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Der Tschetschenien-Krieg begann mit Schüssen in Moskau
Ruslan Chasbulatow über den Sturm des »Weißen Hauses« vor zehn Jahren
Der Tschetschene Ruslan Chasbulatow war Präsident des russischen Parlaments, das noch Oberster Sowjet hieß, als es Boris Jelzin vor zehn Jahren - am 3. Oktober 1993 - zusammenschießen ließ. Jelzin hatte den Dauerstreit mit den Volksvertretern um Art und Inhalt von Reformen am 23. September 1993 durch Auflösung des Parlaments beendet. Die Abgeordneten konterten mit der Absetzung des Kremlherrschers und verbarrikadierten sich im »Weißen Haus«, ihrem damaligen Tagungsgebäude. Nachdem Vermittlungsversuche gescheitert waren, ließ Jelzin zuerst den Strom, dann die Wasserversorgung kappen. Weil der Widerstand auch nach zehntägiger Belagerung anhielt, gab er den Feuerbefehl für Panzer und Artillerie und ließ das Haus stürmen. Das Ergebnis: bis zu 500 Tote und Vermisste. Genaue Zahlen liegen bis heute nicht vor. Die »Rädelsführer« wurden verhaftet, doch die im Dezember 1993 gewählte Duma, damals noch oppositionell, beschloss im Februar 1994 eine Amnestie für die »Putschisten«. Über die dramatischen Ereignisse vor zehn Jahren und die Situation in seiner Heimatrepublik Tschetschenien sprach Elke Windisch mit Ruslan Chasbulatow (61), heute Professor für Weltökonomie an der Moskauer Plechanow-Akademie und Korrespondierendes Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften.
ND: Wer mit Erfolg versucht, die bestehenden Verhältnisse zu ändern, ist ein Revolutionär, wer damit scheitert, ein Putschist. Sind Sie ein Putschist?Chasbulatow: Ich bin Professor und zähle mich weder zu den einen noch zu den anderen. Was die Ergebnisse vom 3. Oktober angeht, damals war ich Chef des russischen Parlaments und der Putschist war Herr Jelzin, der in seine Verschwörung die Generalität und namhafte Politiker einbezogen hatte, um dann das russische Parlament mit Panzern und schwerer Artillerie aufzulösen. Und ich als gewählter Volksvertreter und Parlamentspräsident habe jenen Widerstand geleistet, den das Parlament leisten musste. Ohne Waffengewalt. Wir haben uns einfach verbarrikadiert und zu unserer Verteidigung kamen friedliche Menschen.
Welche Ziele hatten Sie dann?
Unsere Ziele wurden durch die geltende Verfassung bestimmt. Dort gibt es, wie in jedem Grundgesetz eines zivilisierten Volkes, Normen für die Gewaltenteilung: Was der Präsident zu tun hat, was die Exekutive, was das Parlament. Wir waren für die Schaffung von Gesetzen zuständig und, wie jedes Parlament, für die Kontrolle. Und das passte dem Kreml eben überhaupt nicht. Jelzin wollte störungsfrei das tun, was er später auch tat. Jetzt kommen ja eben diese Losungen wieder hoch: Korrektur von Ergebnissen der Privatisierung, weil Reichtum ungesetzlich erworben wurde. Wenn das Parlament damals nicht aufgelöst worden wäre, hätte es die Privatisierung überwacht und zu diesen Exzessen wäre es erst gar nicht gekommen. Und auch nicht zu all den Problemen und Widersprüchen, an denen die russische Gesellschaft heute krankt.
Exbundeskanzler Kohl hielt damals zu Freund Boris und warb für ihn um Nachsicht. Demokratie in Russland sei halt kein Lehrstück für politikwissenschaftliche Seminare. Und Jelzin habe ein Zurück in die kommunistische Vergangenheit verhindert.
Das ist Unsinn. Kohl war übrigens nicht der einzige westliche Staatschef, der das so sah. Und wenn die heute Putins gelenkte Demokratie und seine Angriffe auf die Pressefreiheit kritisieren, vergessen sie dabei, dass die Grundlagen dafür vor zehn Jahren gelegt wurden. Denn gleich nach der Panzerattacke bekam Russland eine undemokratische Verfassung, die dem Präsidenten mehr Macht gibt als seinerzeit den Zaren.
Was wurde erreicht? Musste Jelzin, obwohl Sieger, danach dennoch Abstriche an seiner Linie machen?
Jelzin hatte gar keine Linie. Das war ein schwacher, hilfloser Präsident, von dem sogar der Oberleibwächter unwidersprochen behaupten konnte, er würde ihn lenken. Regiert hat stets seine Umgebung, wohin die ihn schubste, dahin stolperte er. Und womöglich mochte auch Kohl ihn vor allem deshalb.
Haben Sie und Jelzin sich danach jemals wiedergesehen?
Nein, nie. Und ich hatte auch nie den Wunsch. Er existiert für mich einfach nicht mehr. Obwohl die andere Seite mehrfach auf mich zugekommen ist und mir auch mehrfach Ämter angeboten hat, sogar ziemlich hohe.
Waren die Schüsse auf das Parlament auch die ersten in Moskaus Tschetschenienkrieg, den Jelzin gut ein Jahr später begann, um die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen?
In der Tat. Hier gibt es eine direkte Verbindung, denn wir hätten das nie durchgehen lassen und auf eine friedliche Lösung der Probleme im Kaukasus bestanden. Umso mehr, als Tschetschenien meine Republik ist. Aber sie haben zuerst das Parlament erledigt, an dessen Spitze ein Tschetschene stand, und dann meine Heimat mit Krieg überzogen, der mit kurzen Unterbrechungen schon fast zehn Jahre geht. Und im Kreml will man eines partout nicht begreifen: Je länger dieser Krieg geht, desto größer ist die Gefahr, dass er auf den ganzen Nordkaukasus übergreift. Von Abchasien am Schwarzen bis Dagestan am Kaspischen Meer.
Was war Moskaus größter Fehler im Kaukasus?
Die Entsendung von Truppen. Schon vor über 2000 Jahren, als Iran eine sieggewohnte Weltmacht war, hieß es auf den Basaren: Wenn die Schahs den Verstand verlieren, greifen sie den Kaukasus an.
Vielleicht wollte Russland aber damit verhindern, dass ein unabhängiges Tschetschenien zum nachahmenswerten Beispiel wird.
Um den Preis von inzwischen über 220000 toten Tschetschenen und 20000 gefallenen russischen Soldaten? Und die Zerstörung einer einst blühenden und hoch entwickelten Republik? Angeblich, weil die Terrorristen bekämpft werden müssen. Auch Großbritannien bekämpft seit Jahrzehnten die Terroristen der IRA. Aber die Soldaten Ihrer Majestät legen dabei keine Städte in Schutt und Asche. Niemand hindert unsere Generäle, mit Banden von Terrorristen aufzuräumen. Doch die haben bis jetzt ja nicht mal den beinamputierten Schamil Bassajew stellen können. Und statt seinen Kämpfern im Sommer 99, als sie in Dagestan einfielen, den Rückzug nach Tschetschenien abzuschneiden, hat man sie passieren lassen, um dann in Tschetschenien Revanche für den ersten verlorenen Krieg zu nehmen.
Die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung wollte zunächst nicht die Unabhängigkeit, sondern innere Autonomie. Ist das nach all dem Leid überhaupt noch möglich? Und wenn ja, was wäre aus Ihrer Sicht der kleinste gemeinsame Nenner für einen historischen Kompromiss, mit dem beide Seiten auf Dauer leben können?
Diesen historischen Kompromiss hatten wir im letzten Jahr schon ausgehandelt. In Liechtenstein, wo ich und ein paar andere russische Politiker sich mit Vertretern
Maschadows getroffen haben und in Anwesenheit von westlichen Diplomaten und Politikwissenschaftlern einen Friedensplan ausgehandelt hatten, der beiden Seiten vorgelegt wurde. Er sah umfassende Autonomieregelungen vor. Im Gegenzug dafür sollte Tschetschenien auf eigene Streitkräfte verzichten, eine gemeinsame Staatsbürgerschaft mit Russland und den Rubel als gemeinsame Währung akzeptieren. Und für den Verzicht Moskaus, die Vergabe von Ämtern, gleich welcher Ebene, in Tschetschenien zu beeinflussen, sollte die Grenze zu Russland keine internationale werden, sondern eine administrative bleiben.
Maschadow hat all das akzeptiert, der Kreml nicht. Vor allem, weil internationale Beobachter in Tschetschenien stationiert werden sollten, um die Einhaltung der Abmachungen zu garantieren.
Putin hat Sie nie empfangen. Vielleicht war er schlecht oder gar nicht informiert über den Plan?
Ich bitte Sie, damit hätte sich vielleicht Breshnew kurz vorm Tode herausreden können. Doch Putin ist erst so alt wie ich, als ich damals Parlamentschef war. Und es gibt Dinge, die ein Präsident einfach wissen muss. Wenn er die nicht weiß, ist er einfach fehl an seinem Platz. Nach europäischem Politikverständnis jedenfalls. Doch Russland ist asiatischer als Asien selbst.ND: Wer mit Erfolg versucht, die bestehenden Verhältnisse zu ändern, ist ein Revolutionär, wer damit scheitert, ein Putschist. Sind Sie ein Putschist?
Chasbulatow: Ich bin Professor und zähle mich weder zu den einen noch zu den anderen. Was die Ergebnisse vom 3. Oktober angeht, damals war ich Chef des russischen Parlaments und der Putschist war Herr Jelzin, der in seine Verschwörung die Generalität und namhafte Politiker einbezogen hatte, um dann das russische Parlament mit Panzern und schwerer Artillerie aufzulösen. Und ich als gewählter Volksvertreter und Parlamentspräsident habe jenen Widerstand geleistet, den das Parlament leisten musste. Ohne Waffengewalt. Wir haben uns einfach verbarrikadiert und zu unserer Verteidigung kamen friedliche Menschen.
Welche Ziele hatten Sie dann?
Unsere Ziele wurden durch die geltende Verfassung bestimmt. Dort gibt es, wie in jedem Grundgesetz eines zivilisierten Volkes, Normen für die Gewaltenteilung: Was der Präsident zu tun hat, was die Exekutive, was das Parlament. Wir waren für die Schaffung von Gesetzen zuständig und, wie jedes Parlament, für die Kontrolle. Und das passte dem Kreml eben überhaupt nicht. Jelzin wollte störungsfrei das tun, was er später auch tat. Jetzt kommen ja eben diese Losungen wieder hoch: Korrektur von Ergebnissen der Privatisierung, weil Reichtum ungesetzlich erworben wurde. Wenn das Parlament damals nicht aufgelöst worden wäre, hätte es die Privatisierung überwacht und zu diesen Exzessen wäre es erst gar nicht gekommen. Und auch nicht zu all den Problemen und Widersprüchen, an denen die russische Gesellschaft heute krankt.
Exbundeskanzler Kohl hielt damals zu Freund Boris und warb für ihn um Nachsicht. Demokratie in Russland sei halt kein Lehrstück für politikwissenschaftliche Seminare. Und Jelzin habe ein Zurück in die kommunistische Vergangenheit verhindert.
Das ist Unsinn. Kohl war übrigens nicht der einzige westliche Staatschef, der das so sah. Und wenn die heute Putins gelenkte Demokratie und seine Angriffe auf die Pressefreiheit kritisieren, vergessen sie dabei, dass die Grundlagen dafür vor zehn Jahren gelegt wurden. Denn gleich nach der Panzerattacke bekam Russland eine undemokratische Verfassung, die dem Präsidenten mehr Macht gibt als seinerzeit den Zaren.
Was wurde erreicht? Musste Jelzin, obwohl Sieger, danach dennoch Abstriche an seiner Linie machen?
Jelzin hatte gar keine Linie. Das war ein schwacher, hilfloser Präsident, von dem sogar der Oberleibwächter unwidersprochen behaupten konnte, er würde ihn lenken. Regiert hat stets seine Umgebung, wohin die ihn schubste, dahin stolperte er. Und womöglich mochte auch Kohl ihn vor allem deshalb.
Haben Sie und Jelzin sich danach jemals wiedergesehen?
Nein, nie. Und ich hatte auch nie den Wunsch. Er existiert für mich einfach nicht mehr. Obwohl die andere Seite mehrfach auf mich zugekommen ist und mir auch mehrfach Ämter angeboten hat, sogar ziemlich hohe.
Waren die Schüsse auf das Parlament auch die ersten in Moskaus Tschetschenienkrieg, den Jelzin gut ein Jahr später begann, um die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen?
In der Tat. Hier gibt es eine direkte Verbindung, denn wir hätten das nie durchgehen lassen und auf eine friedliche Lösung der Probleme im Kaukasus bestanden. Umso mehr, als Tschetschenien meine Republik ist. Aber sie haben zuerst das Parlament erledigt, an dessen Spitze ein Tschetschene stand, und dann meine Heimat mit Krieg überzogen, der mit kurzen Unterbrechungen schon fast zehn Jahre geht. Und im Kreml will man eines partout nicht begreifen: Je länger dieser Krieg geht, desto größer ist die Gefahr, dass er auf den ganzen Nordkaukasus übergreift. Von Abchasien am Schwarzen bis Dagestan am Kaspischen Meer.
Was war Moskaus größter Fehler im Kaukasus?
Die Entsendung von Truppen. Schon vor über 2000 Jahren, als Iran eine sieggewohnte Weltmacht war, hieß es auf den Basaren: Wenn die Schahs den Verstand verlieren, greifen sie den Kaukasus an.
Vielleicht wollte Russland aber damit verhindern, dass ein unabhängiges Tschetschenien zum nachahmenswerten Beispiel wird.
Um den Preis von inzwischen über 220000 toten Tschetschenen und 20000 gefallenen russischen Soldaten? Und die Zerstörung einer einst blühenden und hoch entwickelten Republik? Angeblich, weil die Terrorristen bekämpft werden müssen. Auch Großbritannien bekämpft seit Jahrzehnten die Terroristen der IRA. Aber die Soldaten Ihrer Majestät legen dabei keine Städte in Schutt und Asche. Niemand hindert unsere Generäle, mit Banden von Terrorristen aufzuräumen. Doch die haben bis jetzt ja nicht mal den beinamputierten Schamil Bassajew stellen können. Und statt seinen Kämpfern im Sommer 99, als sie in Dagestan einfielen, den Rückzug nach Tschetschenien abzuschneiden, hat man sie passieren lassen, um dann in Tschetschenien Revanche für den ersten verlorenen Krieg zu nehmen.
Die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung wollte zunächst nicht die Unabhängigkeit, sondern innere Autonomie. Ist das nach all dem Leid überhaupt noch möglich? Und wenn ja, was wäre aus Ihrer Sicht der kleinste gemeinsame Nenner für einen historischen Kompromiss, mit dem beide Seiten auf Dauer leben können?
Diesen historischen Kompromiss hatten wir im letzten Jahr schon ausgehandelt. In Liechtenstein, wo ich und ein paar andere russische Politiker sich mit Vertretern
Maschadows getroffen haben und in Anwesenheit von westlichen Diplomaten und Politikwissenschaftlern einen Friedensplan ausgehandelt hatten, der beiden Seiten vorgelegt wurde. Er sah umfassende Autonomieregelungen vor. Im Gegenzug dafür sollte Tschetschenien auf eigene Streitkräfte verzichten, eine gemeinsame Staatsbürgerschaft mit Russland und den Rubel als gemeinsame Währung akzeptieren. Und für den Verzicht Moskaus, die Vergabe von Ämtern, gleich welcher Ebene, in Tschetschenien zu beeinflussen, sollte die Grenze zu Russland keine internationale werden, sondern eine administrative bleiben.
Maschadow hat all das akzeptiert, der Kreml nicht. Vor allem, weil internationale Beobachter in Tschetschenien stationiert werden sollten, um die Einhaltung der Abmachungen zu garantieren.
Putin hat Sie nie empfangen. Vielleicht war er schlecht oder gar nicht informiert über den Plan?
Ich bitte Sie, damit hätte sich vielleicht Breshnew kurz vorm Tode herausreden können. Doch Putin ist erst so alt wie ich, als ich damals Parlamentschef war. Und es gibt Dinge, die ein Präsident einfach wissen muss. Wenn er die nicht weiß, ist er einfach fehl an seinem Platz. Nach europäischem Politikverständnis jedenfalls. Doch Russland ist asiatischer als Asien selbst.
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