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  • Kultur
  • Erinnerung an den Schauspieler Wolf Kaiser, der durch Freitod aus dem Leben schied

Macheath kam durch – er nicht

  • Peter Hof
  • Lesedauer: 3 Min.

Wieviel Verzweiflung muß im Spiel sein, wenn ein alter Mensch sein absehbares biologisches Ende nicht erwarten will, wenn er, hochbetagt, seinem Leben selbst ein Ende setzt! Wolf Kaiser ist diesen letzten Schritt gegangen. Eine schwere Krankheit hatte ihn schon vor Jahren zum Abschied von der Bühne und von der Film- und Fernseharbeit gezwungen. Aus dem Kreis seiner Freunde war zu hören, daß es aber nicht allein das physische Leiden war, das ihn zu dieser Handlung getrieben hat. Es war die Kälte in dieser neuen Gesellschaft, in die er sich wie wir alle so unvermittelt hineinversetzt fand, die ihn verzweifeln ließ.

Als Wolf Kaiser vor einiger Zeit seinen 75. Geburtstag beging, gab er sich bei dem Empfang, den das Berliner Ensemble ihm zu Ehren veranstaltete, verwundert: „Ich hätte gar nicht gedacht, daß ich noch so viele Freunde habe.“ Das war nicht Koketterie, er hat's wohl bitter ernst gemeint.

Es war im vergangenen Jahrzehnt still um Wolf Kaiser geworden. Zusammen mit Marianne Wünscher verkörperte er 1982 im DDR-Fernsehen noch den „Casanova auf Schluß Dux“ in Gassauers Konversationskomödie. In Adlershof hatte er nach dem Verbot von Egon Günthers Keller-Adaption „Ursula“ 1978, in der er eine der Hauptrollen spielte, kaum noch zu tun gehabt. Der Casanova wurde ein Erfolg, kein Comeback für diesen Schauspieler, der in der DDR ein Star gewesen war und auch internationale Angebote hatte.

Als junger Schauspieler war Kaiser zu Brecht an das damals noch gar nicht berühmte, sondern im Gegenteil heftig umstrittene BE gegangen und hatte hier zuerst kleine, dann aber nur noch große Rollen gespielt. Er war der Feldprediger in der „Courage“, Captain Brazen in „Pauken und Trompeten“, der „Gelehrte Wu“

Seinen Ruhm begründete er 1960 mit der Rolle des Mackie Messer in Erich Engels Inszenierung der „Dreigroschenoper“ Wolf Kaiser wurde für viele Jahre der Darsteller dieser Rolle: elegant, intelligent und zynisch. Er spielte den Emmanuele Giri, den Göring als Gangster, in Palitzsch/Wekwerths Inszenierung des „Aufhaltsamen Aufstieg des Arturo Ui“ Mit solchen Rollen hatte er Anteil am Weltruf des Berliner Ensembles in den sechziger Jahren. Es kam der „Papa“ in „Die Tage der Commune“ hinzu. Dann verließ er das Brecht-Theater, das in die Krise gekommen war. An der Volksbühne stand er in Shaws Komödie „Cäsar und Cleopatra“ zusammen mit Angelika Domröse auf der Bühne. Mehr und mehr verlegte er sein Wirkungsfeld zum Fernsehen.

Dem „Meister Falk“ in den Wogatzki-Stücken gab er trotz der Umwidmung dieser Rollengestalt durch die Kulturadministratoren noch etwas von dem, was diese Figur einmal sein sollte: ein zeitgenössischer Eulenspiegel, der die Beschlüsse der Oberen mit gesundem Menschenverstand hinterfragt. Er ließ sich nie auf diese Rolle festlegen, spielte immer wieder auch Ganoven und zwielichtige Typen. Die Zuschauer liebten diesen vielseitigen Darsteller.

Sein Selbstmord geht denen, die ihn kannten, nahe und gibt zu denken. Als Macheath hatte er der kapitalistischen Gesellschaft boshaftironisch Maß genommen. Er war der „untergehende Vertreter eines untergehenden Standes“, der Räuber, der am räuberischen Kapitalismus zugrundegeht. Diese Räubergesellschaft sollte in einer menschlicheren Sozialordnung ihr Ende finden. Die Utopie scheiterte. Der Darsteller des Mackie Messer hat den realen Kapitalismus offenbar nicht ertragen können.

PETER HOFF

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