon von sich aus bereit ist, umstürzlerische Machenschaften vorzubereiten, konnte der kommunistischen Partei für ihre Ziele nur zu willkommen sein. In ihren Händen war van der Lubbe ein vorzügliches Werkzeug, das in dem Glauben, selbst zu schieben, geschoben wurde« Rudolf Augstein, der 1947 als 23-Jähriger in Hannover den »Spiegel« gründete, war ein Bewunderer Carl von Ossietzkys und seiner »Weltbühne«. In Augsteins Vaterhaus gab es nie einen Zweifel, dass es die Nazis waren, die den Reichstag angezündet hatten. Doch der junge Augstein geriet in schlechte Gesellschaft. 1948 lernte er den alten Gestapo-Chef Diels kennen, der vor den Toren der Stadt das Landgut Twenge besaß und spannende Geschichten erzählen konnte. Nur nicht die, dass auf seine Anordnung in der Reichstagsbrandnacht auch Carl von Ossietzky verhaftet wurde. 1946 in Nürnberg hatte Diels noch ausgesagt, dass die SA den Reichstag angezündet habe, jetzt formulierte er in einer Rechtfertigungsserie im »Spiegel« (»Die Nacht der langen Messer fand nicht statt«), van der Lubbe sei Alleintäter gewesen. Später wiederum, Anfang 1957, schrieb er in Serien für den »stern« und für »weltbild«, es sei doch die SA gewesen. Mitte November ward Diels erschossen. Ein Jagdunfall hieß es, beim Aussteigen aus dem Auto habe er sich selbst in den eigenen Bauch geschossen. Um diese Zeit begann beim »Spiegel« die Vorbereitung für die eigene große Reichstagsbrandserie. Fritz Tobias, der als Autor angegeben wurde, war ein pensionierter sozialdemokratischer Verfassungsschutzmann mit Beziehungen zu alten Nazis. Einer von ihnen: Walter Zirpins, jetzt Leiter des Landeskriminalamtes in Hannover und wenige Jahre zuvor noch als SS-Sturmbannführer Kripochef in Lodz, wo er sich der »Bekämpfung des jüdischen Verbrechertums« widmete. Er ist mit Augstein gut bekannt, betätigt sich nebenberuflich als Informant und Autor des »Spiegel«. Er liefert Tobias das Material für seine Reichstagsbrandgeschichte. Wilfred von Oven, der alte SA- und mögliche Kontakt-Mann zu van der Lubbe, war da schon lange Südamerika-Korrespondent des »Spiegel«. Der ehemalige Goebbels-Adjutant hatte in einem Leserbrief an den »Spiegel« einige Angaben zum 20. Juli »richtig« gestellt. Augstein lud ihn nach Hannover, plauderte die ganze Nacht mit ihm und stellte ihn dann an. Die erste Fassung der Reichstagsbrandserie von Tobias wurde von SS-Obersturmbannführer Paul Carl Schmidt bearbeitet, einem Mann, der sein Handwerk verstand. Als Sprecher des Auswärtigen Amtes und rechte Hand Joachim von Ribbentropps hatte er vor der Deportation der Budapester Juden nach Auschwitz im Mai 1944 angeregt, man solle etwaigen »Gräuel«-Berichten im Ausland durch Sprengstoff-Funde in jüdischen Vereinshäusern und Synagogen entgegentreten. Nach seiner »Spiegel«-Tätigkeit schrieb er für Axel Springer Rechtfertigungsberichte über die Wehrmacht. Die »Spiegel«-Serie über den Reichstagsbrand, die 1959 erschien, gedieh zur Sensation. Rudolf Augstein schrieb: »Es bleibt nicht der Schatten eines Beleges, um den Glauben an die Mittäterschaft der Nazi-Führer lebendig zu erhalten.« Die »Spiegel«-Serie wurde für die Bundesrepublik geschichtliche Wahrheit, an der jahrzehntelang kaum noch ein Historiker zu rütteln wagte (erst 2001 erschien »Der Reichstagsbrand. Wie Geschichte gemacht wird« von Alexander Bahar und Wilfried Kugel). Ein Komitee unter dem Schweizer Historiker Walther Hofer, das Widerstand gegen das vom »Spiegel« verordnete Geschichtsbild organisierte, operierte sehr unglücklich und setzte sich berechtigter Kritik aus. Und das Institut für Zeitgeschichte in München, das der »Spiegel«-Geschichte heftig misstraute und die Mittel in der Hand gehabt hätte, die Rolle der Nazis zu ergründen, k...

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