Der Ende Mai im grenznahen französischen Evian beginnende G-8-Gipfel bereitet auch den in der Schweiz für Ordnung und Sicherheit Zuständigen Sorgen. Zu einer Demonstration von Globalisierungskritikern am 1. Juni in Genf werden rund 100000 Teilnehmer erwartet.
Das kommende Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der acht wichtigsten Industrieländer im französischen Evian stellt für die Schweiz eine bislang unbekannte sicherheitspolitische Herausforderung dar, ließ sich Anfang der Woche die zuständige Bundesrätin Ruth Metzler vernehmen. Der Bund hat bereits 1500 Polizisten sowie knapp 6000 Soldaten abgestellt. Derzeit fehlen der Genfer Polizeidirektion jedoch noch weitere 1500 Ordnungshüter. Mit Hilfe anderen Kantone hofft man noch 700 rekrutieren zu können.
Angesichts solcher Defizite erinnerte sich Metzler an ein Dokument, das sie am 27. März 1999 gemeinsam mit ihrem deutschen Kollegen Otto Schily unterzeichnet hat. Der deutsch-schweizerische Polizeivertrag, der laut Schily »für die Weiterentwicklung bilateraler Abkommen Vorbildfunktion« hat und zum Teil über die im Schengen-Abkommen der EU-Staaten vereinbarten Maßnahmen hinausgeht, besagt auch, dass man sich gegenseitig »bei Massenveranstaltungen und ähnlichen Großereignissen« unterstützt. Man entsendet »Spezialisten und Berater« und stellt »Ausrüstungsgegenstände«. In Fall G8 wohl mindestens 15 deutsche Wasserwerfer. So viele hat man bislang aus der Schweiz erbeten und aus dem Hause der Bundesrätin Metzler verlautet, Otto Schily hat Unterstützung zugesichert. Zwischen Frankreich und der Schweiz, den Austragungsstätten des G-8- und Gegen-G8-Gipfels besteht kein solches Abkommen.
Es ist nicht das erste Mal, dass deutsche Wasserwerfer samt Begleitmannschaften im Nachbarland Schweiz Globalisierungsgegner hinfortspülen. Bereits Ende Januar 2003 als in Davos der Weltwährungsgipfel abgehalten wurde, entsandte man aus Bayern und Baden-Württemberg sechs Wasserwerfer samt einer halben Hundertschaft Polizisten als »Einsatzreserve für das Prättigau und Davos«. Sie sollten zwar nur »zur Nothilfe und Notwehr« einsetzt werden, doch genau diese Situation trat prompt ein. Auch jetzt werde der Einsatz deutscher Polizisten nur als »Ultima ratio« in Betracht gezogen, sagte eine Sprecherin des Berner Innenamtes.
Die schweizer Behörden planen das Schlimmste und gehen von gewalttätigen Auseinandersetzungen aus. Man erinnert sich an Proteste gegen den G-8-Gipfel in Genua. Am 20. Juli 2001 war bei brutalen Auseinandersetzungen zwischen überwiegend friedlich gesonnenen Demonstranten und der Polizei der 23-jährige Globalisierungsgegner Carlo Giulianis erschossen worden. Der Schütze, ein italienischer Polizist, ist am Montag vom Vorwurf des Mordes freigesprochen worden. Die Richterin nahm die Forderung auf Freispruch der Genueser Staatsanwälte auf, die auf »Notwehr« erkannten. Der Demonstrant sei mit einem Feuerlöscher auf ein Polizeiauto gestürmt. Freigesprochen wurde auch der Fahrer des Polizeifahrzeuges, der über den leblos am Boden Liegenden hinweggefahren ist.
»Mein Vertrauen in die Justiz ist belohnt worden«, kommentierte der Polizist, der den Schuss abgegeben hatte. Er ist weiterhin im Dienst. Verbittert reagierten die Familienangehörigen des Opfers. »Mit diesem Beschluss wird die Polizei von jeglicher Verantwortung für die schweren Krawalle in Genua entlastet«, kritisierte der Chef der italienischen No-Global-Bewegung, Vittorio Agnoletto. Die Polizeiführung war ob der Brutalitäten unter Druck geraten, hatte jedoch stets von der Regierung Berlusconi Rückendeckung erhalten.