Wir achten die alten Meister

Berliner Steinbildhauer: kein Betrieb, kein Unternehmen, sondern eine Assoziation freier dynamischer (»anders geht es ja heute nicht«) Mitarbeiter

  • Hans Rehfeldt
  • Lesedauer: ca. 6.5 Min.
Es wird stiller um die Restaurierung barocker Bauten und Denkmäler. »Wir sind die letzten der Mohikaner«, meint Andreas Artur Hoferick, als wir seine ziemlich versteckte Werkstatt in der Weißenseer Behaimstraße gefunden haben.
Hoferick, ein in der DDR aufgewachsener und ausgebildeter Vollblut-Steinbildhauer, hat viele Berufe erlernt: Lehrausbildung zum Hauer mit Abitur in der Fachrichtung Bergbautechnologie; dann erlernte er den Beruf eines Steinmetz in Thüringen; dem folgten drei Lehrjahre als Steinbildhauer. Abgeschlossen wurde diese vielseitige Ausbildung 1994 mit dem Fachdiplom als Restaurator. Und ganz nebenbei ist er auch noch Fachfotograf in seinem Metier.
Die Liebe zum Beruf erwarb er im großen Kollektiv Ostberliner Steinbildhauer, das unter Leitung des Meisters Jürgen Klimes im damaligen Betrieb Stuck- und Naturstein sein Domizil hatte - in der DDR mit 26 Mitarbeitern die größte Bildhauerwerkstatt, die ihr Metier wie ein klassisches Orchester gemeinsam meisterte.
Arbeit gab es nach den furchtbaren Kriegszerstörungen, denen viele barocke Bauten und Denkmäler zum Opfer fielen, mehr als genug. Zu den wiederaufzubauenden und zu rekonstruierenden Bauten in Berlin gehörten u.a. das Brandenburger Tor, der gesamte Gendarmenmarkt, das Zeughaus und die Staatsoper Unter den Linden, die Schlossbrücke, das Alte Museum, die Nationalgalerie - eigentlich alles Barocke, Klassizistische und im Jugendstil Geschaffene, was zu erhalten war. Auch das Rote Rathaus gehörte zu den markanten Arbeitsplätzen dieser Berliner Bildhauer. Darüber hinaus gab es für sie viel zu tun in Potsdam, von Sanssouci bis zum dortigen Brandenburger Tor, und in Rheinsberg.
Wenn alle diese Bauten heute nach neuerlicher Restaurierung mit ganz anderen technischen Möglichkeiten als damals wieder wie neu gebaut aussehen und darauf hingewiesen wird, was alles seit der Wende geschaffen worden ist, dann sollte nicht übersehen werden, dass die Bildhauer der Nachkriegsgeneration unter schwierigsten Bedingungen die Voraussetzungen dafür geschaffen haben. Ihnen ist es zu verdanken, dass vieles erhalten geblieben ist. Edgar Binder, einer von ihnen, heute Rentner, erinnert sich gern an die 40 Jahre, die er in der DDR als Bildhauer und Restaurator tätig war. Wenn auch die Arbeitsbedingungen unmittelbar nach dem Krieg geradezu abenteuerlich waren, gingen Binder und seine Kollegen mit Aufbauwillen und Improvisation an die Arbeit, als es galt, zerstörte oder schwer beschädigte Kulturgüter wieder herzustellen. »Wir hatten damals z.B. keine Kräne. Die tonnenschweren beschädigten Sandsteingruppen am Berliner Zeughaus mussten mit einfachen Flaschenzügen bewegt werden. Unsere damaligen Rüstungen bestanden aus zusammengebundenen Baumstämmen. Die heutigen sind der reinste Luxus dagegen. Selbst die Beschaffung geeigneten Sandsteins war häufig ein großes Problem. Und vor Baubeginn musste überhaupt erst mal Trümmerschutt beseitigt werden. Vieles war völlig neu zu schaffen. Vom Schloss Friedrichsfelde standen nur noch verkohlte Ruinenwände. Wir haben unseren Anteil an der originalgetreuen Wiederherstellung, einschließlich der barocken Figurengruppen im Schlosspark«. Heute wird die Tradition dieser Bildhauergruppe von der Mannschaft um Hoferick fortgesetzt. Zeitweilig sind es nur noch sechs Bildhauer.
Die kleine gemietete Halle, die als Atelier dient, ist angefüllt mit unzähligen weißen Modellen von Büsten, figürlichen Darstellungen, mit Säulenkapitellen, Reliefs. Weiß sind die Modelle fast alle, weil vor der Bildhauerarbeit ein Stuckmodell zu schaffen ist. Mit feiner Selbstironie wurde das Modell einer Büste von Friedrich II., deren Original nun mit Hilfe dieser Steinbildhauer wieder im Volkspark Friedrichshain aufgestellt werden konnte, mit einem Dalmatinerfell behängt, das eine rote Aids-Schleife trägt. Künstler sind eben so, respektlos.
Zum Berufsethos dieser Bildhauer gehört, dass sie ökologisch mit natürlichen Materialien umgehen, die sie achtungsvoll bearbeiten. Hoferick ergänzt dazu: »Wir achten die alten Meister. Ob im antiken Griechenland, im alten Rom, im Florenz der Renaissance und barocken Sachsen oder im neoklassizistischen Preußen. Wir von der neuen Generation fühlen uns ihrem Können und Wirken, dem wir mit Hochachtung begegnen, verpflichtet. Sie haben Maßstäbe gesetzt, die wir respektieren. Auch wir wollen dem Material, das von Menschenhand geformt werden kann, sei es aus Stein, Bronze, Terrakotta oder Stuck, wieder Leben einhauchen. Wir begreifen unsere Arbeit durchaus als einen Teil des sozialen Gefüges: Wir wollen kommenden Generationen mehr hinterlassen als eine anonyme Funktionalität. Deshalb arbeiten wir auch grundsätzlich in historischen Techniken.«
Auf einer ziemlich zerfransten, aber gemütlichen Sofagarnitur sitzend, die noch aus dem damaligen Bildhaueratelier Lehderstraße in Weißensee stammt und die hier in Ehren gehalten wird, schildern Hoferick und sein Kollege Jens Cacha die heutige Situation: Wir sind kein Betrieb, kein Unternehmen, sondern eine Assoziation freier dynamischer (»anders geht es ja heute nicht«) Mitarbeiter. Je nach Auftragslage sind wir mehr oder weniger.
Aber meistens sind es weniger. Nur einmal mussten sogar vier italienische Bildhauer mithelfen. Bisher haben sie sich mit Aufträgen von Stiftungen oder von der öffentlichen Hand über Wasser gehalten. In Leipzig waren sie am Neuen Rathaus beteiligt, z.B. an der Rekonstruktion der völlig verwitterten Justitia, einer der allegorischen Figuren an der Balustrade, die Bürgertugenden verkörpern. Für das Gebäude der Deutschen Bank in Leipzig erweckten sie zwei über vier Meter hohe Figurengruppen wieder zum Leben. Das Lipsia-Haus im historischen Stadtkern, gegenüber dem bekannten Haus »Kaffeebaum«, erhielt durch sie seinen neobarocken Schmuck zurück. Auch an den barocken Bauten in Wörlitz oder Oranienbaum ist ihre Spur der Steine zu finden.
Der gegenwärtige Auftrag besteht in der Wiederherstellung der 4,5 Meter hohen Figur der »Caritas«, des weiblichen Sinnbildes der Barmherzigkeit, die im nächsten Jahr die dann hoffentlich wieder hergestellte Kuppel des ehemaligen Großen Militärwaisenhauses in Potsdam schmücken soll. Dessen Portal in der Lindenstraße 34a gilt als die genialste Meisterleistung des brandenburgischen Baumeisters Karl von Gontard, der auch die beiden Kuppelkirchen auf dem Berliner Gendarmenmarkt geschaffen hat. Sein Potsdamer Waisenhausportal mit der Kuppel wurde zutreffend als ein in »Architektur gegossener Traum« bezeichnet. Es gehörte mit seiner Höhe von 45 Metern seit jeher, neben der Nikolai- und der Garnisonkirche, zur Stadtsilhouette. Potsdams Baustadträtin Dr. Elke von Kuick-Frenz bezeichnete diese Kuppel als »eine Landmarke, als ein ganz entscheidendes Stück der Stadtarchitektur«.
Nun soll sie 2004 wieder hergestellt und von der vergoldeten Caritas gekrönt werden, falls die Mittel dafür nicht doch noch gekürzt werden. Die Bauzeichnungen für die Kuppel sind nach alten Unterlagen wieder erstellt worden, von der Caritasfigur dagegen existierten keinerlei Dokumente, keine Trümmerüberreste, einfach nichts. Lediglich zwei ziemlich undeutliche Fotos gab es von ihr, auf denen keine Details zu erkennen waren. Die Forderung der Denkmalspfleger aber lautete: Keine freie Interpretation, alles möglichst originalgetreu. Also suchten Hoferick und sein Kollege Jens Cacha nach Vergleichen. Wie hat ihr früher Vorgänger, der Potsdamer Bildhauer Rudolf Kaplunger, von dem die Caritas stammt, damals gearbeitet? Es fanden sich Reliefs und figürliche Arbeiten von ihm u.a. am Neuen Palais und am Belvedere auf dem Clausberg, die den Krieg überstanden haben. Warum hieß die Figur Caritas? Auch das musste herausgefunden werden, denn zu den alten Göttern zählt sie nicht, wie z.B. der Atlas auf dem alten Potsdamer Rathaus oder die Fortuna auf dem wieder aufgebauten Fortunaportal des Stadtschlosses.
Das Caritas-Mädchen ist allegorisches Sinnbild für die Liebe (hier für die Waisenkinder) und für Frieden. Das Kunststück gelang, sie wurde im Sinne ihres früheren Gestalters ziemlich exakt nachempfunden. Ihr Gesicht wurde ihr ebenso wiedergegeben wie der im Wind bewegte Faltenwurf ihres Kleides. In der rechten hochgehaltenen Hand hält sie, wie die Jahrhunderte zuvor, ein Herz, das für Bedürftige, für Hilfesuchende brennt und in der anderen einen Ölzweig, als Zeichen des Friedens.
Das war wohl die Hauptarbeit der Künstler vor dem Entstehen der Caritasmodelle aus Gips, die einer Jury zur Begutachtung vorgestellt werden mussten. Wie aber geht es nach Bewältigung dieser Aufgabe mit der Bildhauerei weiter? Hoferick hat sich bei der vorgeschriebenen Ausschreibung auch für die Restauration der Putten und des Mittelrisaltis am Gontard-Portal des Großen Waisenhauses mit einer, wie er sagt, »Kampfkalkulation« beworben, »denn wir brauchen solche Arbeiten dringend«.
Ob es was wird, ist ungewiss. »Wir sind eben ein musealer Beruf. In der heutigen schnelllebigen Gesellschaft wird die traditionelle Bildhauerei stark vernachlässigt, obwohl ein enormer Bedarf für die Erhaltung kultureller Werte, für die in Stein gemeißelten Meisterwerke der Vergangenheit besteht. Deshalb wünschen wir, dass in ...

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