Eine Stadt hilft sieben obdachlosen Kindern
Nach einem Brand zeigen Lychener, dass Solidarität in der märkischen Kleinstadt tief verwurzelt ist
Glücklicherweise waren die Kinder gerade auf einer Urlaubsreise an der Nordsee. Dort können sie nun solange bleiben, bis in Lychen ein neues vorübergehendes Zuhause fertig gestellt ist. »Das Feuer hat alles vernichtet. Da ist kein Buch, kein Kleidungsstück, kein persönlicher Gegenstand mehr da. Das schmerzt umso mehr, weil manche der Kindern wirklich ganz allein, ohne Familie, dastehen und letzte Erinnerungsstücke nun vernichtet wurden«, so Anne-Rose Kleiner.
Die ersten Helfer kamen noch in der Brandnacht
Die 50-Jährige, die in der Einrichtung als Hauswirtschafterin arbeitet und so etwas wie eine Ersatzmutter für die Kinder ist, musste die Lychener nicht lange bitten. Noch in der gleichen Nacht kamen Nachbarn und zahlreiche Handwerksfirmen zu ihr und haben Hilfe angeboten. Ein namhafter Schuhfabrikant spendierte Schuhe, ein Discounter Betten, Möbelhäuser leisteten nicht nur selbst tatkräftig Hilfe, sondern organisieren außerdem über ihre Kunden gebrauchte Möbel. Das Templiner Küchenstudio sponserte eine neue Küche. Auch viele Lychener halfen spontan mit Mobiliar und anderem Notwendigen. Die »Rettenden Engel« in Templin, die sich um sozial Benachteiligte kümmern, gaben Möbel, die sie selbst geschenkt bekamen.
Seit dem Brand steht das Telefon von Anne-Rose Kleiner nicht mehr still. Viele rufen an und fragen, wie sie helfen können. Unter der Kontonummer 121212129 wurde bei der Volksbank Uckermark inzwischen ein Spendenkonto eingerichtet, das täglich wächst.
»In Zeiten der Not haben die Lychener schon immer zusammengehalten. Die Solidarität hat bei uns Tradition«, weiß der Abgeordnete Siegfried Gemballa (SPD), der auf der Stadtverordnetentagung spontan seine Aufwandsentschädigung spendete. Seinem Beispiel sind inzwischen viele andere Parlamentarier gefolgt. Uneigennützige Hilfe sei eben für die Lychener selbstverständlich, meint Gemballa und nennt gleich mehrere Beispiele für weitere Hilfsaktionen, wie etwa die für den Verein der Tschernobyl-Kinder.
Offenbar sind die Lychener ein ganz besonderer Menschenschlag, mutmaßt der Württemberger Joseph Siefert, der in Lychen ein paar Tage Urlaub macht. »Ein Paradebeispiel wahrer Brüderlichkeit! So viel Freundlichkeit und Mitgefühl, Anständigkeit und Uneigennützigkeit, das erlebe ich zum ersten Mal«, sagte der alte Herr und notiert sich die Nummer des Spendenkontos und die Telefonnummer von Anne-Rose Kleiner, die auf zahlreichen, überall in Lychen angebrachten Handzetteln als Ansprechpartnerin für Sachspenden angegeben ist. Ebenso überwältigt von der Welle der Hilfsbereitschaft zeigt sich der Geschäftsführer der abgebrannten Kindereinrichtung, Thomas Zink, der als privater Träger fungiert.
Im Zwischenquartier sind schon Handwerker
Unmittelbar nach dem Brand hat Bürgermeister Sven Klemcke (parteilos, von der PDS nominiert) die Villa Kunterbunt, eine ehemalige Kita, angeboten. Die wird jetzt von Handwerksfirmen soweit hergestellt, dass die Kinder und Jugendlichen nach ihrer Rückkehr aus den Ferien zumindest vorübergehend ein neues Zuhause vorfinden. In dem Ausweichquartier sind derzeit gleich mehrere Handwerksfirmen dabei, den Kindern eine gemütliche Ersatzwohnung zu schaffen. Eine Sanitärfirma installiert Duschen, ein Elektromeister kümmert sich um Stromanschlüsse, ein Malermeister streicht Fenster und Türen.
»Lange werden wir diese Gastfreundschaft nicht in Anspruch nehmen müssen«, hofft Zink. Die Versicherung habe bereits Beistand signalisiert. »Und dann bauen wir unser Haus schnell wieder auf«, ist der junge Mann angesichts der Hilfsbereitschaft der Handwerksfirmen überzeugt. Zink hatte 1997 im Ort seine private Jugendhilfeeinrichtung »Die Wattenbeker« gegründet, die er zusammen mit seiner Ehefrau betreibt. »Wir kannten hier kaum jemanden. Anfangs waren wir vor allem von der schönen Stadt angetan, die als Luftkurort einst gar internationalen Ruf genoss. Inzwischen sind wir aufgenommen in eine Gemeinschaft, die sich Hilfsbereitschaft, Mitmenschlichkeit und Solidarität bewahrt hat.«
Übrigens: Sogar König Wilhelm I. übte schon einmal tatkräftige Solidarität mit dem Örtchen Lychen, das er sehr liebte. Nach einem verheerenden Brand spendete er den Bewohnern einst 22000 Taler, damit sie ihre Stadt wieder aufbauen konnten.
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