DIE MARGOT und der »kleine Bruder« Wolf


Männer des 20. Juli 44Achtzehn Jahre lang regierte Erich Honecker die DDR. Er wurde beklatscht und gefeiert, nach seiner Entmachtung wurde er verleumdet, verfolgt und eingesperrt. Was dieser Mann wirklich gewollt hatte und warum er so fatal scheitern musste, das hatte der Liedermacher und Schriftsteller Reinhold Andert bereits 1990 zusammen mit Wolfgang Herzberg in dem aufsehenerregenden Interview »Der Sturz. Honecker im Kreuzverhör« transparent werden lassen. Nun bringt Andert in einem neuen Buch ausführlicher zur Sprache, wie es war im inneren Zirkel von Honeckers DDR und wie es nach deren Untergang mit ihren obersten Repräsentanten weiterging. Titel des Buches: »Nach dem Sturz. Gespräche mit Erich Honecker. Aufgezeichnet von Reinhold Andert«. Andert, Jahrgang 1944, Verfasser von Liedern und kritischen Texten, die 1980 zum Ausschluss aus der SED führten, hat die Familie Honecker nach dem Sturz als Chronist begleitet. Die kamarillahaften Gewohnheiten der Politbürokaste, die Psychogramme der Sowjetführer, die heimliche Regentschaft Margot Honeckers, die Freundfeindschaft Ulbrichts zu seinem Zögling und späteren Rivalen E.H.: Intime Bekenntnisse von bemerkenswerter Offenheit. Nachzulesen in diesem Band, aus dem wir ein Kapitel mit freundlicher Genehmigung des Verlags Faber & Faber Leipzig gekürzt veröffentlichen: »Cherchez la femme«. Das sind Auskünfte über die problematische Beziehung der Eheleute Erich und Margot Honecker, über den Aufstieg der Hallenser Schusterstochter zur mächtigsten Frau im Arbeiter-und-Bauernstaat DDR und ihr Verhältnis zum »kleinen Bruder« Wolf Biermann.


Als Margot Feist sah, daß in Halle die Genossen ihres Vaters die Macht und damit die Verteilung der Wohnungen und Lebensmittelkarten übernommen hatten, glaubte sie, ohne die Anstrengungen eines Neulehrerstudiums schneller zum Ziel zu kommen. Sie hat sich nach vorn gedrängt, hat Jugend, Begabung und Aussehen dazu benutzt, um in der Politik Karriere zu machen. Nur in der Politik konnte man sich schnell aus dem Elend erlösen. Später als Frau von Erich Honecker fand das einfache, ungebildete Proletariermädchen Gefallen an der Macht. Sie spielte damit. Margot und Erich Honecker wußten, daß die ihnen nach dem Krieg zugefallene Machtfülle nicht eigenes Verdienst war. Beide wußten auch, daß es mehr Zufall als eigenes Können war, daß sie und nicht andere an der Spitze standen. Dadurch entstand ein Mangel an Souveränität ihrem Amt gegenüber, aber das war von Anfang an bekannt. Weniger bekannt war das Privatleben der beiden Honeckers. Es gab Gerüchte, wonach Margot Honecker öfter mit Perücke und Sonnenbrille in einem Wartburg durch die Gegend gefahren sei und diverse Freunde besucht hätte. Einer davon sei der bekannte Schauspieler Otto Mellies gewesen, ein schöner Mann, der viele Frauen beeindruckte. Es hieß, daß sie auch mit dem Liedermacher Wolf Biermann bekannt wäre. Als Erich Honecker im Buch Der Sturz. Honecker im Kreuzverhör zur DDR-Kulturpolitik befragt wurde, fiel der Name Wolf Biermann, dessen Ausbürgerung den Weggang vieler Künstler aus der DDR ausgelöst hatte. Dazu, meinte Honecker, könne er nicht viel sagen. Margot wisse genauer Bescheid, denn sie würde Wolf Biermann seit ihrer Kindheit kennen. Als ich Margot Honecker daraufhin befragte, erzählte sie mir vieles ausführlich und genau, was mit dieser Bekanntschaft zusammenhing. Später allerdings, als wir einige Ausschnitte davon in das Interviewbuch Der Sturz. Honecker im Kreuzverhör aufnehmen wollten, wurde das meiste von ihr gestrichen oder umformuliert. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, als hätten Margot Honecker und Wolf Biermann die Ausbürgerung gemeinsam geplant. Beide haben einen Teil ihres Lebens gemeinsam verbracht. Das war während des Krieges. Margot Honecker war dreizehn Jahre alt, als sie mit ihrem drei Jahre jüngeren Bruder Manfred nach Hamburg kam. Dort wohnten sie bei der Familie Biermann, denn beide Väter waren gemeinsam im illegalen Widerstand. Die Biermanns lebten in ähnlich ärmlichen Verhältnissen wie die Feists in Halle. Beide Väter waren von der Gestapo verhaftet worden. Wolf Biermann war fünf Jahre alt, als die Nachricht kam, daß man seinen Vater hingerichtet hatte. Margot Honeckers Vater hatte überlebt und war in das KZ Buchenwald gebracht worden. Fast bis zum Kriegsende wuchsen Margot Feist und Wolf Biermann gemeinsam in Hamburg auf, sie war für Biermann so etwas wie die große Schwester. Nach dem Krieg erfuhr Margot, daß ihr Vater wieder in Halle sei, und so fuhr sie mit ihrem Bruder dorthin. In Halle arbeitete Margot Feist zunächst als Bürokraft bei der Gewerkschaft. Sie trat in die KPD ein und wurde Mitbegründerin des Antifaschistischen Jugendausschusses. Den Genossen der KPD gefiel das junge, hübsche und agile Mädchen. Sie boten ihr an, hauptamtlich bei der neugegründeten FDJ zu arbeiten, zuerst im Kreisvorstand und seit 1948 im Landesvorstand Sachsen-Anhalt, zuständig für Kultur und Erziehung. Ausschlaggebend für ihre Karriere war ein Besuch des SED-Vorsitzenden Wilhelm Pieck in Halle. Pieck sollte auf einer Kundgebung sprechen. Danach wollte man ihm Blumen überreichen. Margot Feist war dafür ausgewählt worden. Sie tat das ohne Scheu, umarmte Pieck und gab ihm einen Kuß. Das Foto dieser Szene fand sich später in allen Geschichtsbüchern über die DDR. Der alte Pieck muß von dem Mädchen beeindruckt gewesen sein. Es dauerte nicht lange, da holte er Margot Feist nach Berlin. Sie wurde Vorsitzende der neugegründeten Pionierorganisation und zugleich Sekretär des Zentralrates der FDJ. Man schickte sie als Abgeordnete in die Provisorische Volkskammer, und sie wurde Kandidatin des ZK der SED. Ihr Chef bei der FDJ war Erich Honecker, ein hoffnungsvoller Funktionär, jüngstes Mitglied im Parteivorstand der SED. Honecker war verheiratet mit Edith Baumann, seiner Stellvertreterin. Beide hatten eine kleine Tochter. Das war für Margot Feist allerdings kein Hindernis, sich Erich Honecker zu nähern und um ihn zu werben. Edith Baumann war 41, drei Jahre älter als Erich Honecker, Margot Feist dagegen war erst 23 Jahre alt und sehr attraktiv. Außerdem erfuhr Margot Feist, was man sich überall im FDJ-Zentralrat erzählte, daß die Ehe Honeckers mehr aus politischen Gründen geschlossen worden sei. Nach der Vereinigung von KPD und SPD zur SED waren alle Leitungen der neuen Partei paritätisch besetzt worden. Überall gab es die sogenannten Doppelspitzen, einen Funktionär von der SPD und einen von der KPD. Auch die FDJ folgte diesem Muster. Erich Honecker war der Mann von der KPD, Edith Baumann die Frau von der SPD. Beide saßen ständig zusammen, arbeiteten bis spät in die Nacht an Richtlinien und Referaten. Honecker war beeindruckt von Edith Baumann, weil sie »so fix Schreibmaschine schreiben konnte«. Irgendwann passierte es. Edith Baumann bekam ein Kind, und Erich Honecker hielt es für seine Pflicht, sie zu heiraten. I m FDJ-Apparat war es kein Geheimnis, wie Margot Feist es angestellt hatte, diese Ehe auseinanderzubringen. Margot habe sich, so hieß es, »Erich auf den Bauch gebunden«. Öfters hätte man im Büro Erich Honeckers die beiden in Situationen überrascht, die ein intimes Verhältnis vermuten ließen. Neun Monate später bekam Margot Feist von Erich Honecker ein Kind, eine Tochter. Honecker stellte unter dem Druck von Margot Feist den Antrag beim Politbüro, sich scheiden lassen zu dürfen. In den Anfangsjahren der SED ging es in diesen Fragen sehr katholisch zu. Der Sekretär des Politbüros, ein sonst wenig bekannter Mann namens Otto Schön, war über die »Unmoral« so erbost, daß er beide aus ihren Funktionen entlassen wollte. Ulbricht schien derselben Meinung zu sein, und nur ein Machtwort Wilhelm Piecks, so erzählte es mir Erich Honecker, hätte seinen und Margots Rausschmiß verhindert. Dennoch wurde den beiden eine »Bewährungszeit« verordnet. Sie mußten nacheinander für jeweils ein Jahr nach Moskau zum Studium, Erich Honecker an die Partei- und Margot Feist an die Komsomolhochschule. 1953 wurde Honecker von Edith Baumann geschieden. Er heiratete Margot Feist. Als Frau Honecker konnte sie nicht mehr bei der FDJ arbeiten. Offensichtliche Vetternwirtschaft war in der DDR-Politik nicht Mode. Margot Honecker übernahm im Volksbildungsministerium die Leitung der politisch wichtigsten Abteilung, die Lehrerbildung. 1958 wurde sie stellvertretende und ab 1963 Ministerin. Ihren ursprünglichen Berufswunsch »Lehrerin« hatte sie sich damit indirekt erfüllt. Als Ministerin und Genossin Margot Honecker hatte sie nun den nötigen Einfluß, ihren »kleinen Bruder« Wolf Biermann aus Hamburg in die DDR zu holen. Sie besorgte Wolf Biermann in der DDR einen Internatsplatz und stattete ihn mit dem Nötigsten aus. Zwei Jahre später machte Biermann sein Abitur. Margot Honecker ermöglichte ihm ein Studium seiner Wahl. Biermann entschied sich zunächst für Politische Ökonomie. Das studierte man, um in der Politik Karriere machen zu können. Nach zwei Jahren warf Biermann das Studium hin und ging als Eleve an das Berliner Ensemble. Wiederum zwei Jahre später studierte er Philosophie und im Nebenfach Mathematik. Er trat in die SED ein. Damals begann er auch, politische Lieder zu schreiben und sie zur Gitarre vorzutragen. Margot Honecker kannte alle diese Lieder, denn er kam regelmäßig mit seiner Gitarre zu ihr ins Ministerium. Biermann brauchte weder Termin noch Passierschein, um seiner »großen Schwester« etwas vorzusingen. Bei diesen Privatkonzerten mußten die Sekretärinnen immer aus dem Vorzimmer verschwinden, erzählten sie später. Daran änderte sich auch nichts, als aus den ursprünglich SED-konformen Liedern Pamphlete gegen DDR-Politiker geworden waren. Meines Erachtens ist es eine fromme Legende, daß Biermann mit seinen Liedern politisch oder sozial etwas in der DDR bewegen wollte. Genausowenig lag das in Margot Honeckers Absicht, so erscheint mir das jedenfalls heute. Beide wollten ihren eigenen sozialen Status sichern und ausbauen. Im Jahre 1965, im Jahr des 11. Plenums der SED, bekam Biermann Auftrittsverbot in der DDR. Danach erschienen seine Liederbücher und Schallplatten in der BRD. Obwohl er den Ton seiner DDR-Kritik enorm verschärfte, ließ das Interesse am »Ost-Dissidenten« allmählich nach. Biermann hätte die Aufmerksamkeit in der BRD nur wieder vergrößern können, wenn er, wie manche seiner DDR-Kollegen, den Widerstand gegen die DDR-Politik auch gelebt hätte. Aber dazu hatte Biermann keine Lust. Er mußte das auch nicht, denn sein Bild als Dissident, Aufrührer und Staatsfeind konnte er anders »erstellen« lassen. Die auffällige Bewachung durch die Staatssicherheit war wie eine Operette inszeniert. Es standen immer zwei auffällig gekleidete Stasi-Leute in der Nähe seiner Wohnung in einem Hauseingang. Sie hatten dort nichts anderes zu tun, als für westliche Kameramänner und Fotografen zu posieren. Biermann wohnte in einem großen Mietshaus, es war ohnehin unmöglich, sich jeden Besucher zu notieren. Das war auch nicht nötig, denn unter den regelmäßigen Besuchern Biermanns gab es genügend informelle Mitarbeiter der Staatssicherheit. Aus dem berühmt gewordenen Kreis um Biermann, mit dessen Zugehörigkeit sich mancher Bürgerrechtler später schmückte, kamen Nachrichten seltsamen Zuschnitts. So meinte einmal der Komponist und Schlagersänger Reinhard Lakomy, daß es bei diesen Veranstaltungen in Biermanns Wohnung weniger um Politik gegangen sei als um weitaus andere Dinge. Lakomy, keusch erzogen und frisch von der Armee gekommen, war, so sagte er jüngst einer Illustrierten, von diesen Orgien so enttäuscht und angewidert, daß er sich nie wieder dort sehen ließ. Kurz und gut, die Berichterstattung über die Repressionen nutzte sich ab. Das Interesse an den »heimlich« aufgenommenen Liedern mit dem untermischten Quietschen einer Straßenbahn ließ stark nach. Hinzu kam, daß der »Liedermarkt« in der Bundesrepublik mit vielen guten Leuten besetzt war. Politik war liedwürdig geworden. Neben Udo Jürgens, Konstantin Wecker und Reinhard Mey, die den Alltag in Schlagern und Chansons besangen, versuchten es Udo Lindenberg und Herbert Grönemeyer aggressiver und politischer noch mit deutschsprachigem Rock. Und es gab ausgesprochen politische Liedermacher wie Franz-Joseph Degenhardt, Dieter Sueverkrüp oder Hannes Wader, die große Konzertsäle füllten. Da hinein platzte Biermanns Auftritt in Köln, der als »Ausbürgerung« in die Kulturgeschichte der DDR einging. Am Abend vor seiner Ausreise besuchte ihn Margot Honecker ein letztes Mal, um mit ihm alles zu besprechen. Peinlich war es nur, daß Erich Honecker, ohne jemanden zu informieren, von Wandlitz aus die Ausweisung angeordnet und dafür den durch die Nazis besetzten Begriff »Ausbürgerung« gewählt hatte. Er selbst, sagte er mir, sei nicht auf den Begriff gekommen, »die Margot« hätte ihn vorgeschlagen. In der BRD wurde der begriffliche Fauxpas sofort aufgegriffen. Wochenlang lieferte er die Schlagzeilen in Zeitungen und Magazinen und wurde ein Instrument des Kalten Krieges. Dabei war die Anteilnahme des Westens scheinheilig. Bis dato waren diejenigen die Helden, die versucht hatten, dem »KZ DDR« zu entfliehen. Ihnen galten die »Hilferufe von drüben«, sie wurden freigekauft oder geehrt. Anstatt nun froh zu sein, daß es einem ehemaligen Hamburger Mitbürger gelungen war, ohne Streß der Hölle entkommen zu sein, drehte man die Sache um. Wolf Biermann hatte diesen Rummel beabsichtigt. Margot Honecker dagegen erging es wie dem Zauberlehrling, der die Geister, die er gerufen hatte, nicht mehr los wurde. In der DDR setzte eine Diskriminierung derjenigen Künstler und Intellektuellen ein, die mit dieser »Maßnahme« nicht einverstanden waren oder sich öffentlich in den Westmedien gegen die Ausbürgerung wandten. Es waren Leute darunter, die der Meinung waren, daß die DDR der bessere deutsche Staat und es ungerecht sei, jemanden daraus auszusperren. Der Protest von einigen bekannten DDR-Künstlerinnen und -Künstlern gegen die Ausbürgerung wurde in den Westmedien als Protest gegen die DDR gewertet. Einige nutzten die Gelegenheit, so die Schauspieler Manfred Krug, Angelica Domröse, Hilmar Thate oder Armin Mueller-Stahl, um gleich in den Westen überzusiedeln. Der Trick mit der »Ausbürgerung« hatte verheerende Folgen. Obwohl heute die Hintergründe offenliegen, hält man eisern an der Legende fest. Die »Ausbürgerung« Biermanns läßt sich gut dazu benutz...

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