Im Kanzleramt regiert Porscheblau
Ein Rundgang durch den Amtssitz des Regierungschefs/Am 16. und 17.8. für alle offen
Die Wohnung des Hausmeisters im Bundeskanzleramt hat eine Terrasse zur Spree. Die Kapitäne einiger Ausflugsdampfer erzählen ihren Passagieren, dass dort der Kanzler residiert. Der Hausmeister weiß das. Er macht sich einen Spaß daraus, den Leuten hinter der Gardine zuzuwinken.
Dergleichen Anekdoten weiß Roland Marek im Dutzend zu erzählen. Für das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung führt der gelernte Jurist Menschen durchs Bundeskanzleramt. Wer mitkommen will, muss sich auf eine Warteliste setzen lassen. Derzeit klopft der Besucherdienst Termine für den Mai 2004 fest. Ausnahme davor sind die Tage der offenen Tür am 16. und 17. August 2003.
In diesem Jahr kommen voraussichtlich 50000 Besucher ins Kanzleramt. Der 238 Millionen Euro teure Bau beherbergt 370 Büros für 460 Mitarbeiter. Das Appartement von Gerhard Schröder befindet sich im 8. Stock, die Terrasse dort geht zum Tiergarten hinaus. Ursprünglich sollte eine extra Residenz im Garten auf der anderen Spreeseite entstehen. Doch aus Kostengründen verzichtete die Bundesbaugesellschaft darauf. Auch das Bürgerforum neben dem Kanzleramt gibt es nur auf dem Papier. Weil das Amt nun allein stehe, wirke es so riesig, erläutert Marek. Überdimensioniert sei es nicht. Unten im Ehrenhof fahren Staatsgäste vor. Gäste aus arabischen Ländern führt man weiter links ins Gebäude, denn rechts steht die Skulptur einer nackten Frau. Ein Anblick, mit dem Araber nicht brüskiert werden sollen.
Marek philosophiert über die Verbindung von Bauwerk und Natur. Er zeigt den wilden Wein an den Wänden. Später erst verrät Marek, warum der Wein dort rankt. Nicht etwa, weil das so schön aussieht, sondern weil die Pflanze die Feuchtigkeit aus der Wand zieht. Statt Sichtbeton wünschte sich Helmut Kohl laut Marek Bonner Sandstein, der nicht extra impräg-
niert wurde.
Beinahe hätte Kohl dem Kanzleramt so richtig dick seinen Stempel aufgedrückt. Der Volksmund sei drauf und dran gewesen, dem Bau den Namen »Kohlosseum« zu verpassen. Doch ehe der CDU-Mann einziehen konnte, verlor er die Wahl. Helmut Kohl setzte im Februar 1997 den ersten Spatenstich fürs Kanzleramt, Gerhard Schröder übernahm im Sommer 2001 den Schlüssel.
Ein Hauch von CDU schwebt jedoch im Kabinettssaal. In der Mitte des ovalen Tisches steht eine Golduhr, auf der man die Zeit von vier Seiten ablesen kann. Konrad Adenauer schaffte sie an, weil es ihn nervte, dass seine Minister immer ungeduldig nach den Taschenuhren kramten. Willy Brandt störte dann das laute Uhrwerk- er ließ es austauschen. Zu den Utensilien des Bundeskanzlers am Kabinettstisch zählen eine Klingel und eine Glocke. Niemand, der keinen Stuhl dort hat, darf den Raum unaufgefordert betreten.
Der Raum für die Pressekonferenzen ist entgegen der Gepflogenheiten breit statt tief. Vom Eingang bis zum Tisch sind es nur wenige Schritte. Das ist nicht nach dem Geschmack von Gerhard Schröder. Der als »Autokanzler« bekannte Politiker liebt es, dynamisch zum Pult zu eilen und ließ deshalb eine »provisorische Presseecke« einrichten. In 70 bis 80 Prozent der Fälle unterrichtet er die Medienvertreter dort am Stehpult.
Falls Schröder in den Presseraum geht, dann nicht über Brücke und Treppe durch den Hintereingang. Der Kanzler möge es nicht, wie Gott aus dem Nichts zu erscheinen, erläutert Marek. Lieber nehme er in Kauf, über die Kabel der Fernsehteams zu stolpern, wenn er durch die Tür hereinkommt, die auch die Journalisten nehmen. Vorn am Tisch stehen absichtlich acht Stühle. So kann niemand in der Mitte sitzen. Ein Prinzip, dass sich fortsetzt- in einer Herrentoilette unter dem Dach sind die Pissoirs kreisrund angeordnet.
Im ganzen Haus dominiert Porscheblau. Sogar der Holzkeil für die Tür zum Bankettsaal ist so eingefärbt. Im Saal selbst wurden die blauen Stühle gegen bequemere in Beige ausgetauscht. Vor dem Fenster pflanzte man eine Hecke, die die Solaranlage über dem Heizkraftwerk unsichtbar macht und den Blick stattdessen auf den Tiergarten lenkt. Für Architekt Axel Schultes ist das eine Verfälschung seiner Ideen. Er lässt den Banke...
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