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  • Brandenburg
  • GERICHTSREPORT: Ex-AL-Aktive der Mordanstiftung angeklagt

Die Angeklagte – Opfer einer Intrige des Bruders?

  • Lesedauer: 3 Min.

Ist die Angeklagte das eigentliche Opfer? Dies schien die Kardinalfrage, die Prozeßbeteiligte und Zuhörerschaft in der gestern vor dem Berliner Landgericht eröffneten Verhandlung gegen Ilona Hepp (38) bewegte. Die einst prominente AL-Politikerin wird beschuldigt, einen anderen angestiftet zu haben, ihren Bruder zu töten. Motiv sei der Streit um das 2-Millionen-Erbe der am 1. Dezember 1991 verstorbenen Mutter. Ilona Hepp habe ihrem Bruder Nicolas als „nicht lebensberechtigte geldverschwendende Fehlgeburt“ nicht seinen Erbteil überlassen wollen, erklärte die Anklagevertretung.

Der Anklage folgend soll die Millionenerbin im Frühsommer 1992 an die Freundin des Bruders, eine ehemalige Prostituierte, 10 000 DM gezahlt haben, damit sie sich im Zuhältermilieu nach einem Killer umsehe. Die als Zeugin benannte Freundin verriet Nicolas den Plan. Dieser informierte die Polizei und war auch sonst sehr rege. Er schnitt Telefonanrufe zwischen der Freundin und seiner Schwester mit, in denen es um die Mordplanung ging. Außerdem engagierte er einen Freund, der sich Ilona Hepp als Killer anbot. Sie soll ihm zunächst 5 000 DM gezahlt haben. Als sie dem gedungenen Mörder zwei Tage später, am 1. August 1992, 50 000 Dollar übergeben wollte, die sie eigens dafür von ihrem Schweizer Konto abgehoben hatte, war die Polizei zur Stel-

le. Seither sitzt Ilona Hepp in Untersuchungshaft.

Die Angeklagte, die bis 1989 Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der AL und bis zu ihrer Verhaftung aktiv in der ökologischen Linken war, stellt die Vorgänge völlig anders dar. Sie fühlt sich als das Opfer eines Komplotts ihres Bruders, einem 42jährigen Kunsthistoriker, sagte sie gegenüber einer Zeitung vor Prozeßbeginn. Auch in der Hauptverhandlung rief die Angeklagte diesen Vorwurf mehrfach laut in den Saal.

Aber auch ihre Darstellung wirkt in vielen Punkten eher verwirrend als glaubwürdig. Danach sei ein Mann bei ihr erschienen, der behauptete, einer internationalen Organisation anzugehören. Er habe den Auftrag, ihren Bruder, der sich mit Zuhältern überworfen hätte, zu töten. Auch seine Freundin solle sterben, es sei denn, die Schwester „drücke Kohle ab“. Um niemanden zu gefährden, habe sie in der Schweiz das Geld geholt.

Das Mordkomplott des Bruders erklärt sich die Angeklagte, die in der AL ihren Besitz verschwieg, aus seinem zwielichtigen Lebenswandel. Er habe sich seit Jahren mit Zuhältern, Prostituierten und Spielern abgegeben.

Die Verteidigung erreichte am ersten Prozeßtag nach dreistündiger Prozeßdauer eine Unterbrechung der Verhandlung bis zum kommenden Donnerstag. Sie hatte beantragt, den Prozeß auszusetzen,

bis dem Gericht das Gutachten des BKA über das vom Bruder an die Polizei übergebene Tonband vorliege. Vieles spreche dafür, daß dieses Band manipuliert worden sei, erklärte Anwältin von Galem.

Mit zwei weiteren Anträgen hatte die Verteidigung zuvor für einiges Aufsehen gesorgt. So wurde der Vorsitzende Richter Füllgraf wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Er hatte dem Anwalt des Hauptbelastungszeugen Nicolas Hepp vor Beginn der Hauptverhandlung Akteneinsicht gewährt. Das weiche von der üblichen Praxis ab und sei ein nicht wieder gut zu machender Fehler, erklärte Rechtsanwalt Ehrig.

In einem weiteren Antrag rügte Rechtsanwältin von Galem die Besetzung des Gerichts mit zwei Proberichtern. Die Richter seien bei ihrem beruflichen Fortkommen auf die Beurteilung des Vorsitzenden angewiesen und könnten daher nicht unabhängig urteilen. Das seit dem 1. März geltende Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege, das zwei Proberichter in einer Kammer zuließe, verstoße gegen das Grundgesetz, erklärte die Anwältin. Bereits über den Befangenheitsantrag müßten diese zwei Juristen gemeinsam mit einem weiteren Richter mehrheitlich entscheiden. Auch die Schöffenbesetzung der Kammer kam nicht ohne Kritik der Verteidigung davon, da die Schöffenwahl im Bezirk Pankow fehlerhaft verlaufen sei. KARIN WENK

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