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Sommer, Strand, eine bedrohte Allee und die Folgen einer CDU-Intrige
Die Einwohner auf der größten Insel der Republik haben am 2.September schon wieder die Wahl
Da rollten in dieser Woche doch noch ein paar Hochsommertage über die Insel Rügen. Die Einheimischen schwankten zwischen froher Stimmung und Entsetzen: »So schlimm wie in dieser Woche war es noch nie«, sagt die Bäckersfrau in Bergen. Sie meint nicht die 36 Grad Hitze, die Häuser wie den Bäckerladen aufheizen. Sie meint die Blechlawine, die vom Morgen bis zum Abend am Rande der Inselhauptstadt über die B 96 rollt. Die Insel ist voller Touristen. Wer kein Hotelzimmer vorbestellt hat, der muss von Haus zu Haus fahren, liest von Stunde zu Stunde besorgter die Schilder »Belegt« oder bekommt am Tresen eine Absage.
Ganz oben im Norden Rügens findet sich überhaupt kein freies Bett, Glowe ist ausgebucht, Altenkirchen auch, Juliusruh sowieso. Nicht einmal das mitgebrachte Zelt und die Iso-Matte sichern einen Schlafplatz. Auch die Zeltplätze haben keinen freien Platz. Trotz einiger Verbotsschilder fahren Wohnwagenbesitzer abends auf die Strandparkplätze und nächtigen da, ohne Wasser- und Stromanschluss. Es reisen wieder mehr Einheimische aus dem Osten der Republik an die See. »Die haben nicht mehr das Geld für den Auslandsurlaub«, meint die Bergener Bäckersfrau. Ostler kehren den Bettenburgen auf Mallorca den Rücken und ziehen wieder die romantische Ostseeküste vor, schreibt die Lokalzeitung.
Noch dauert die Fahrt aus dem Süden oder aus der Mitte der Republik länger als drei Stunden. Bis Rostock geht es auf der Autobahn in der Regel zügig voran. Dann kriechen die Wagenkolonnen die 70 Kilometer bis Stralsund, wo sich der Verkehr an Sommerwochenenden vor und auf dem Rügendamm staut.
Wirtschaftsminister Otto Ebnet (SPD) wirbt für eine zweite Rügenbrücke. Im Jahr 2005 oder 2006 sollen Autofahrer gleich auf zwei Wegen an die Küste rasen können, über Rostock oder über Pasewalk. Die neue Autobahn A 20 von Lübeck nach Szczecin kreuzt dann die A 19 (Berlin-Rostock) und mündet in die A 11 (Berlin-Szczecin). Von Grimmen aus führt ein Abzweig der A 20 bis an die Südküste Rügens. Auf einer neuen, über den Stralsunder Ziegelgraben gespannten, Autobahnbrücke. Und danach? Stehen künftig die Autos auf der vierspurigen Brücke im Stau? Bisher gewährleistet die legendäre zweispurige B 96 vom Rügendamm bis nach Sassnitz einen in der Regel zügigen Verkehr. Da gibt es für Autofahrer nur hinter Lietzow ein Hindernis, eine 800 Meter lange Baumallee. Die Wurzeln der uralten Bäume haben die Straßendecke gehoben, auf der kurzen Strecke sind nur 60 Stundenkilometer erlaubt. Für den Durchschnittsraser unerträglich. Minister Ebnet will das Reststück Baumallee auf der B 96 trotzdem erhalten. Ebnet denkt über zwei Varianten nach. Wenn er vom Bundesverkehrsministerium 6,5 Millionen Mark bekommt, dann lässt er neben die 800 Meter lange Allee eine ganz neue Trasse bauen. Die Bäume blieben erhalten, lägen aber praktisch unbeachtet im Niemandsland. Rückt das Bundesbauministerium die Millionen nicht raus, dann soll der Straßenbelag auf den 800 Metern geglättet werden. Das würde dann mindestens zehn Jahre halten, erklärt Ebnet. Ein Straßenuntergrund für eine längere Zeit würde die Bäume vernichten. Das will der Minister nicht. Er hält es für zumutbar, dass Autofahrer auf dieser kurzen Strecke den Fuß vom Pedal nehmen.
Der SPD-Mann besucht auf Einladung von Kerstin Kassner (PDS) Rügen. Die bisherige stellvertretende Landtagspräsidentin bewirbt sich am 2.September erneut um das Landratsamt auf Rügen. Trotz der Hitze ist Wahlkampf auf Rügen. Gemeinsam mit dem Minister besucht die PDS-Frau das Sassnitzer Bauunternehmen Siepelt. Der hat sein Unternehmen am 1.April 1991 gegründet, 1996 arbeiteten bei Siepelt 50 Leute. Sein Jahresumsatz lag bei fünf Millionen Mark, er kaufte auf Kredit Baumaschinen und -fahrzeuge.
Am Tag des Ministerbesuchs hat der junge Unternehmer noch einen Mitarbeiter. Die kommunalen Aufträge vom Anfang der neunziger Jahre reduzierten sich. Damals sanierte oder modernisierte Siepelt Sassnitzer Plattenhäuser, baute Eigenheime und Hotels. Minister Ebnet bestreitet, dass sich die so genannten öffentlichen Ausgaben verringert haben. Jahr für Jahr würden Bund, Land und Kommunen für rund 1,7 Milliarden Mark in Mecklenburg-Vorpommern bauen lassen. Derzeit lägen, so Ebnet, die Schwerpunkte allerdings beim Autobahnbau. Die Kommunen hätten ab 1991 auf Kredit gebaut und Schuldenberge erzeugt. Die würden nun, nicht immer freiwillig, kürzer treten.
Eine kleine Hoffnung für den Bauunternehmer hat der Minister doch noch. In seinem Ministerium liegen noch 668 Anträge auf Fördergelder. Dem Sassnitzer Bürgermeister Dieter Holtz (PDS) fallen auf Anhieb drei ein, die noch nicht genehmigt sind. »Das Geld muss raus«, sagt der Minister. Er will Bürgermeister und Landräte drängen, dass sie fehlende Angaben oder Nachweise schnellstens nachliefern. »Auch die mögliche neue Landrätin auf Rügen«, sagt der SPD-Mann in Richtung PDS-Kandidatin. Auf Rügen liegen die Sozialdemokraten hinter CDU und PDS auf dem dritten Platz.
Ganz andere Pläne legen die Leute vom EDV-Service Garz in dem Örtchen Kasnewitz vor. Die stellen Computerprogramme für den Lebensmittelhandel her. 25 Leute arbeiten inzwischen für dem EDV-Service, im September starten sie eine zweite Firma mit elf Beschäftigten. Die Service-Firma möchte Leute ausbilden. Sie hat sich ein Schulgebäude in exklusiver Lage ausgeguckt, am Putbuser Circus. Circus heißt der kreisrunde Mittelpunkt in der kleinen Stadt, mit Häusern aus dem 19. Jahrhundert bebaut. Da wünschen sich die EDV-Leute das 1835 erbaute »Pädagogigum« als Schulgebäude. Minister Ebnet wie Kerstin Kassner sollen helfen.
Die PDS-Frau möchte im September endlich Landrätin werden, die dritte der PDS. Die zweite Runde auf Rügen ist nötig, weil die CDU im Mai mit der Hilfe des kommunalen Wahlgesetzes trickste. Das schreibt vor, dass ein einzelner Bewerber ohne Gegenkandidaten mindestens 25 Prozent aller eingeschriebenen Wähler an die Urnen ziehen muss. Im ersten Wahlgang am 6.Mai gab es vier Kandidaten. Kerstin Kassner (PDS) lag mit 42,3 Prozent ganz klar vorn, hatte aber nicht die für den ersten Gang notwendige absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhalten. Folgerichtig sollte es eine Stichwahl mit dem Zweitplatzierten, mit Ferdinand Pieper (29,7 Prozent) von der CDU geben. Alle rechneten mit einem Sieg der PDS-Bewerberin. In dieser für die CDU verzweifelten Lage zwangen Bundes- und Landesvorstand den eigenen Kandidaten Pieper zum Rücktritt, Kerstin Kassner blieb als einzige Bewerberin für die Stichwahl übrig. Und da galt dann der vertrackte Paragraph mit den mindestens 25 Prozent Wahlbeteiligung. Das ging am 20.Mai schief, bei Landrats- und Bürgermeisterwahlen ist die Teilnahme ohnehin gering. Die PDS-Kandidatin bekam zwar mehr als 80 Prozent Ja-Stimmen, aber die Gesamtzahl reichte nicht. Im kommenden Jahr soll die unsinnige Quote abgeschafft sein. Dann rückt bei einer Absage des Zweitplatzierten der Dritte in die Stichwahl, eine logische Änderung. Eigentlich wollte die CDU beim zweiten Wahlgang auf den Prominentenbonus setzen. Der half beispielsweise bei der Oberbürgermeisterwahl in Neubrandenburg, wo der Bundestagsabgeordnete Paul Krüger gewann. Die CDU-Wunschkandidaten, die auf Rügen direkt gewählten Landtagsabgeordneten Lutz Brauer und Gesine Skrzepski, sagten ab. Sie fürchteten offensichtlich eine Niederlage gegen die PDS-Kandidatin. Jetzt hat die CDU wieder einen Kandidaten aus einem Amt ausgegraben, diesmal aus dem Amt Mönchgut. Herbert Dobelstein heißt der Mann.
Der PDS-Jugendverband rot(z)frech von Mecklenburg-Vorpommern beschloss nach der CDU-Intrige, in diesem Jahr ein eigenes Sommercamp zu organisieren. Die Zelte und der Wohnwagen stehen am Nobbiner Steilufer, fünf Kilometer von Kap Arkona entfernt. Statt Strand ist auch an heißen Tagen Plakateaufhängen angesagt. Am Abend geht es in die Jugendklubs, für Kerstin Kassner werben. Beispielsweise in das Bergener »Mahk´ina«, das soll in der Sprache der Ureinwohner Mexikos »aufgehende Sonne« heißen. Das »Mahk´ina« finden Eingeweihte im ehemaligen, inzwischen abbruchreifen Industriegebiet Bergens. Im Erdgeschoss trifft sich die heimische Szene mit den Urlaubern, die einen Tipp bekamen wegen der angesagten Sommercocktails und der Musik. Im Obergeschoss proben die künftigen Santanas oder Stings. Außer provisorischen Studios gibt es einen Clubraum, nur Farbe fehlt an allen Wänden. Es ist ein Neuaufbau. Die PDS will helfen, versprechen Kerstin Kassner und die Bundestagsabgeordnete Angela Marquardt, die...
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