Mit Ionen-Schub zum Mond

Europäische Sonde testet neuen Antrieb und sucht Wasser auf dem Mond

  • Lucian Haas
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Europäer fliegen zum ersten Mal zum Mond. »Smart-1« heißt die kleine Sonde der Europäischen Weltraumorganisation (ESA). In der Nacht zum Sonntag soll sie zusammen mit zwei kommerziellen Satelliten an Bord einer Ariane-Rakete vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch Guayana starten. Der Name »Smart-1« ist ein Kürzel für »Small Mission for Advanced Research and Technology«, übersetzt: kleine Mission für fortgeschrittene Forschung und Technik. »Die Mission ist ein Technologiedemonstrator, mit dem vor allem eine neue Antriebstechnik für Raumsonden getestet werden soll«, sagt Bernard Foing, leitender Wissenschaftler des Projektes. Zudem soll »Smart-1« die gesamte Mondoberfläche genauer als jemals zuvor kartieren. Wichtigste Innovation ist das Ionen-Triebwerk von »Smart-1«, das mit Solarenergie betrieben wird. Der Ionen-Antrieb funktioniert ganz anders als die bislang in der Raumfahrt eingesetzten Raketenmotoren. Während herkömmliche Raketen einen chemischen Treibstoff verbrennen, um durch die Abgase Schub zu erzeugen, wird bei einem Ionenantrieb ein Edelgas mit hoher Geschwindigkeit ausgestoßen, allerdings ohne Verbrennungsvorgang. Bei »Smart-1« werden Atomen des Edelgases Xenon mit Hilfe von Solarstrom Elektronen entrissen und die verbleibenden positiv geladenen Xenon-Ionen in einem Magnetfeld stark beschleunigt. Mit bis zu 100000 Kilometern pro Stunde fliegen sie vom Triebwerk fort und treiben so die Sonde voran. Allerdings ist die Schubkraft, die das Ionentriebwerk entwickelt, viel geringer als bei klassischen Raketen. Sie entspricht gerade mal dem Druck, den ein Blatt Papier auf eine Hand ausübt. Damit käme »Smart-1« auf der Erde gar nicht voran. Doch in der Schwerelosigkeit des Raumes reicht das, um einen Körper langsam, aber stetig zu beschleunigen. Herkömmliche Raketenmotoren sind nach wenigen Minuten ausgebrannt. Dann wird das damit betriebene Raumfahrzeug nicht mehr schneller. Ein Ionentriebwerk hingegen kann über Jahre ständig »Gas geben«. »Letztendlich wird die Ionen-Schildkröte den Raketen-Hasen überholen«, sagt ESA-Sprecher Franco Bonacina. Das macht diesen Antrieb vor allem für lange interplanetare Reisen interessant. Die Strecke bis zum Mond ist allerdings zu kurz, um die Vorzüge des Ionentriebwerks auszuspielen. Rund drei Tage brauchte »Apollo11« im Jahre 1969 mit Raketenschub bis zum Erdtrabanten. »Smart-1« wird für diesen Weg 16 Monate benötigen. Die Länge der Reise ist auch Folge einer ungewöhnlichen, aber Energie sparenden Flugroute. Zuerst trägt die Ariane-Rakete die Sonde in eine stationäre Umlaufbahn, wie sie für Kommunikationssatelliten üblich ist. Von dort drückt der Ionenantrieb sie langsam von der Erde weg. Ein Jahr lang wird »Smart-1« die Erde in immer größeren Abständen umkreisen, bis der Flugkörper schließlich dem Mond so nahe kommt, dass er von dessen Gravitationsfeld eingefangen wird und in eine Bahn um den Mond umschwenkt. Bis dahin wird »Smart-1« bereits 100 Millionen Kilometer zurückgelegt haben - das 260-fache der Entfernung Erde-Mond. Beim Mond angekommen, kommt ein weiterer Vorteil des Ionenantriebs zum Tragen: Im Gegensatz zu traditionellen Steuerdüsen, die stets nur kurz gezündet werden können, lässt sich die Raumsonde mit dem konstanten Ionen-Ausstoß sehr genau kontrollieren und langsam abbremsen. Dadurch kann sie auch auf niedrigen Umlaufbahnen stabil gehalten werden. Die Bahn, auf der »Smart-1« den Mond mindestens sechs Monate lang umfliegen soll, führt über beide Pole. Der Abstand schwankt dabei zwischen 300 und 10000 Kilometer. Am nächsten kommt die Sonde dem Südpol des Mondes, für den sich die Wissenschaftler besonders interessieren. Denn dort könnte - in den dunklen Tiefen von Kratern, deren Grund niemals direkt von einem Sonnenstrahl erhellt wird - Wasser in Form von Eis zu finden sein. Sollte »Smart-1« Mondwasser finden, gäbe das Zukunftsvisionen der Raumfahrt Auftrieb. Bei der ESA gibt es Gedankenspiele darüber, eines Tages auf dem Mond eine Forschungsstation einzurichten. Mit einem Wasservorrat vor Ort wäre das Problem der Wasserversorgung solch einer Basis leichter lösbar. Um nach dem Wasser zu suchen, ist an Bord von »Smart-1« das Infrarot-Spektrometer SIR installiert. Auch die hochauflösende Kamera AMIE ist für Infrarotstrahlung empfindlich. AMIE soll mögliche Mondwasservorkommen direkt fotografieren. Zudem soll mit ihrer Hilfe die gesamte Oberfläche des Mondes genau kartiert werden. Besonders interessiert die Wissenschaftler dabei die Rückseite des Mondes. Sie ist ständig von der Erde abgewandt und kann nicht mit Teleskopen beobachtet werden. Von den insgesamt sieben wissenschaftlichen Instrumenten an Bord von »Smart-1« dient auch das Röntgenspektrometer D-CIXS einer genauen Erforschung der chemischen Zusammensetzung der Mondoberfläche. Dahinter steht die Frage: Wie ist der Mond überhaupt entstanden? Nach der gängigen wissenschaftlichen Theorie stieß die Erde vor rund 4,5 Milliarden Jahren mit einem riesigen Asteroiden zusammen. Durch die Energie des Einschlags schmolz ein Teil des Erdmantels und wurde ins All hinausgeschleudert. Aus diesem Material bildete sich schließlich der Mond. »Smart-1« könnte den Beweis liefern. Dafür müsste D-CIXS auf der Mondoberfläche verhältnismäßig mehr leichte Elemente wie Magnesium und weniger schwere Elemente wie Eisen finden, als auf der Erde vorkommen. Denn bei einem Asteroideneinschlag müsste vor allem leichteres Material des Erdmantels ins All geschleudert worden sein. Schon die Analysen von Gesteinsproben, die Amerikaner und Russen vom Mond auf die Erde brachten, bestätigten diese Theorie. Allerdings wurden alle Proben auf der erdzugewandten Seite des Mondes in der Nähe des Aquätors gewonnen. »Das ist, als ob Sie in der Sahara und in Tibet graben und davon auf die ganze Erde schließen wollen«, sagt ESA-Forscher Foing. »Smart-1« soll nun ein globales Bild des Mondes liefern. Die ESA testet auf »Smart-1« noch mehr innovative Technik. Unter anderem wird geprüft, ob eine Sonde mit Hilfe eines Navigationssystems, das sich an den Sternen orientiert, größere Strecken auch per Autopilot fliegen kann, anstatt von einem Kontrollzentrum auf der Erde ferngesteuert zu werden. Zudem will die ESA erproben, mit Hilfe eines Laserstrahls eine Verbindung mit der Sonde aufzubauen. Bei Satelliten in erdnaher Umlaufbahn werden solche optischen Kommunikationssysteme zum Datenaustausch schon erfolgreich verwendet. Wird dies auch über größere Entfernungen im Raum funktionieren? Wenn sich die neuen Technologien bewähren, sollen sie künftig auch bei größeren und teureren Missionen der ESA eingesetzt werden: In gut zehn Jahren wollen die Europäer mit der Sonde »BepiColombo« den Planeten Merkur erkunden, und »Solar-Orbiter« soll die Sonnenpole untersuchen. Die Smart-Mission der ESA im Internet: www.esa.int/export/SPECIALS/SMART-1
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