Liebe ist nicht hinderlich

Fielmann verkauft nicht nur Brillen, sondern ist auch Ökobauer. Einer der vier Teilbetriebe von Hof Lütjensee liegt an der Ostsee, dort ist Eberhard Krebs Betriebsleiter

  • Christina Matte
  • Lesedauer: ca. 10.0 Min.
Die Mutter habe nie gewollt, dass sie einen Landwirt heirate. Als Frau eines Bauern habe sie ihrer Tochter ein anderes Schicksal gewünscht - die Liebe nahm darauf keine Rücksicht. 1991 heiratete Astrid Eberhard Krebs und zog mit ihm aus Schleswig-Holstein ins östliche Mecklenburg-Vorpommern. Ein Schicksal? Astrid und Eberhard Krebs lächeln sich kurz an: »Nicht wirklich.« Die Landwirtschaft hat sich verändert. Eberhard Krebs bewirtschaftet die Flächen, die zu drei Dörfern gehören: 830 Hektar Acker und ca. 30 Hektar Grünland. Außerdem hält er zwei Rinderherden mit 36 Kühen und 20 Kälbern. Obwohl er ökologischen Landbau betreibt, von dem es heißt, dass er arbeitsintensiv sei, kann er das alles mit Hilfe der Technik und drei Mitarbeitern bewältigen. Jetzt freilich, es ist Ende Juli, als wir ihn einen Tag lang begleiten, hat er mit der Ernte begonnen. Der Roggen - die Körner in diesem Jahr nicht gerade groß, doch auch nicht zu klein - war früher als erwartet reif. Das heißt: Spitzenarbeitszeit. Seine Tage im Betrieb ziehen sich abends bis elf Uhr hin, sind prall gefüllt, fordernd, anstrengend. So hat er uns auch nur ganz kurz bei sich zu Hause abgesetzt, damit wir seine Frau kennen lernen und von der Obstgrütze kosten können, die sie gekocht hat und gastfreundlich auftischt. * Zu diesem Zeitpunkt sind wir bereits Stunden an seiner Seite gewesen. Als wir morgens zu ihm stießen, hatte er schon die Arbeit eingeteilt, Erbsen und Hafer eingelagert, die man aus Schleswig-Holstein schickte, war dann zum Maschinenhof gefahren, um die Werkstatt anzurufen, wo Ersatzteile für den Mähdrescher blieben. Wir fanden ihn in der Getreidehalle. Mit 22 mal 70 Metern, 36 Lagerzellen, elektronischer Waage, Laufbändern und etlichen automatischen Helfern ist die Halle, in der die Ernte gelagert und aufbereitet wird, eine industrielle Anlage! Romantische Vorstellungen verflüchtigen sich auf der Stelle: Auch Öko-Bauern arbeiten heute nicht mehr mit Schaufel und Mistgabel - wenn sie es sich denn leisten können. Eberhard Krebs, 40, kann es nicht. Er ist nicht selbstständig, sondern Angestellter: Leiter des Betriebes Niendorf an der Wohlenberger Wiek, der Teil des Ökohofs Lütjensee ist. Während der Roggen über das Band lief, setzte uns Eberhard Krebs ins Bild, wie der Hof Lütjensee entstand, wie er konzipiert und strukturiert ist: In dem kleinen Ort bei Hamburg habe »Herr Fielmann, der selbst aus einem kleinen Schleswig-Holsteinischen Dorf stammt und immer den Traum von der Landwirtschaft träumte«, einen Bauernhof gekauft, um seinen Traum zu verwirklichen. Er habe den Bauernhof auf ökologische Landwirtschaft umgestellt, »das ist seine Möglichkeit, etwas für die Umwelt zu tun - sein ganz großes Anliegen.« Manche PR-Stories sind wahr. Und Eberhard Krebs ist ein guter Erzähler: Hof Lütjensee sei der Stammbetrieb und zugleich das Schaufenster. Man halte dort viele Tierarten - Schafe, Rinder, Schweine, Hühner, Enten, Gänse, vornehmlich solche Rassen, die bedroht sind. Und im großen Hofladen werde das Vollsortiment geboten: von Brot, Fleisch, Eiern, frischem Gemüse bis zu Wein und Biokosmetik. Im Laufe der Jahre habe »Herr Fielmann« mehr Flächen dazu gekauft, neue Betriebe seien entstanden. Der Hof Ritzerau zum Beispiel in der Nähe von Ratzeburg: Dort werde in Kooperation mit der Uni Kiel geforscht. Wichtig, denn im Öko-Bereich gäbe es noch viele Wissenslücken, weil die konventionelle Agrarforschung ihn über Jahrzehnte vernachlässigte, und speziell der biologische Landbau von privaten Forschungen durch Saatgut- und Pestizidindustrie naturgemäß kaum profitierte. Dritter Betrieb: Gut Schierensee, wo man hauptsächlich Vieh züchte, Limousin-Rinder, Holsteiner Pferde, und wo man die weltgrößte Herde Kärntener Brillenschafe besitze. Schließlich, seit 91, Niendorf. Die Kornkammer der vier Betriebe. Acker am Stück, guter Boden. Roggen, Sommer- und Winterweizen, Gerste, Hafer, Dinkel, Erbsen und Kleegras als Futter und Gründüngung... Die verbindende Philosophie: Man wolle den Beweis erbringen, dass sich auch Öko-Produkte zu erschwinglichen Preisen herstellen lassen. »Jeder soll sie sich leisten können.« Just als er das sagte, schienen sich in dem Lagerhallenverschlag, in dem wir uns angeregt unterhielten, Whiskyduft und blauer Dunst auszubreiten. Eine Lady tauchte auf: »Finden Sie einen Optiker, der günstiger als Fielmann ist!« Mike Hammer schnaubte: »Vergessen Sies!« Krebs grinste über die Vision. Günstige Preise, sagte er, seien keine Dumpingpreise, die strebe man im Agrarbereich nicht an. »Wir könnten sie uns gar nicht leisten und würden auch keine Freunde gewinnen«. Hof Lütjensee stünde trotzdem gut da: Alle seine vier Betriebe wirtschafteten gewinnbringend. Der Gewinn entspreche etwa den EU- und Bundesfördermitteln. Ohne sie betrüge er plus/minus null - man könnte also nicht existieren. * Die Grütze von Astrid Krebs ist köstlich. Wie das Brot, das sie selbst gebacken hat. Natürlich ernähre sich die Familie nicht ausschließlich von Bio-Produkten, aber doch gesundheitsbewusst, »wir sitzen ja hier an der Quelle«. In diesen Wochen ist sie viel allein. Doch einsam, beteuert Astrid Krebs, die die drei Kinder zu Hause betreut und im Betrieb nicht mitarbeitet, einsam sei sie deshalb nicht. Sie hätten sich hier gut eingelebt, man habe sie gut aufgenommen. Vielleicht, denke ich, weil die Familie nicht »den Wessi« raushängen lässt, den Wessi, den es so nicht gibt: Ein Blick auf Haus und Garten zeigt, auch Krebsens müssen Haus halten. Das Haus, renoviert und mit Holz verschalt, war früher ein LPG-Gebäude mit Konsum und Hähnchenbrüterei - den Charme der einstigen Baracke vermochten sie nicht auszutreiben. Noch sind die Fenster nicht verschalt, eine neue Lasur ist fällig. Deshalb ist eine Freundin hier, sie will mit Astrid zur Tat schreiten: »Wenn das Wetter es erlaubt, dass man was am Haus machen kann, ist auch auf den Feldern Hochbetrieb, so dass Eberhard bei uns ausfällt.« Trotzdem nehme er sich Zeit, mit ihr und den Kindern zu Mittag zu essen. Könne er einmal wirklich nicht kommen, schnappe sie sich die Kinder und einen Korb, dann werde am Feldrand gemeinsam gepicknickt... Es klingt nach familiärer Idylle. Auch wenn wir Eberhard Krebs bisher nur sehr flüchtig kennen lernten, schien uns seine sachlich-offene Art ausgesprochen familienfreundlich. Er wirkte zufrieden, ausgeglichen, ein Mann, dem seine Arbeit Spaß macht, ein Fachmann - gut ausgebildet, erfolgreich -, der nicht unter existenziellem Druck steht. Der die Sorgen der kleinen Ökobauern, die ums Überleben kämpfen, zwar kennt, aber doch ausblenden kann, weil sie ihn, Gott sei Dank, nicht betreffen. Der überzeugt ist, Bauern würden mit einem Stein auf der Brust geboren, damit sie gleich das Stöhnen lernten. Der zum Stöhnen keinen Grund sieht, weil er nicht glaubt, dieser trockene Sommer sei für seine Zunft dramatisch - niemals seien »alle zufrieden: Wenn sich der Grasbauer Regen wünscht, wünscht der Getreidebauer sich Trockenheit, er möchte ja die Ernte einbringen. Und wer in einem Jahr Verlust macht, kann ihn im nächsten Jahr ausgleichen«. Da Astrid Krebs ihren Zweijährigen zur Toilette begleiten muss, kann ich meine Notizen durchgehen. Steckt ein kleiner Ökobetrieb Ernteeinbußen wirklich so locker wie ein großer weg? Sind kompakte Wirtschaftseinheiten nicht nur in der Industrie, sondern auch in der Landwirtschaft, ja sogar im Ökobereich, effizienter, widerstandsfähiger? Hof Lütjensee verschmerzt es leichter, dass EU-Fördermittel demnächst verstärkt auf Umwelt erhaltende Projekte umgeleitet werden - »das macht gerade mal fünf Prozent aus«. Jedoch ohne EU- und Bundesmittel käme man auch nicht über die Runden: »Sie sind quasi unser Reingewinn, ohne sie könnten wir nicht existieren.« Weiter habe ich notiert: Der Hof ist Mitglied in »Bioland«, einem der drei großen Ökoverbände, der die Vermarktung übernimmt, und hat keine Absatzschwierigkeiten. Zu den Großkunden gehören eine Biomühle in Niedersachsen und die Vertragsbäckerei Knaack bei Lübeck, die in ihren 45 Filialen neben dem herkömmlichen Sortiment auch das Sortiment Hof Lütjensee bietet. Dennoch, so Eberhard Krebs, habe auch der kleine Ökobauer am Stadtrand, der seine Lebensmittel direkt vermarktet, seine Chance. »Er träumt von Fördermitteln für seinen Hofladen, wir von einer Werbekampagne, dass WASA sein Knäckebrot künftig aus Ökogetreide herstellt.« Inzwischen ist er mit seinem Jeep wieder auf den Hof gerollt. Er will uns den Betrieb zeigen. * Felder, so weit das Auge reicht, sonnengelb steht das Getreide. Ganz hinten, am Horizont, die Ostsee. »Bei uns hat das Wetter gut mitgespielt, wir hatten nicht diese Trockenheit, unter der die Ernte in Brandenburg leidet. Außerdem wirkt sich Trockenheit auf Bioflächen nicht so aus: Da wir nicht chemisch düngen und spritzen, wachsen pro Quadratmeter knapp zwei Drittel weniger Halme als auf konventionellen Flächen. Weniger Halme verbrauchen weniger Wasser, sie verdursten nicht so schnell, wenn der Regen mal länger ausbleibt.« Und da er schon mal dabei ist, räumt er noch mit der Legende von der Arbeitsintensität auf: »Sicher, jede mechanische Arbeit kostet erst einmal mehr Zeit. Doch wie oft muss der konventionelle Bauer denn zum Spritzen und Düngen aufs Feld? Wir striegeln das Unkraut, bringen Klee als Untersaat unters Getreide - den geringeren Ertrag kompensieren wir über den Preis.« Krebs lenkt den Jeep über ein Feld, das bereits abgeerntet ist - ein Ritt durch die Steppe ist dagegen gar nichts. »Sehen Sie«, seine Hand beschreibt einen weiträumigen Kreis, »hier haben wir das Stroh fein gehäckselt, die Nährstoffe bleiben auf dem Feld. Nur dort hinten liegt es in Schwaden, die Presse macht daraus Rundballen, die wir für die Rinder einstreuen.« Wir bitten ihn, kurz anzuhalten, damit wir ihm den Erfahrungsbericht eines Kollegen vorlesen können: Ein Öko-Landwirt erzählt darin, wie die vermehrten Unkräuter bei ihm im Stroh Pilze bildeten, deren Toxine die Gesundheit seiner Tiere runinierten. Krebs, der diesen Bericht nicht kannte, sinnt eine Weile darüber nach. »Mal dämmen wir das Unkraut gut ein, mal gelingt es uns weniger. Das ist dann aber auch nicht schlimm. Schließlich sind in Unkräutern jede Menge Kräuter enthalten: Raten Sie mal, warum die Bayern den schmackhaftesten Käse machen.« Die Sache arbeitet noch in ihm. »Stimmt schon«, kommt er zu einem Schluss, »mit verdorbenem Stroh und verdorbenem Futter kann man keine Tiere halten. Es muss schon 1A-Qualität sein.« Bei Krebs begreift man vor allem eins: Das Ökofach ist kein Gesinnungsfach. Wie im konventionellen Bereich sind Wissen und Erfahrung wichtig. Er selbst, Bauernkind wie seine Frau Astrid, lernte Landmaschinenschlosser, bevor er die Fachschule für Landwirtschaft in Soest absolvierte. Nach einem Jahr der »Wanderschaft« in Australien und Kanada schrieb er Bewerbungen für eine Stelle, der Hof Lütjensee stellte ihn ein. »Ich war ganz froh«, behauptet er heute, »dass ich auf einen Biohof kam - schon während der Ausbildung waren in mir Bedenken gewachsen gegen die ganzen Düngemittel.« Jetzt düngt er mit Kalk und Grünbrache, wie es der Branchenkodex vorschreibt. Doch ein Ideologe ist er nicht, und schon gar kein Idealist: »Das Marktsegment ist hart umkämpft, und wir wollen damit ja Geld verdienen.« Er jagt zurück zur Getreidehalle: Das Band läuft; er will es im Auge behalten. Dann setzen wir die Rundfahrt fort - zu den Limousin-Rindern, die den Sommer mit ihren Kälbern im Freien verbringen, zu den Galloways, die seit zwölf Jahren keinen Stall gesehen haben, weil sie sozusagen winterhart sind. Drei Mal pro Woche besucht er die Tiere, in der Kälbersaison täglich. »Ist ein Kalb älter als einen Tag, kriegt man die Marke nicht mehr ins Ohr. Sie glauben gar nicht, was Gallowaykühe für einen Mutterinstinkt entwickeln.« Keine Frage, das gefällt ihm. Ökologische Landwirtschaft mag ein nüchternes Geschäft sein, doch mit Liebe zu arbeiten, ist auch hier nicht hinderlich. Voller Stolz zeigt uns Krebs die Kleegrasfelder, in denen Kamille und Klatschmohn blühen, die Flächen mit Sonnenblumen und leuchtendblauer Phacelia - sie sehen nicht nur hübscher aus als zwangsweise stillgelegte Flächen, ihr Name »Blühflächen« klingt auch netter. Als Krebs einen Trampelpfad am Feldrand entdeckt, erleben wir ihn zum ersten Male ärgerlich. »Entschuldigen Sie, doch das ist noch eine typische DDR-Unart. Im Westen kommt keiner auf die Idee, auf den Acker auszuweichen, weil nebenan die Straße schlecht ist.« Die Achtung vor dem Boden ist Eberhard Krebs anerzogen. Wie die Achtung vor seinen Früchten. Wir müssen erneut zur Getreidehalle, weil er das Band ausrichten will, damit kein Gramm Roggen danebenrieselt. * Von der Halle entlang der Felder ließ »Herr Fielmann« Hecken pflanzen. 14 Kilometer Kirschen, Weißdorn, Schlehen, Wildpflaumen als Rückzugsmöglichkeit für die Insekten, welche die Felder bevölkern sollen. Im Augenblick sind Sträucher und Früchte dünn überpudert mit weißem Staub - rund um die Halle wird gebaut. Ein neuer Betriebshof entsteht, »ein bisschen schön, mit Ziegeln und Holz: Produktqualität allein genügt nicht, auch das Auge will angesprochen sein.« Auch ein Rinderstall wird gebaut, die Zucht soll erweitert werden. Das Handy klingelt: In zehn Minuten wird eine weitere Ladung Erbsen aus Schleswig-Holstein eintreffen. Dann wieder Roggen aus Niendorf - so geht es bis in die Nacht weiter. In der Nacht wird Eberhard Krebs mit Astrid noch an den Strand fahren. »Es gibt nichts Besseres nach einem langen Tag, als beim Baden den Staub loszuwerden.« Momente, mit denen sich Astrid Krebs in diesen Woch...

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