Ein Dorf in der Sackgasse

Das Pumpspeicherwerk Goldisthal geht heute offiziell in Betrieb

  • Peter Liebers, Goldisthal
  • Lesedauer: ca. 4.5 Min.

Im Thüringer Ort Goldisthal, romantisch im oberen Tal des Flusses Schwarza zwischen Wurzelbergmassiv und dem Rennsteig gelegen, wird heute rund 30 Jahre nach Beginn der ersten Erschließungsarbeiten eines der größten und modernsten Pumpspeicherwerke Europas eingeweiht.

Wegen der großen Wasserflächen am Ober- und Unterbecken des Pumpspeicherwerkes Goldisthal hätten sie jetzt im Tal mehr Nebel. Ansonsten sei für den Ort nichts herausgesprungen, ist sich Ines Gerisch sicher. Das Dorf sei sogar mit dem Bau des Kraftwerks verkehrlich in die Sackgasse geraten. Die einstige Porzellanmalerin verlädt an der Dorfstraße Holz, das beim Auslichten des Straßenrandes anfiel. Ein ABM-Projekt sei das, erzählt sie. Das gehe schon seit über zehn Jahren so. Arbeitslos, ABM und wieder arbeitslos. Davon seien hier viele betroffen. Fast alle Unternehmen in der Holz-, Glas- und Porzellanindustrie der Region sowie der Mikroelektronik-Betrieb in Neuhaus seien untergegangen. Daran habe auch der Bau des modernsten Pumpspeicherwerkes Europas oberhalb des Ortes nichts geändert. Nur etwa zehn der rund 500 Goldisthaler hätten bisher in dem Werk als Wachleute oder in der Küche Arbeit gefunden. Trotzdem findet es die junge Frau vernünftig, dass das in der DDR begonnene Projekt zu Ende geführt wurde. So wie die Landschaft ausgesehen habe, hätte sie nicht bleiben können. Den alten Zustand wieder herzustellen, wäre teurer geworden als der Bau. Gleich hinter dem Ort Goldisthal ist jetzt die Welt zu Ende. Ein greises Ehepaar steht, auf seine Stöcke gestützt, vor der 67 Meter hohen grünen Wand der Staumauer des Unterbeckens, die das Schwarzatal abriegelt und den einstigen Weg nach Scheibe-Alsbach blockiert. Missbilligend schütteln die beiden die Köpfe. »Die haben unser schönes Tal zerstört«, bilanziert der Mann. Von der heutigen offiziellen Einweihung des Kraftwerkes, dessen Bau einst DDR-üblich vom SED-Politbüro beschlossenen worden war, haben die Beiden gehört. Die Goldisthaler seien aber nicht eingeladen, meinen sie. Damals bei der Grundsteinlegung habe es ein Volksfest gegeben mit Bratwürsten und Freibier. Wann das gewesen ist, wissen sie nicht mehr. Auch in der Zentrale der nahen Pumpspeicherwerke Hohenwarte kann sich niemand an das Datum erinnern. Irgendwann in den 1970er Jahren sei das wohl gewesen. Heute gilt der »Stollenschlag« von 1997 als Marke des Baubeginns. Selbst wenn sie eingeladen würden - zur Einweihung würden die beiden betagten Goldisthaler nicht gehen, weil sie gegen den Bau sind. Auch den Bundeskanzler, der dem heutigen Festakt die höheren Weihen geben soll, wollten sie gar nicht zu Gesicht bekommen. Auf die Frage nach ihrem Namen werden die beiden einsilbig. In die Zeitung möchten sie namentlich nicht. Auch der freundliche Herr, der vor seinem schmucken Haus neben der Gaststätte »Oberes Schwarzatal« den sonnigen Herbsttag genießt, mag seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Zuvor hatte er munter geplaudert: Als Naturfreund schmerze ihn natürlich die Landschaftszerstörung. Die schönen Wanderwege seien dahin. Dem Farmdenkopf, einem 868 Meter hohen, einst dicht bewaldeten Berg, ist die Kuppe abgesprengt worden, um Platz für das Oberbecken, eine riesige, 80 Hektar umfassende Betonschüssel, zu schaffen. Was das für das in unmittelbarer Nachbarschaft gelegene Naturschutzgebiet »Wurzelbergfarmde« bedeutet, in dem eine kleine Population von Auerhühner noch ein Rückzugsgebiet gefunden hatte, ist ungewiss. Die schwer kalkulierbaren Risiken für die Natur hatten den Umweltverband BUND 1996 veranlasst, gegen den Riesenbau zu klagen. Grüne Politiker waren dem Umweltverband beigesprungen und hatten dem ostdeutschen Stromkonzern VEAG - heute in Vattenfall aufgegangen - vorgeworfen, Milliarden in die Aufrechterhaltung der völlig einseitigen Braunkohle-Verstromung zu investieren und damit letztlich überteuerten Strom zu produzieren. Die ganze Aufregung um den Weiterbau des 1,5 Milliarden Mark teuren Projektes, das als größte Privatinvestition im Freistaat gilt, erwies sich am Ende als Sturm im Wasserglas. 1997 zog der BUND seine Klage zurück und schloss einen Vergleich mit der VEAG. Das Unternehmen zahlte sieben Millionen Mark in eine Umwelt-Stiftung, die Projekte von Naturschutz, erneuerbaren Energien und Energieeinsparung in Ostdeutschland fördern soll. Der BUND begründete sein »Einknicken« damit, dass man seine begrenzten Kapazitäten auf Schwerpunkte konzentrieren wollte - auf den Widerstand gegen den Bau der Talsperre Leibis sowie der Autobahn durch den Thüringer Wald. Inzwischen ist auch dieser Widerstand erloschen, wird an diesen beiden Vorhaben emsig gebaut. Auch den Goldisthalern droht weiteres Ungemach. Durch den Berg am linken Schwarza-Ufer soll, unmittelbar neben dem Ort, demnächst die Trasse für die neue ICE-Strecke München-Berlin gesprengt werden, berichten die Frauen vom ABM-Beräumungsprojekt. Heidelinde Meusel schwant nichts Gutes. Beim Ausbrechen der Verbindungsstollen vom Oberbecken zur unterirdischen Turbinenhalle des Pumpspeicherwerkes im Wurzelberg sei mitten in der Nacht gesprengt worden. »Da haben wir jedes Mal kerzengerade im Bett gesessen«, sagt sie. Die unterirdische Installation der Kraftwerksanlagen mildert die Eingriffe in die Natur ein wenig ab. Wirtschaftlich hat es der Stromspeicher am Kamm des Thüringer Waldes in sich. Mit der installierten Leistung von 1060 Megawatt lässt sich der Strom bestens »veredeln«. In Zeiten geringen Strombedarfs, wenn auch der Preis für die Elektrizität niedrig ist, wird mit der Energie Wasser aus dem Unter- in das Oberbecken gepumpt. In Spitzenzeiten, wenn Strom wesentlich teurer ist, strömt das Wasser den umgekehrten Weg. Hauptsächlich sollen auf diese Weise die ostdeutschen Braunkohlekraftwerke von Vattenfall, deren Fahrweise sich kaum den täglichen Schwankungen des Strombedarfs anpassen lässt, »gepuffert« werden. Ein Ex-Vorstand der VEAG hatte vor einiger Zeit aber auch erläutert, er könnte sich gut vorstellen, auch von anderen Versorgern billigen Überschussstrom zu kaufen, um ihn in Spitzenzeiten wieder zu verkaufen. Mit der preislichen Differenz zwischen Strom in der Schwach- und in der Spitzenlast soll Vattenfall täglich bis zu 150000 Euro Erlös erzielen können, meldete jüngst eine Zeitung. Goldisthal selbst partizipiert nur durch die Gewerbesteuer an diesem Geschäft. Allenfalls die Gaststätte wird von den Touristenströmen, die die Anlag...

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