Eine Herzenssache

Die Enkeltöchter von Karl Liebknecht beschenkten Leipzig

  • Volker Külow
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Als im Sommer 1841 der Leipziger Schiller-Verein eine Weste aus dem Besitz des verehrten Dichters erhielt, fühlte sich der Apothekerlehrling Theodor Fontane zu seinem literarischen Debüt herausgefordert. Unter dem Titel »Shakespeares Strumpf« schrieb er ein kleines, stark beachtetes Spottgedicht über die Angelegenheit, »die für ganz Leipzig etwas von einer Herzenssache hatte«. Auch 162 Jahre später zeigte sich die Messestadt und die hier beheimateten Medien erstaunlich interessiert, als wiederum Kleidungsstücke einer namhaften historischen Persönlichkeit von weit her den Weg an die Pleiße fanden. Als Gast der Leipziger PDS weilten die beiden Enkeltöchter von Karl Liebknecht, Maja und Marianne Liebknecht, in der Geburtsstadt ihres Großvaters, um einen Gehrock und drei Westen aus dessen einstigem Besitz offiziell dem Stadtgeschichtlichen Museum zu übergeben. Im Rahmen einer kleinen Feierstunde bedankte sich Museumsdirektor Dr. Volker Rodekamp für das Geschenk und hörte dann gebannt wie alle anderen Anwesenden der erstaunlichen Erzählung von Maja Liebknecht zu, die als Tochter des Liebknecht-Sohnes Wilhelm, die Sachen vor drei Jahren in der Moskauer Wohnung ihrer Eltern fand.
Nur wenige deutsche Familien des 20. Jahrhunderts sind von den Wirren der Zeit und von Schicksalsschlägen so gezeichnet worden wie die Liebknechts. Die Ermordung Karl Liebknechts am 15. Januar 1919 wurde nach dem frühen Tod der Mutter im Jahre 1911 für die drei Liebknecht-Kinder Wilhelm, Robert und Vera zu einer »ewig klaffenden Wunde« (R. Liebknecht). Nach Schikanen und Denunziationen in der Zeit der Weimarer Republik wurde die Familie in der Nazizeit in alle Winde zerstreut. Während Vera 1934 in Wien viel zu früh verstarb, begann für den Maler Robert Liebknecht und seine Frau Hertha nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges eine Odyssee durch französische Internierungslager. Der ein Jahr ältere Bruder Wilhelm hingegen konnte im Moskauer Exil trotz seines berühmten Namens stalinistische Repressionen gegen seine Familie nicht verhindern. Bei der erzwungenen Evakuierung aus Moskau im Oktober 1941 mussten in der Wohnung wichtige Dokumente und persönliche Gegenstände aus dem Nachlass von Karl L. zurückgelassen werden. Die Jahrzehnte gingen ins Land, der Vater starb 1975, und erst vor drei Jahren kam Maja Liebknecht dazu, sich auf die Suche nach den Sachen zu begeben.
Auch die in Wien lebende Tochter von Robert Liebknecht, Marianne, deren Schaffen als ehemalige Tänzerin und heutige Architektin die in der Familie tief verwurzelte Liebe zu Kunst und Natur widerspiegelt, kam nicht mit leeren Händen nach Leipzig. Im umfangreichen Nachlass ihres Vaters befindet sich unter hunderten Bildern, Grafiken und Zeichnungen auch das berühmte Porträt Karl Liebknechts, das sein Sohn im Jahre 1930 im Atelier von Heinrich Vogeler schuf. Dieses sehr persönliche Bild wird möglicherweise im Jahre 2005 einen würdigen Platz in der neu erarbeiteten Dauerausstellung zur Geschichte Leipzigs im Alten Rathaus finden.
Zum Abschluss des Besuchs der beiden Enkeltöchtern fand im Geburtshaus von Karl Liebknecht, Standort eines kleines Museums und zugleich Sitz der Leipziger PDS, ein Werkstattgespräch mit Professorin Annelies Laschitza über ihre geplante Liebknecht-Biografie statt. Der namhaften Luxemburg-Forscherin kommt bei diesem Vorhaben zu Gute, dass sie seit Jahrzehnten über ausgezeichnete Beziehungen zur Familie Liebknecht verfügt und sämtliche noch im Familienbesitz befindliche Dokumente nutzen kann. Es ist der Autorin im Interesse der Forschung und einer interessierten Öffentlichkeit die baldige Beendigung dieses Werkes, mit dem sie erklärtermaßen »die Schlachten des Kal...

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