Eine WG im Dienste des Herrn

Im Bautzener Dom beten Katholiken und Protestanten unter einem Dach

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: ca. 4.5 Min.

Auf dem ersten Ökumenischen Kirchentag, der heute in Berlin beginnt, wollen sich evangelische und katholische Christen näher kommen. In Bautzen teilen sie sich seit Jahrhunderten ein Gotteshaus.

Diese Woche hat Christof Kreher Kirchendienst. Der Mann mit dem Rauschebart empfängt die Besucher des Bautzener Doms an der dem Rathaus zugewandten Tür des Gotteshauses. Kreher ist Küster der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde St. Petri. Touristen, die den Dom kommende Woche besuchen, benutzen eine andere Tür und treffen dort auf Andreas Neck. Der kleine Mann mit dem schelmischen Lachen ist ebenfalls Küster. Sein Salär aber erhält er von der katholischen Dompfarrei St. Petri. Der Bautzener Dom ist ein bemerkenswertes Gotteshaus. Was St. Petri von anderen Kirchen der Region unterscheidet, ist der Umstand, dass Kreher und Neck hier im gleichen Haus arbeiten: Es ist die einzige Simultankirche in Ostdeutschland. Katholische und evangelische Christen leben in Bautzen seit fast einem halben Jahrtausend unter einem Dach. Das, sagt Kreher, funktioniert nicht ohne Regularien. Seit 1543 regelt ein Stundenplan exakt, wann wer die Kirche nutzen darf. Zeiten für Andachten sind ebenso festgelegt wie Übungsstunden der Organisten. Sonntags beginnt die katholische Messe um neun. Der evangelische Gottesdienst, lange Zeit vor der Messe abgehalten, wird jetzt halb elf eingeläutet - wenn die Katholiken pünktlich fertig sind. Simultankirchen sind ein Kuriosum der Kirchengeschichte. Verbreitet sind solche überkonfessionell genutzten Gotteshäuser in Elsass, Rheinland, Baden und der Pfalz. Die Bautzener friedliche Koexistenz gründet im subversiven Eigensinn eines Pfarrers, der 1532 vom katholischen Domstift angestellt wurde, aber die lutherische Lehre verkündete. Binnen kurzem konvertierten 99 Prozent der Bautzener zum Protestantismus, sagt Kreher - »eine Reformation von unten«. Die Kirchenherren mussten reagieren. Der Domdekan räumte den Lutheranern zeitlich befristete Nutzungsrechte in der größten Kirche der Stadt ein. »Er war«, sagt Neck, »ein Mann der Toleranz.« Toleranz ist ein wichtiges Stichwort in St. Petri. Zwar gibt es im Dom getrennte Eingänge, Altäre und Orgeln. Der Kirchendienst wird zwei Wochen von den Lutheranern und eine Woche von den Katholiken übernommen. Das entspricht dem Anteil beider Konfessionen an der Fläche des Doms, die 1848 vertraglich geteilt wurde, sowie - nach dem Zuzug vieler Katholiken - auch dem Zahlenverhältnis; und es sichert, »dass beide den ihnen zustehenden Anteil von dem bekommen, was Besucher in den Opferstock werfen«, sagt Kreher. Selbst Wasser- und Stromanschlüsse sind getrennt. Wenn die Katholiken bei gut besuchten Gottesdiensten einige Bänke im lutherischen Kirchenteil beanspruchen wollen, »muss ich bei denen am Stromkasten zusätzliches Licht anschalten«, sagt Neck. Doch den Hausfrieden sichern vor allem Absprachen und Verhandlungen. Kreher hat in einer Kladde eingetragen, zu welchen nicht-protestantischen Zeiten seine Gemeinde die Kirche nutzen will. »Dann rufe ich deren Sekretärin an, und sie trägt das weiter«, sagt er. Wie peinlich solche Absprachen beachtet werden, zeigt die Geschichte. So durften Taufen ursprünglich nur im katholischen Kirchenteil stattfinden. 1597 installierten die Lutheraner aber einen eigenen Taufstein. Nach der 42. Taufe kam das Veto des Domkapitels. Immerhin: Den Protestanten wurde ein mobiles Taufbecken zugestanden. Erst 1848 durften sie wieder ein festes Becken installieren. Danach ergab sich ein neues Problem: Die »Grundstücksgrenze« verläuft über Eck. Daher stehen vier »katholische« Bänke im protestantischen Kirchenteil. »Wir dürfen die Ecke beanspruchen«, sagt Neck - »im Tausch für eine Viertelstunde Nutzungszeit.« Aber: Grenzübertretungen sind möglich. Katholischen und evangelischen Bereich trennt ein Zaun, heißt es in einem Faltblatt - gefolgt vom nachdrücklichen Hinweis: »Mit Pforte!« Auch ist das schmiedeeiserne Gitter nicht mehr 4,60 Meter hoch wie einst. An dem seit 50 Jahren nur noch hüfthohen Zaun können somit auch keine Tücher mehr aufgespannt werden, die evangelischen Besuchern den Blick auf den katholischen Altar ersparen. Stattdessen wurde quer über das Gitter ein Bild an der Wand angebracht: ein Gemälde von Jesus Christus und seinen Jüngern beim Abendmahl. Dass ausgerechnet dieses Motiv gewählt wurde, ist symbolträchtig - gehört doch die Deutung des Abendmahls zu den strittigsten Punkten zwischen beiden Konfessionen. Uneinigkeit herrscht darüber, in welcher Weise Jesus Christus anwesend ist, wenn Brot und Wein als Erinnerung an Leib und Blut des Gekreuzigten gereicht werden. Während Katholiken eine »Realpräsenz« Christi durch »Wesensverwandlung« der Speisen unterstellen, sagen Lutheraner lediglich, Leib und Blut Christi seien »in, mit und unter den Elementen« gegenwärtig. Weitere Streitpunkte bleiben, sagt Kreher und verweist auf das Bild am katholischen Altar. Es zeigt, wie Jesus Christus einen Schlüssel an Petrus übergibt - eine symbolische Darstellung der katholischen Priesterweihe: Streng hierarchisch wird die Würde an den Papst übertragen und von diesem weitergegeben. Feiern wie die des Abendmahls werden nur akzeptiert, wenn sie von solcherart Geweihten durchgeführt werden. »Unsere Feier«, sagt der Protestant Kreher, »wird als nicht gültig empfunden.« Umgekehrt lehnen die Protestanten den Hostienglauben der Katholiken ab. Es war daher eine Zäsur, als diesen in Bautzen gestattet wurde, ihre Fronleichnamsprozession bei schlechtem Wetter auch durch den evangelischen Kirchenteil zu führen. »So viel Ökumene muss schon sein«, meint Neck. Der Bautzener Dom gleicht einem Haus, dessen Bewohner sich miteinander arrangieren und ihre unterschiedlichen Gewohnheiten akzeptieren müssen. Am Martins- oder Bußtag aber wird aus der Haus- auch eine Wohngemeinschaft, in der man gemeinsam feiert. Höhepunkt des Zusammenlebens, sagt Kreher, sei die ökumenische Musiknacht am 29. Juni, in der katholische und evangelische Orgel in einem gemeinsamen Konzert erklingen. Das sei, so der evangelische Küster, »der i-Punkt des Simultaneums«. Was nicht heißt, dass in der Wohngemeinschaft im Dienste des Herrn nicht gelegentlich kleine Seitenhiebe ausgeteilt werden. »Vor allem bei Hochämtern hantieren wir ordentlich mit Weihrauch«, sagt Neck. Dieser erkaltet, steigt an die Decke - und senkt sich am anderen Ende des Raumes wieder herab. Nach den Katholiken feiern die Protestanten. Der katholische Küster kann sich ein Grinsen nicht verkneifen: »Die sitzen dann im papistischen Rauch.« Sein evangelischer Kollege lächelt ob des ...

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