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  • Dreitausend Jahre vor Columbus segelten antike Seefahrer und Händler zu den Küsten Amerikas - Kulturtransfer statt Conquista

Die tollkühnen Reisen der Phönizier zu den fernen Inseln im Atlantik“

  • Lesedauer: 5 Min.

1474 hatte der italienische Arzt und Mathematiker Toscanelli für König Johann II. von Portugal eine Seekarte gezeichnet und in einem-Begleitschreiben erläutert, daß der Weg via Westen über den Atlantik nach Indien, wozu man seinerzeit alle ostasiatischen Länder zählte, kürzer sein müsse als die Umschiffung Afrikas. Auf der Karte, die natürlich Columbus Interesse weckte, war ein Eiland namens „Antillia“ verzeichnet. Hernando, Columbus' Sohn, berichtete, daß sein Vater alle Informationen über eine Insel sammelte, „die man Antillia nannte und die weit im Westen des Atlantiks liegen soll... Es gibt Leute, die versichern, daß einige portugiesische Seefahrer zu diesen Inseln gelangten, diese jedoch später nicht wiedergefunden haben“.

Zwei Jahrtausende zuvor hingegen hatten Schiffe der Alten Welt zielsicher Inseln im Atlantik wie auch amerikanische Gestade angesteuert. Strabon, Herodot, Porphyrius, Diodorus und Homer wußten zu berichten, daß die Phönizier, bedeutendstes Handelsund Seefahrervolk im Altertum, nicht nur an den Küsten Europas (sie fuhren sogar bis nach Britannien und brachten von dort Zinn in den Mittelmeerraum) und Afrikas (ihnen

gelang schon die Umschiffung der Südspitze) segelten, sondern auch zu „fernen Inseln“ jenseits der „Säulen des Herkules“. In seiner „Terrae Incognitae“ schwärmt Aristoteles von „paradiesisch schönen, fruchtbaren, bewaldeten Inseln im fernen Westen, deren Flüsse schiffbar sind und auf denen es hohe Gebirge gibt“. Piaton spricht von einer Insel, die größer sei als Asien und Lybia (Afrika) zusammen und irgendwo im Atlantik liege. In

alten Dokumenten von Karthago fand sich ein Hinweis darauf, das die Phönizier ihr Wissen um diese andere Welt als geheime Verschlußsache ansahen, um bei Not dorthin fliehen zu können - wohl aber auch, um ihr „Handelsmonopol“ bei deren Bewohnern zu sichern. Sie tauschten bei den“ Indios jedoch nicht nur Edelsteinen, Hölzer, Gewürze, Felle gegen Waren der alten Welt ein...

Die deutsche Kunsthistorikerin und Archäologin Heinke Sudhoff hat in jahrelanger Recherchearbeit verblüffende Paralellen aufgedeckt: Seit der Mitte des 2. Jahrtausend v.u.Z. gründeten die Phönizier entlang der von ihnen ständig befahrenen Routen zahlreiche Koloniestädte, so Tartessos und Cadiz an der Atlantikküste Spaniens. Zeitgleich entstand die erste mesoamerikanische Hochkultur. Auf der Höhe ihrer Macht gründeten die Phönizier im 9. Jahrhundert v.u.Z. Karthago, das alsbald zur bedeutendsten Hafen- und Handelsstadt am Mittelmeer wurde. Damals begann auch die Blütezeit der mittelamerikanischen Olmeken-Kultur. Im 6. Jahrhundert v.u.Z. wurden die Phönizier von Assyrern, Babyloniern, Persern bedrängt, in Mesoamerika vollzog sich ein tief-

greifender kultureller Umbruch, von der Olmeken- zur Maya-Kultur. Sind die Phönizier ihren Feinden nach Westen entfleucht? Im letzten Jahrhundert v.u.Z. schwanden Macht und Reichtum der phönizisch-punischen Handelsstädte, Rom siegte über Karthago. Zur selben Zeit festigte sich die Entwicklung in Mittelamerika. Die Maya verblieben auf der Zivilisationsstufe, die sich Jahrhunderte vor der Zeitenwende herausgebildet hatte.

Diese Thesen würden das Phänomen erklären, über das Wissenschaftler seit langem grübeln: Wie kommt es, daß die altamerikanischen Hochkulturen faktisch aus dem Nicht entstanden, ohne erkennbare Entwicklungsphasen? In ihrem Buch “Sorry, Kolumbus“ verweist Heinke Sudhoff auf verblüffende Gemeinsamkeiten in Schrift und Sprache, Kult und Kosmologie, Architektur und Kunst Altamerikas und des Vorderen Orients wie auch auf eindeutige Zeugnisse von Besuchern der antiken Welt. So fand man Stelen mit Abbildern bärtiger Seefahrer europider Rasse, Terrakottaköpfchen von negriden Typus und Maya-Vasen mit Darstellungen rothäutiger, weißer und schwarzer Menschen. Ob nun Schwarz-

afrikaner - die übrigens zum Erstaunen der ersten spanischen Conquistadores damals schon unter den Indios lebten. - als Sklaven der Phönizier nach Amerika kamen, oder, wie einige Wissenschaftler vermuten, in grauen Vorzeiten selbst die Atlantiküberquerung gewagt und bewältigt hatten, wird wohl kaum mehr zweifelsfrei geklärt werden. Nach einer antiken Überlieferung soll ein Sultan aus Mali namens Musa mit 100 Schiffen „zu den Grenzen des Ozeans im Westen“ gesegelt sein.

Doch zurück zu den Spuren der Phönizier, einem Volk, das sich anzupassen und die verschiedensten Kultureinflüsse aufzunehmen verstand und somit gleichermaßen auch kulturelle Impulse ägyptischen, hebräischen, iberischen oder keltischen Ursprungs über den Atlantik transferierte. Neben der Identität des Gottes „Baal“ bei Maya wie Phöniziern gibt es noch etliche sprachliche Übereinstimmungen. Das Maya-Wort „ix“ (gesprochen isch) bedeutet ebenso wie das semitische „ischa“ Frau; Meer heißt auf Semitisch „yam“ und in der Maya-Sprache „yom“, „at“ in beiden Sprachen „du“ etc. Ebenso wie die Pharaonen haben auch die Maya-Herrscher die Geschwisterehe gepflegt, um die

Dynastie kleinzuhalten. Nicht nur in Mittel- auch in Südund sogar Nordamerika wurden Spuren der antiken Besucher entdeckt. Bei Ausgrabungen in Equador wurde eine kleine Sphinx-Figur zu Tage gefördert. Und: In Paraguay fand sich 1 000 Kilometer von der Atlantikküste entfernt ein in das 5. (bzw. 3.) Jahrhundert v.u.Z. datierter Text: „Diese Inschrift wurde von Seeleuten aus Cadiz geschrieben, die auf Erkundungsfahrt sind.“ In der Nähe New Yorks entdeckte man, in Felsen geritzt, den Umriß eines Schiffes, darunter die Worte: „Dieser Felsen kündet von den Seefahrern aus Tartessos“.

Altamerikanische mythologische Überlieferungen stützen die Indizienkette. Noch zu Zeiten der Conquista wurde die Geschichte vom. „weißen Gott“ erzählt. “Dieser sei aus dem Osten über das große Meer zu den Indios gekommen und habe ihnen das Wissen um die Mathematik, die Astrologie und die Medizin gebracht. Er lebte unter ihnen, verließ sie jedoch dann wieder - mit dem Versprechen, zurückzukehren. Der Aztekenherrscher Montezuma und sein Volk hielten fataler Weise Cortez für den „weißen Gott“...

PHILIP MARTINEZ

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