Irgendeiner sieht sich gerade an dir satt

»Panik Sound Club« in der Neuköllner Oper

  • Almut Schröter
  • Lesedauer: 2 Min.
Er hätte das Sexycal genannt, deklamierte einer nach der Uraufführung von »Panik Sound Club« in der Neuköllner Oper. So wild war es nun auch wieder nicht. Sieht man mal von der einen harten Szene mit einer Art bewegten Männerschaschliks im nächtlichen Schwulenclub ab. Mutig und frech ist das in Koproduktion mit der Uni der Künste entstandene Musical mit dem Untertitel: Ein Lied für Gewinner. Peter Lund schrieb es nach Improvisationen seiner Studenten, die nicht mit Spreewasser getauft sind. Sie brachten ein, wie sie sich bei ihrer Berliner Landung fühlten. Keine Redundanz. Witz, Wortspiele, Ironie und gelungene Überleitungen kommen in gut zwei Stunden schnell übers Publikum. Niclas Ramdohr nutzte nach charakterisiertem Lebensgefühl Rhythmen von Walzer über Cha-Cha-Cha, Reggae bis Tango für seine Kompositionen und greift nur ein musikalisches Motiv mehrfach mit seinen vier Musikerkollegen im Orchestergraben auf. Dass fast jeder Titel bejubelt wurde, ist den Studenten zuzuschreiben, die bis auf kleine stimmliche Ausrutscher mitreißend agierten und nach der Choreographie von Neva Howard sehr gut tanzten. Die elf Rollen sind zum Typ mit Marco Billep (Martin), Johanna Bolten (Mo), Janko Danailow (Benny), Stefanie Dreyer (Chrissy), Melanie Haffke (Anna-Lisa), Melanie Rainer (Bea), Samuel Schürmann (Conrad), Anja Schulenburg (Yvonne), Dominik Schulz (Marc), Leticia Thate (Larissa) und Marysol Ximènez-Carillo (Helena) bestens besetzt. Auf viele Lebenssituationen im Umfeld ihres Bruders stößt Mo, die aus Niedersachsen in Berlin eintrifft. Sie fühlt sich vier Millionen Blicken ausgesetzt: Irgendeiner sieht sich gerade an dir satt... Mo empfindet die hiesige Lebensart als panisch, sucht entnervt nach der »PIN«, nach ihrem Kennwort zu dieser Gesellschaft. Und dann verliebt sie sich ausgerechnet in den schwulen Benny. Jetzt hängt sie richtig mit drin. Lockere und feste Beziehungen, Sexzufälle und -zweckverbindungen werden focussiert. Arbeits- und Kotzsucht auch. Zynisch wird es beim »Dranbleiben«. Nach Superstarwahlprinzip fliegt raus, wer dafür prädestiniert erscheint. »Alles Gute im beruflichen Leben!«, bekommt er noch zugerufen - und hat Freizeit bis zur Rente. Zur gelungenen Überhöhung dieser und anderer Szenen verhilft das pfiffige Bühnenbild von Ulrike Reinhard wesentlich. Nicht alles geht gut aus, drückt das Musical dem Publikum auf. Als Yvonne nach ihrem Seitensprung aus der Langweilerehe reuig zurückkehrt, mutiert der brave Ehemann Conrad zum Prügler. So verdient er sich das im Musical ansonsten überstrapazierte Schimpfwort: Arschloch! Aber das sagt keiner.
Bis 9., 12.-15., 19.-21., 26.-29.6., 3.-6. u. 10.-12.7., 20 Uhr, Neuköllner Oper, Karl-Marx-Straße 131, Karten (9-18 ) Tel.: (030) 68 89 07 77

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