- Politik
- Bundeswehr
Antreten! Wegtreten! Oder lieber doch: Kehrt marsch?
Wittenberg lädt Holzdorfer Luftwaffensoldaten nur halbherzig zu Gelöbnis
Wittenberg hat die Luftwaffe zu Gelöbnissen in der Lutherstadt eingeladen. Ob sie kommt, ist fraglich. Viele Stadträte widersetzten sich öffentlich; selbst der Bürgermeister will kein »Dschingderassabum«.
Einladungen zu Feiern sind erfreulich. Wenn aber anzunehmen ist, dass einige Gastgeber den Eingeladenen nicht sehen wollen, bleibt man lieber fern. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die Bundeswehr demnächst ein öffentliches Gelöbnis auf dem Marktplatz von Wittenberg abhalten wird - und das, obwohl der Stadtrat mehrheitlich eine solche Einladung ausgesprochen hat. Ausgerechnet im Kulturausschuss hatte die Wittenberger CDU einen Antrag gestellt, der Bundeswehr die Tore zu öffnen. Die Luftwaffe unterhält im nahe gelegenen Holzdorf einen Stützpunkt, auf dem Teile des Transportgeschwaders 62, Einrichtungen zur Luftraumüberwachung und ein Ausbildungsbataillon stationiert sind. Rund 3000 Rekruten absolvieren dort jährlich ihre Grundausbildung. Der Vorschlag, sie in Wittenberg zur Vereidigung antreten zu lassen, führte bei den Kommunalpolitikern zu heftigen und polemischen Debatten. Der Antrag sei als Bekenntnis zur »Bundeswehr als einer demokratischen Institution dieses Staates« zu verstehen, nahm Stadtrat Horst Tabor die Abgeordneten in die patriotische Pflicht. Der CDU-Politiker verwies auf Einsätze unter UNO- und NATO-Kommando, die seiner Ansicht nach »dem Schutz der Zivilbevölkerung und humanitären Aufgaben« dienten; auch die Hilfe der Militärs beim Hochwasser 2002 wurde ins Feld geführt. SPD-Fraktionschef Volker Kuchler warnte vor einer »Ausgrenzung« der Bundeswehr; sein Parteifreund Gustav Pohl appellierte an das Mitgefühl für die »Jungs, die ihre Pflicht erfüllen«. Ob diese indes ausgerechnet in der Lutherstadt mit ihrer eher pazifistischen Tradition antreten sollen, ist umstritten. Nicht wenige Stadträte wollten keine Militärformation zwischen den Denkmälern des Reformators und seines Freundes Melanchton aufmarschieren sehen. Die Stadt solle eine »militärfreie Zone« bleiben, sagte PDS-Fraktionsvorsitzende Karin Dübner. Der SPD-Stadtrat Friedemann Ehrig erklärte, für internationale Einsätze seien Wehrpflichtige ungeeignet, und Inlands-Einsätze wie beim Hochwasser bedürften keiner öffentlichen Zeremonien. Grünen-Stadtrat Reinhard Lausch erinnerte an die Wittenberger Aktion »Schwerter zu Pflugscharen« von 1983. Der Stadtratsbeschluss just zum 20. Jahrestag dieser Initiative erregt auch bei dem Theologen Friedrich Schorlemmer heiligen Furor. Die Einladung sei »vollkommen unverständlich«. Auf den Marktplätzen Deutschlands dürfe es nicht zu feierlichen Schwüren und Selbstinszenierungen der Armee kommen, sagte der prominente Wittenberger. Auch Bürgermeister Eckard Naumann bekundete erhebliche Unlust an »Dschingderassabum auf dem Marktplatz«. Das SPD-Stadtoberhaupt appellierte: »Lasst die Armee in den Kasernen!« Während nicht wenige Wittenberger den Rathauschef in seiner skeptischen Haltung gegenüber dem Militär unterstützten dürften, ist die CDU im Landtag pflichtgemäß besorgt. Nico Schulz, Sprecher für Bundeswehrfragen, fürchtet gar Schaden für das ganze Land. Die Soldaten würden »entwürdigt«, klagt der Oberleutnant a.D., der negative Folgen in der Standortdebatte befürchtet. Beruhigende Worte in diesem Punkt kommen indes aus der Holzdorfer Kaserne. Die Strukturentscheidungen seien für den Standort »außerordentlich positiv ausgefallen«, sagt Oberst Eckard Wiegand, der Standortälteste. Auf den Flugplatz, der seit 1980 vom 1. Jagdgeschwader der NVA mit 43 MiG 21-Flugzeugen und 750 Soldaten genutzt wurde, soll demnächst eine Hubschrauberstaffel aus Cottbus verlegt werden; die Anzahl von rund 1500 Soldaten und 377 Zivilbeschäftigten werde um 15 Prozent steigen. Wiegand spricht von einer »bemerkenswerten Aufwertung«. Und auch um beschauliche Kulissen für ihre Gelöbnisse muss sich die Truppe keine Sorgen machen. Die Stadträte von Jessen und Annaburg haben die Bundeswehr eingeladen, und auch in Prettin und Holzdorf erschallt statt eines Kehrt-marsch-Befehls die Auffor...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.