Leben wie in einem alten russischen Dorf

Weltweit einzigartige Potsdamer Siedlung Alexandrowka rekonstruiert

  • Manfred Rey
  • Lesedauer: 3 Min.
»Niemals würde ich in eine Stadtwohnung ziehen«, sagt Joachim Grigorieff, während er Äpfel und Pflaumen aus seinem Garten zum Verkauf in einen Korb legt. Der 64-Jährige wohnt in der weltweit einzigen erhaltenen historischen russischen Holzhaussiedlung Alexandrowka in Potsdam. Diese hatte Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. 1826 zu Ehren seines Schwagers Zar Alexander I. errichten lassen. Die 6,5 Hektar große Siedlung umfasst 14 Häuser und eine kleine russisch-orthodoxe Kapelle. Seit 1999 gehört sie zum Weltkulturerbe der UNESCO. Grigorieff ist Nachfahre der ersten Einwohner der Siedlung. Dabei handelte es sich um zwölf Sänger eines aus einstmals 62 Mitgliedern bestehenden Chores, der aus etwa 500 Kriegsgefangenen hervorgegangen war. Sie waren 1812 während des Russlandfeldzugs Napoleons einem preußischen Hilfscorps in die Hände gefallen und dem Preußenkönig in Potsdam übergeben worden. Wenig später kämpften Preußen und Russland gegen Napoleon. Als Dank schenkte Alexander I. seinem Schwager den Chor. Für den gelernten Bauarbeiter Grigorieff gibt es nichts Schöneres, als seine Obstbäume zu pflegen. Stolz ist er auf eine Rarität, die alte russische Apfelsorte Scharlomowski. Die saftigen, süßen Früchte gebe es in der Region nur bei ihm. Schon zu DDR-Zeiten verkaufte er mit seiner Lebensgefährtin Irmgard Obst an russische Soldaten. Heute sind es vor allem Touristen, die das Viertel nahe dem Gelände der Bundesgartenschau besuchen und einen Blick über den Holzzaun werfen. Seit der Wende hat sich das Bild von Alexandrowka erheblich verändert. Baumalleen wurden wieder angepflanzt, Holzzäume und Eingangstore erneuert und ein Brunnen im Zentrum errichtet. »Die Vorlagen bildeten historische Darstellungen des bei St. Petersburg gelegenen ehemaligen russischen Dorfes Gla- sowa«, sagt Potsdams Stadtkonservator Andreas Kalesse. Errichtet wurde die Kolonie, deren Grundriss ein Andreaskreuz bildet, nach Plänen des bekannten Landschaftsgärtners Peter Joseph Lenné. Auch das Obstgehölz wird nach historischem Vorbild angepflanzt. Mittlerweile gibt es 136 Apfel- und 42 Birnensorten sowie 90 Beerensträucher in der Siedlung, insgesamt rund 450 verschiedene Obstgehölze. »Damit haben wir eine der größten historischen Obstbaumpflanzungen«, schwärmt Kalesse. Eine geplante Gemeinschaftsstiftung Historische Gärten soll Erhalt und Pflege auch dieser Anlage sichern. Etwa die Hälfte der Häuser der Siedlung fiel nach der Wende in die Obhut der Stadt Potsdam. Bis auf eines sind mittlerweile alle Häuser wieder in Privatbesitz. Noch in diesem Jahr soll im so genannten Aufseherhaus im Zentrum des Dorfes eine öffentliche Teestube einziehen, im Nachbarhaus ist eine kleine Museumsetage über die Siedlung geplant. Noch etwa zwei Jahre wird es dauern, bis die Rekonstruktion des Dorfes völlig beendet ist. »Wenn auch die Nachpflanzung der Obstbäume abgeschlossen ist, werden wir hier ein riesiges Blütenmeer sehen können«, ist sich Kalesse sicher.ddp

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