»Wir müssen uns jetzt wehren«
Demo gegen Sozialabbau: Arbeitslose und ver.di mobilisieren für Samstag
Zur bundesweiten Demonstration gegen Sozialabbau, die am morgigen Samstag in Berlin stattfindet, mobilisieren außer der Gewerkschaft ver.di auch die Arbeitslosenverbände.
Der letzte Arbeitslosenhilfebezieher« wird morgen auf dem Potsdamer Platz zu besichtigen sein. Ein Denkmal aus Pappe, aufgestellt von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen. Sicherlich steht er nur genau einen Tag - nicht weil er sofort von Regenschauern aufgelöst wird, sondern weil der Papp-Erwerbslose auf diesem schicken Platz nicht länger geduldet wird. Arbeitslosigkeit ist ein Problem, das gerne den Betroffenen in die Schuhe geschoben wird. Daher bilden Arbeitslosenverband und Koordinierungsstelle auf der ver.di-Demonstration am Samstag einen eigenen Block. Ihr Protest richtet sich gegen die Pläne der Bundesregierung, die Arbeitslosenhilfe durch die Schaffung eines Arbeitslosengeldes II auf Sozialhilfeniveau zu drücken, erläuterten gestern Vertreter der Verbände vor der Presse. Auch das geringe Medieninteresse an den Protesten der Erwerbslosen machte die Pressekonferenz deutlich: Genau eine Journalistin war da (nämlich vom ND). »Bei Arbeitslosigkeit will Rot-Grün den Sozialstaat auf einen Sozialhilfestaat reduzieren«, erklärte Martin Künkler von der Koordinierungsstelle. »Dagegen müssen wir uns wehren, jetzt sind die Arbeitslosen gefordert, auf die Straße zu gehen.« Nach Angaben der Koordinierungsstelle hätte - werden die Regierungspläne umgesetzt - jeder dritte Bezieher von Arbeitslosenhilfe künftig keinen Leistungsanspruch mehr, weil diese Arbeitslosen dann nicht mehr als bedürftig gelten. Für weiterhin Leistungsberechtigte bringe das Arbeitslosengeld II erhebliche Einkommensverluste. Ein verheirateter Bauarbeiter mit einem Kind erhalte gegenüber heute rund 480 Euro im Monat weniger, wenn er früher den Tariflohn erhielt und seine Partnerin weiter erwerbstätig ist, rechnete die Koordinierungsstelle aus. Nach dem Auslaufen des Arbeitslosengeldes solle unter der Bezeichnung Arbeitslosengeld II de facto nur noch Sozialhilfe gezahlt werden. Im ersten Jahr blieben da für eine Person höchstens 450 Euro, im zweiten Jahr rund 370 Euro und im dritten nur noch 290 Euro. Unternehmerverbände, die FDP sowie Teile aus CDU/CSU fordern gar die Absenkung auf 200 Euro. »Die Folge ist, dass eine breite Masse von Menschen verarmt«, sagte Bernhard Jirku von der Koordinierungsstelle. »Den Arbeitslosen wird die Schuld zugeschoben«, meinte Marion Drögsler, Pressesprecherin des Arbeitslosenverbandes Deutschland. Sie würden für ihre eigene sowie für die wirtschaftliche Misere verantwortlich gemacht werden. Das Regierungsprogramm reduziere nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Leistungen der Betroffenen, so Drögsler. »Wir brauchen ernsthafte Reformen«, forderte die Pressefrau. Sonst ist die Auswahl, die den Arbeitslosen noch bleibt, absolut eingeschränkt, sagte Ursula Pingel vom Bezirkserwerbslosenausschuss Berlin: Entweder Armut oder Lohndrückerei, entweder Arbeitslosenhilfe II oder arbeiten in Jobs für drei, vier Euro. Feste und Existenz sichernde Stellen gebe es immer weniger, die Zumutbarkeitskriterien aber würden erhöht werden. Das hat nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Auswirkungen. »Eine erhöhte Selbstmordrate und eine zunehmende Beschaffungskriminalität sind die Folgen hoher Arbeitslosigkeit«, schloss Peter Heller, Vorsitzender des Erwerbslosenausschusses bei ver.di. Erst recht, wenn ein großer Teil der Bevölkerung in die Armut getrieben werde. Angesichts dieser Probleme ist das mangelnde Interesse an den Arbeitslosenprotesten eigentlich nicht nachvollziehbar. Zumal Arbeitslosigkeit »auch Leute betrifft, die heute noch Arbeit haben«, sagte Detlef Petzke vom Erwerbslosenausschuss Potsdam. So schnell ein Erwerbsloser wieder auf eine feste Stelle rutschen kann, so schnell kann ein anderer aus seinem Betrieb herausfallen - selbst in Branchen, die über Jahrzehnte als krisensicher gelten. Daher bleibt den Gewerkschaften nichts anderes übrig, als ihre bislang eher ablehnende Haltung gegenüber den Erwerbslosen über Bord zu werfen. Die Arbeitslosenverbände jedenfalls hoffen, dass sich die Zusammenarbeit nicht auf die Mobilisierung zur morgigen Demo beschränkt. Mehr Kooperation - ...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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