Totgequasselt

»Die Unterrichtsstunde« von Eugène Ionesco am carrousel Theater Berlin

  • Ingeborg Pietzsch
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Ich finde, dass die Welt als Ganzes absurd ist...«, hat der Dramatiker Ionesco 1969 bekannt. Eine solche Weltbetrachtung muss zwangsläufig »in einem Theater des Absurden ihren Ausdruck finden«. Tiefgründige Deutungsversuche (die auch immer wieder bei Becketts Stücken unternommen werden) laufen deshalb ins Leere. Die Geschichte der »Unterrichtsstunde« mag man, wenn man denn unbedingt darauf drängt, als Macht- oder Geschlechterkampf interpretieren; doch letztlich sind das dem »komischen Drama« aufgepfropfte Interpretationen. Der Witz des Stückes ist eben die mit Logik nicht erklärbare Absurdität der Vorgänge: Ein alternder Professor »belehrt« eine neue Schülerin so lange mit den aberwitzigsten »Weisheiten«, bis er sie regelrecht totgequasselt hat, das resolute, aber ihm ergebene Dienstmädchen hilft, die inzwischen vierzigste Leiche abzutransportieren, während die nächste Schülerin bereits vor der Tür steht. Im Berliner carrousel Theater hatte Sewan Latschinian die Regie für das Drei-Personen-Stück übernommen, und ihm ist höchste Achtung dafür zu zollen, dass er (und wie!) dem Autor seinen Respekt erwies. Latschinian maßte sich nicht an, das Stück zu zerlegen, zu entkernen, Neues hinzuzufügen, wie es Mode geworden ist; bis in die szenischen Anweisungen hinein hielt er sich fast akribisch an die Empfehlungen des Autors (Gleiches gilt für die Ausstattung von Hans Poll). Auch ließ der Regisseur völlig ernst spielen, vertraute - indem er die Figuren über lange Zeit »normal«, ja, »realistisch« agieren ließ - zu Recht dem Widerspruch von Wort und Handlung. Die Komik ergibt sich dann zwangsläufig aus dem Ernst, mit dem der unglaubliche Blödsinn an professoralen Weisheiten zum Besten gegeben wird. Und erst am bedrohlichen Schluss, wenn der aufgeputschte Professor das imaginäre Messer zückt, hinter dem Fenster ein blutroter Himmel aufleuchtet und schließlich der ganze Raum in ein fahles, gelbes Licht getaucht scheint, wird das Absurde so gesteigert, dass Unheimliches die bis dato gefälligen Konventionen unterläuft. Doch das tötende Messer existiert nur fiktiv, und der »Mord« bleibt trotz hingestreckter »Leiche« dadurch doch nur ein Spiel. Manfred Struck, tadellos gekleidet in Gehrock und Weste, mit goldener Taschenuhr, glatt gesträhntem Haar und zierlicher Brille, spielt nuancenreich und sehr komisch den Professor. Zu Beginn geradezu unsicher, leicht stotternd und verlegen gegenüber der neuen Schülerin, gewinnt dieser kleine Diktator immer mehr an Selbstsicherheit, steigert sich wollüstig in blödsinnige Wortkaskaden, stolziert im Zimmer herum, wird ärgerlich, dann böse, droht, zwischenzeitlich glüht so etwas wie lüsterne Anmache auf... Sitzt er zu Beginn der Stunde dem Mädchen noch gegenüber und gibt sich weltmännisch- professoral, so rückt er ihm später im wahrsten Wortsinn immer mehr auf den Leib, bis er es, hinter ihm stehend, es manipulierend, nahezu »eingefangen« hat. Der Mord zeigt ihn dann »weggetreten«, ganz außer sich, für Momente an Caligari oder Dracula erinnernd, ehe er zur »Besinnung« kommt, zum weinerlichen Bündel schrumpft, aber schließlich in die alte Fasson zurückfindet. Johanna-Julia Spitzer gibt die Schülerin, eine kecke, von sich recht überzeugte Person im kurzen Röckchen, mit weißen Kniestrümpfen und geflochtenen Zöpfchen. Eine, die allein im Zimmer, schon mal auf den Stuhl klettert, um nachzuschauen, was sich auf dem Bücherregal verbirgt. Die etwas zu naiv vorgetragene Selbstsicherheit der Schauspielerin geht dann glaubwürdig in ein jammervolles Zusammenschrumpfen der Figur, klägliches Wimmern wegen heftigem Zahnweh und schließlich völlige Konfusion über. Sie flüchtet vor den wortgewaltigen Attacken mal unter den Tisch, mal probiert sie den Kopfstand. Völlig erschlafft, erledigt und zermürbt lässt sie sich dann »ermorden«. Die Dritte im Bunde ist Birgit Berthold, die überzeugend einen resoluten Hausdrachen spielt, auch sie »verrückt«, weil sie genau um den Ausgang der Unterrichtsstunde weiß, zwar immer wieder mahnt, heftig am Rockärmel des Professors zottelnd, aber letztlich nicht eingreift und dann nur einmal mehr den Tröde...

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