Köpfe bleiben hier, Hände wandern
Im Zittauer Dreiländereck hoffen Unternehmen auf die künftig offenen Grenzen nach Osten
In einem Jahr gehören Polen und Tschechien zur Europäischen Union. Die Grenzöffnung sorgt oft für gemischte Gefühle. Doch Unternehmer in Ostsachsen versprechen sich auch eine wirtschaftliche Belebung.
Selbst auf der Sparkasse wurde er gefragt: »Warum Zittau?!« Jahrelang haben die Kundenberater des Geldinstituts im östlichsten Zipfel Sachsens eher Akten geschlossen als eröffnet: wegen Insolvenz, wegen Wegzug. Nun kommt ein 67-Jähriger, der in Heidelberg ein florierendes Unternehmen betrieb, und will sich in Zittau niederlassen. Er habe, sagt Wolfgang Hanke, sehr zweifelnde Blicke geerntet.
Die Oberlausitz im Dreiländereck mit Polen und Tschechien gilt nicht nur unter Einheimischen als verlorener Landstrich. Zwar bezeichnen Werbeleute die Gegend beharrlich als »Anfang von Deutschland«. Viele Einwohner jedoch benutzen lieber ein anderes A-Wort. Statistiken bestärken das Bild verlorner Randlage. Zittau hat trotz malerischer Innenstadt seit 1990 jeden dritten Einwohner verloren. Die Zahl der Industriearbeitsplätze ist von 9000 auf 1000 eingebrochen. Sie liegt bei einem Drittel des sächsischen Durchschnitts.
Wolfgang Hanke jedoch kam, gerade weil Zittau an der Ostgrenze liegt. Der Unternehmer leitet eine Firma, die Werkzeuge für die Drahtmaschinen-Industrie herstellt. In der Branche hat eine Wanderungsbewegung eingesetzt: Ganze Betriebe wurden nach Ungarn, Polen und in die Slowakei verlagert. Um näher bei seinen Kunden zu produzieren, gründete auch Hanke bereits 1993 eine Niederlassung in der Slowakei. Als ihm jetzt in Heidelberg der Platz zum Expandieren verwehrt wurde, entschloss er sich zum vollständigen Umzug. Er wollte näher an seiner Filiale sein, sagt der Seniorchef, »aber wir wollten nicht aus Deutschland weggehen«. Die geografischen Prämissen führten ihn nach Zittau.
Holger Knüpfer hat solche Kapitalbewegungen erwartet. Das Energiebündel ist im Zittauer Rathaus für die Wirtschaftsförderung zuständig. Seine Fürsorge hat schon viele Betriebe in alte Industriegelände und ein neues Gewerbegebiet unmittelbar am Grenzfluss Neiße gezogen. Knüpfer rechnet damit, noch mehr zu tun zu bekommen. 2004 werden Polen und Tschechien zu Mitgliedern der Europäischen Union. Der Ansiedlungsbeauftragte gehört zu denjenigen, die sich davon eine wirtschaftliche Belebung der Region erwarten: »Wir liegen dann in der Mitte Europas.«
Für die EU-Osterweiterung werden im sächsischen Grenzgebiet mehrere Szenarien gezeichnet. Das düstere prophezeit weitere Talfahrt: Ungehemmt von rechtlichen Regularien könnten weitere Unternehmen gen Osten abwandern und dort bei niedrigeren Löhnen produzieren. Umgekehrt könnten Pendler aus den Nachbarländern die Arbeitslosenquote, die schon jetzt bei 25 Prozent liegt, weiter in die Höhe treiben.
Solche Szenarien voller Angst und Skepsis werden jedoch auf beiden Seiten der heutigen Grenze entworfen. In Deutschland ängstigt man sich vor Dumpinglöhnen und fehlenden sozialen Standards; jenseits der Grenze, sagt der Löbauer CDU-Angeordnete Heinz Lehmann, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im sächsischen Landtag, herrsche »Angst vor der technologischen Überlegenheit der Deutschen«, die seit zwölf Jahren dank EU-Höchstförderung gerade im Osten der Bundesrepublik ausgebaut wurde.
Optimistische Bilder
über Arbeitsteilung
Unternehmer und Politiker bemühen sich um ein optimistischeres Bild. Sie verweisen auf Beispiele wie die Firma Hanke, die zwar arbeitsintensive Teile der Produktion nach Osteuropa verlagert hat, aber technologisch anspruchsvolle Prozesse in Deutschland an der Grenze konzentriert - ähnlich wie viele Textilfirmen der Region oder ein Lausitzer Waggonbauer, der Wagenkästen in Tschechien schweißen lässt, um sie dann diesseits der Grenze zu komplettieren. »Der Kopf bleibt in Deutschland, die Hände wandern nach Osten«, sagt Knüpfer. Die teilweise Abwanderung mag zwiespältige Gefühle auslösen, räumt er ein: »Aber es wäre schlechter, wenn es hier auch keinen Kopf mehr gäbe.«
Immer mehr Unternehmen suchen inzwischen die Arbeitsteilung über die Grenze hinweg. Beispiel: die Zittauer Firma Technocoat. In dem Hightech-Betrieb werden in einem Plasma-Vakuumverfahren Medizinische und Sanitärgeräte oder Ausrüstungsteile für Segeljachten mit hauchdünnen Metallschichten überzogen. Bei der Forschung arbeitet Firmenchef Burkhard Scholz mit der Universität Liberec zusammen. Dort gibt es allein im Bereich Maschinenbau 2000 Studenten und 200 Lehrkräfte - ein Potenzial, von dem man an der Zittauer Hochschule nur träumen kann. Eine enge technologische Zusammenarbeit existiert auch zu einem Prager Betrieb. Als Konkurrenten sieht Scholz die tschechischen Unternehmen nicht: »Es dauert fünf bis zehn Jahre, um in einen Markt wie den westeuropäischen einzudringen.«
Eine Zusammenarbeit, bei der die besten Bedingungen beider Seiten genutzt werden - so stellen sich viele Politiker die EU-Erweiterung vor. Von einem »Modell der konkurrierenden Kooperation, das allen hilft«, schwärmt Sachsens Wirtschaftsminister Martin Gillo (CDU). Erwartungsfroh verweist er auf grenzübergreifende Gewerbegebiete, wie sie zwischen Zittau, dem tschechischen Hradek nad Nisou und dem polnischen Bogatyna geplant werden. Mittelständler, so das Kalkül, sollen dort die Möglichkeit bekommen, unter vertrauten deutschen Gesetzen zu arbeiten, aber auch die Vorteile eines osteuropäischen Standortes ausnutzen zu können: »Der Chef kann mit dem Fahrrad in der Filiale nach dem Rechten schauen«, beschreibt Holger Knüpfer.
Gegen alle pessimistischen Prognosen scheint der Standort Deutschland dabei auch nach einer EU-Erweiterung über Pfunde zu verfügen, mit denen er wuchern kann. Die »ausgezeichnete Infrastruktur« etwa lobt David Schaefer, Manager des US-Unternehmens Cloyes, das derzeit bei Zittau seine erste europäische Niederlassung eröffnet. Der Betrieb fertigt Zahnräder für die Motorsteuerung in Autos und hat als Kunden die japanischen Fahrzeughersteller im Visier, die vor allem in Ungarn große Werke errichteten. Cloyes jedoch ging selbst nicht nach Ungarn, sondern nach Sachsen. Schaefer begründet das mit »weichen« Standortfaktoren: Bildungs und Ausbildung, intensive Betreuung bei der Ansiedlung: »So etwas gibt es in Osteuropa noch nicht.«
Freilich: So reibungslos funktioniert die Zusammenarbeit bisher nicht. Tschechische Studenten in Zittau klagen über die fehlende Anerkennung ihres Abiturs. Und vom grenzüberschreitenden Gewerbeverbund ist auf polnischer Seite derzeit kaum etwas zu sehen. In dem zentralistisch strukturierten Land, wo Entscheidungen im vergleichsweise weit entfernten Wroclaw oder gar in Warschau getroffen werden, ist der südwestliche Zipfel aus dem Blick geraten, klagt Bürgermeister Zbigniew Szatkowski: Investiert wird überwiegend in den östlichen Landesteilen, die bald an der neuen EU-Außengrenze liegen. Gravierende Auswirkungen hat das auf den Neubau der Bundesstraße 178, die Zittau an die Autobahn A4 anschließen und in südliche Richtung mit Prag verbinden soll. Für optimistische Prognosen im Dreiländereck ist sie, wie Unternehmer betonen, die entscheidende Voraussetzung. Doch seit zehn Jahren passiert nichts. Statt dessen wird gestritten, ob auch Polen angebunden werden soll. Sächsische Politiker sind daran interessiert; andernfalls würde die Region geteilt, warnen sie. Die Bundesregierung will den polnischen Streckenabschnitt sogar vollständig finanzieren. Grünes Licht aus Warschau gibt es trotzdem nicht. Kenner der Verhältnisse verweisen resigniert auf »Mentalitätsunterschiede«. Die Geduld scheint jetzt am Ende: »Die Straße wird gebaut«, sagt Minister Gillo, »Polen kann entscheiden, ob es dabei sein will.«
Auch andere Entwicklungen in Polen und Tschechien sind kaum vorhersagbar. Das Wohlstandsgefälle zum Westen wird die Grenzöffnung nicht binnen kurzem beseitigen. Ob aber deshalb Facharbeiter auf der Suche nach besser bezahlten Stellen nach Deutschland kommen, gilt als völlig offen. Hedvika Zimmermanova, Bürgermeisterin von Hradek, glaubt das nicht. Pendlern erschienen selbst die 30 Kilometer nach Liberec als zu weit: »Die Tschechen sind sehr bodenständig.« Ähnliches wäre aber einst wohl auch über die Lausitzer gesagt worden, die seither zu Tausenden abgewandert sind.
Neue Facharbeiter
aus Polen und Tschechien?
Für den tschechischen Arbeitsmarkt prophezeien Kenner nach der EU-Erweiterung und dem Auslaufen der Übergangsregelungen einen Einbruch. Zwar betont Jiri Strazil, Chef der Textilfirma Elas in Hradek, der Betrieb sei seit 1990 neu strukturiert worden und produziere längst nach EU-Richtlinien. Elas fabriziert Gurtbänder für Miederwaren und verkauft bisher überwiegend nach Polen. Doch das teure Marktsegment wird von der österreichischen Konkurrenz beherrscht; preiswerte Ware bieten in der EU viele ostasiatische Firmen an. Denkbar ist, dass Elas nach der EU-Erweiterung zwischen diese Mühlsteine gerät. Vielen personalintensiven osteuropäischen Firmen geben Fachleute keine große Chance.
Wirtschaftsinstitute rechnen deshalb damit, dass jährlich 120 000 Facharbeiter aus Osteuropa auf den deutschen Arbeitsmarkt drängen könnten. In der sächsischen Grenzregion hofft man, gewappnet zu sein, und baut dabei ironischerweise auf die niedrigen Löhne in der Lausitz.
Die für Unternehmer vorteilhafte Bedingungen in der Grenzregion werden, darüber sind sich Kenner einig, dem Dreiländereck ohnehin nur für eine begrenzte Zeit nutzen. Von »Kostenvorteilen temporärer Natur« spricht Holger Knüpfer. Und Drahtmaschinen-Lieferant Wolfgang Hanke berichtet, seine Kunden seien bereits wieder unterwegs. Sie beginnen, ihre Betriebe aus der Slowakei oder Ungarn in die Ukraine zu verlagern - jenseits der künftigen EU-Außengrenze. »Die Karawane zieht weiter«, sagt der Neu-Zittauer Hanke. Wenn aber die Hände sich entfernen, muss der Kopf irgendwann nachziehen.Selbst auf der Sparkasse wurde er gefragt: »Warum Zittau?!« Jahrelang haben die Kundenberater des Geldinstituts im östlichsten Zipfel Sachsens eher Akten geschlossen als eröffnet: wegen Insolvenz, wegen Wegzug. Nun kommt ein 67-Jähriger, der in Heidelberg ein florierendes Unternehmen betrieb, und will sich in Zittau niederlassen. Er habe, sagt Wolfgang Hanke, sehr zweifelnde Blicke geerntet.
Die Oberlausitz im Dreiländereck mit Polen und Tschechien gilt nicht nur unter Einheimischen als verlorener Landstrich. Zwar bezeichnen Werbeleute die Gegend beharrlich als »Anfang von Deutschland«. Viele Einwohner jedoch benutzen lieber ein anderes A-Wort. Statistiken bestärken das Bild verlorner Randlage. Zittau hat trotz malerischer Innenstadt seit 1990 jeden dritten Einwohner verloren. Die Zahl der Industriearbeitsplätze ist von 9000 auf 1000 eingebrochen. Sie liegt bei einem Drittel des sächsischen Durchschnitts.
Wolfgang Hanke jedoch kam, gerade weil Zittau an der Ostgrenze liegt. Der Unternehmer leitet eine Firma, die Werkzeuge für die Drahtmaschinen-Industrie herstellt. In der Branche hat eine Wanderungsbewegung eingesetzt: Ganze Betriebe wurden nach Ungarn, Polen und in die Slowakei verlagert. Um näher bei seinen Kunden zu produzieren, gründete auch Hanke bereits 1993 eine Niederlassung in der Slowakei. Als ihm jetzt in Heidelberg der Platz zum Expandieren verwehrt wurde, entschloss er sich zum vollständigen Umzug. Er wollte näher an seiner Filiale sein, sagt der Seniorchef, »aber wir wollten nicht aus Deutschland weggehen«. Die geografischen Prämissen führten ihn nach Zittau.
Holger Knüpfer hat solche Kapitalbewegungen erwartet. Das Energiebündel ist im Zittauer Rathaus für die Wirtschaftsförderung zuständig. Seine Fürsorge hat schon viele Betriebe in alte Industriegelände und ein neues Gewerbegebiet unmittelbar am Grenzfluss Neiße gezogen. Knüpfer rechnet damit, noch mehr zu tun zu bekommen. 2004 werden Polen und Tschechien zu Mitgliedern der Europäischen Union. Der Ansiedlungsbeauftragte gehört zu denjenigen, die sich davon eine wirtschaftliche Belebung der Region erwarten: »Wir liegen dann in der Mitte Europas.«
Für die EU-Osterweiterung werden im sächsischen Grenzgebiet mehrere Szenarien gezeichnet. Das düstere prophezeit weitere Talfahrt: Ungehemmt von rechtlichen Regularien könnten weitere Unternehmen gen Osten abwandern und dort bei niedrigeren Löhnen produzieren. Umgekehrt könnten Pendler aus den Nachbarländern die Arbeitslosenquote, die schon jetzt bei 25 Prozent liegt, weiter in die Höhe treiben.
Solche Szenarien voller Angst und Skepsis werden jedoch auf beiden Seiten der heutigen Grenze entworfen. In Deutschland ängstigt man sich vor Dumpinglöhnen und fehlenden sozialen Standards; jenseits der Grenze, sagt der Löbauer CDU-Angeordnete Heinz Lehmann, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im sächsischen Landtag, herrsche »Angst vor der technologischen Überlegenheit der Deutschen«, die seit zwölf Jahren dank EU-Höchstförderung gerade im Osten der Bundesrepublik ausgebaut wurde.
Optimistische Bilder
über Arbeitsteilung
Unternehmer und Politiker bemühen sich um ein optimistischeres Bild. Sie verweisen auf Beispiele wie die Firma Hanke, die zwar arbeitsintensive Teile der Produktion nach Osteuropa verlagert hat, aber technologisch anspruchsvolle Prozesse in Deutschland an der Grenze konzentriert - ähnlich wie viele Textilfirmen der Region oder ein Lausitzer Waggonbauer, der Wagenkästen in Tschechien schweißen lässt, um sie dann diesseits der Grenze zu komplettieren. »Der Kopf bleibt in Deutschland, die Hände wandern nach Osten«, sagt Knüpfer. Die teilweise Abwanderung mag zwiespältige Gefühle auslösen, räumt er ein: »Aber es wäre schlechter, wenn es hier auch keinen Kopf mehr gäbe.«
Immer mehr Unternehmen suchen inzwischen die Arbeitsteilung über die Grenze hinweg. Beispiel: die Zittauer Firma Technocoat. In dem Hightech-Betrieb werden in einem Plasma-Vakuumverfahren Medizinische und Sanitärgeräte oder Ausrüstungsteile für Segeljachten mit hauchdünnen Metallschichten überzogen. Bei der Forschung arbeitet Firmenchef Burkhard Scholz mit der Universität Liberec zusammen. Dort gibt es allein im Bereich Maschinenbau 2000 Studenten und 200 Lehrkräfte - ein Potenzial, von dem man an der Zittauer Hochschule nur träumen kann. Eine enge technologische Zusammenarbeit existiert auch zu einem Prager Betrieb. Als Konkurrenten sieht Scholz die tschechischen Unternehmen nicht: »Es dauert fünf bis zehn Jahre, um in einen Markt wie den westeuropäischen einzudringen.«
Eine Zusammenarbeit, bei der die besten Bedingungen beider Seiten genutzt werden - so stellen sich viele Politiker die EU-Erweiterung vor. Von einem »Modell der konkurrierenden Kooperation, das allen hilft«, schwärmt Sachsens Wirtschaftsminister Martin Gillo (CDU). Erwartungsfroh verweist er auf grenzübergreifende Gewerbegebiete, wie sie zwischen Zittau, dem tschechischen Hradek nad Nisou und dem polnischen Bogatyna geplant werden. Mittelständler, so das Kalkül, sollen dort die Möglichkeit bekommen, unter vertrauten deutschen Gesetzen zu arbeiten, aber auch die Vorteile eines osteuropäischen Standortes ausnutzen zu können: »Der Chef kann mit dem Fahrrad in der Filiale nach dem Rechten schauen«, beschreibt Holger Knüpfer.
Gegen alle pessimistischen Prognosen scheint der Standort Deutschland dabei auch nach einer EU-Erweiterung über Pfunde zu verfügen, mit denen er wuchern kann. Die »ausgezeichnete Infrastruktur« etwa lobt David Schaefer, Manager des US-Unternehmens Cloyes, das derzeit bei Zittau seine erste europäische Niederlassung eröffnet. Der Betrieb fertigt Zahnräder für die Motorsteuerung in Autos und hat als Kunden die japanischen Fahrzeughersteller im Visier, die vor allem in Ungarn große Werke errichteten. Cloyes jedoch ging selbst nicht nach Ungarn, sondern nach Sachsen. Schaefer begründet das mit »weichen« Standortfaktoren: Bildungs und Ausbildung, intensive Betreuung bei der Ansiedlung: »So etwas gibt es in Osteuropa noch nicht.«
Freilich: So reibungslos funktioniert die Zusammenarbeit bisher nicht. Tschechische Studenten in Zittau klagen über die fehlende Anerkennung ihres Abiturs. Und vom grenzüberschreitenden Gewerbeverbund ist auf polnischer Seite derzeit kaum etwas zu sehen. In dem zentralistisch strukturierten Land, wo Entscheidungen im vergleichsweise weit entfernten Wroclaw oder gar in Warschau getroffen werden, ist der südwestliche Zipfel aus dem Blick geraten, klagt Bürgermeister Zbigniew Szatkowski: Investiert wird überwiegend in den östlichen Landesteilen, die bald an der neuen EU-Außengrenze liegen. Gravierende Auswirkungen hat das auf den Neubau der Bundesstraße 178, die Zittau an die Autobahn A4 anschließen und in südliche Richtung mit Prag verbinden soll. Für optimistische Prognosen im Dreiländereck ist sie, wie Unternehmer betonen, die entscheidende Voraussetzung. Doch seit zehn Jahren passiert nichts. Statt dessen wird gestritten, ob auch Polen angebunden werden soll. Sächsische Politiker sind daran interessiert; andernfalls würde die Region geteilt, warnen sie. Die Bundesregierung will den polnischen Streckenabschnitt sogar vollständig finanzieren. Grünes Licht aus Warschau gibt es trotzdem nicht. Kenner der Verhältnisse verweisen resigniert auf »Mentalitätsunterschiede«. Die Geduld scheint jetzt am Ende: »Die Straße wird gebaut«, sagt Minister Gillo, »Polen kann entscheiden, ob es dabei sein will.«
Auch andere Entwicklungen in Polen und Tschechien sind kaum vorhersagbar. Das Wohlstandsgefälle zum Westen wird die Grenzöffnung nicht binnen kurzem beseitigen. Ob aber deshalb Facharbeiter auf der Suche nach besser bezahlten Stellen nach Deutschland kommen, gilt als völlig offen. Hedvika Zimmermanova, Bürgermeisterin von Hradek, glaubt das nicht. Pendlern erschienen selbst die 30 Kilometer nach Liberec als zu weit: »Die Tschechen sind sehr bodenständig.« Ähnliches wäre aber einst wohl auch über die Lausitzer gesagt worden, die seither zu Tausenden abgewandert sind.
Neue Facharbeiter
aus Polen und Tschechien?
Für den tschechischen Arbeitsmarkt prophezeien Kenner nach der EU-Erweiterung und dem Auslaufen der Übergangsregelungen einen Einbruch. Zwar betont Jiri Strazil, Chef der Textilfirma Elas in Hradek, der Betrieb sei seit 1990 neu strukturiert worden und produziere längst nach EU-Richtlinien. Elas fabriziert Gurtbänder für Miederwaren und verkauft bisher überwiegend nach Polen. Doch das teure Marktsegment wird von der österreichischen Konkurrenz beherrscht; preiswerte Ware bieten in der EU viele ostasiatische Firmen an. Denkbar ist, dass Elas nach der EU-Erweiterung zwischen diese Mühlsteine gerät. Vielen personalintensiven osteuropäischen Firmen geben Fachleute keine große Chance.
Wirtschaftsinstitute rechnen deshalb damit, dass jährlich 120 000 Facharbeiter aus Osteuropa auf den deutschen Arbeitsmarkt drängen könnten. In der sächsischen Grenzregion hofft man, gewappnet zu sein, und baut dabei ironischerweise auf die niedrigen Löhne in der Lausitz.
Die für Unternehmer vorteilhafte Bedingungen in der Grenzregion werden, darüber sind sich Kenner einig, dem Dreiländereck ohnehin nur für eine begrenzte Zeit nutzen. Von »Kostenvorteilen temporärer Natur« spricht Holger Knüpfer. Und Drahtmaschinen-Lieferant Wolfgang Hanke berichtet, seine Kunden seien bereits wieder unterwegs. Sie beginnen, ihre Betriebe aus der Slowakei oder Ungarn in die Ukraine zu verlagern - jenseits der künftigen EU-Außengrenze. »Die Karawane zieht weiter«, sagt der Neu-Zittauer Hanke. Wenn aber die Hände sich entfernen, muss der Kopf irgendwann nachziehen.
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