Über 40 Athleten müssen vor Gericht aussagen

Größter Doping-Skandal in den USA / Zu den Vorgeladenen gehört die Doppel-Weltmeisterin und Dopingsünderin von Paris, Kelli White Von Jürgen Holz

Im größten Doping-Skandals in der Geschichte des amerikanischen Sports kommen Tag für Tag neue Details an die Öffentlichkeit. Vorerst wurden mehr als 40 Athleten aus olympischen und verschiedenen anderen Profi-Sportarten - darunter mindestens sieben Football- und fünf Baseball-Profis - für diese Woche von einem Bundesgericht in San Francisco vorgeladen. Sie sollen über die Praktiken im Laboratorium aussagen, in dem das Designer-Steroid Tetrahydrogestrinone (THG) entwickelt worden ist. Die Droge soll im Bay Area Laboratory Co-Operative (BALCO) in Burlingame hergestellt worden sein. Der Gründer des dubiosen Labors, Victor Conte, leugnet unterdessen vehement die Herstellung des anabolen Präparats THG. Er habe nichts Falsches getan, weil THG weder ein Steroid noch illegal sei. Der 53-Jährige wirft der nationalen Anti-Doping-Agentur USADA vor, sie habe große Teile der Skandalgeschichte erfunden. Es gebe keine Beweise dafür, dass THG irgendwelche anabolen Effekte besitze, so Conte. Das nordkalifornische Unternehmen produziert seit Jahren vor allem Nahrungsergänzungsmittel, zu deren prominenten Abnehmern auch die Sprinterin Marion Jones, dreifache Olympiasiegerin von Sydney, und ihr neuer Lebensgefährte, der Sprint-Weltrekordler Tim Montgomery, sowie der Baseball-Star Barry Bonds gehören sollen. Zu den bislang vom Bundesgericht vorgeladenen 40 Zeugen gehört auch Kelli White. Die vor der Aberkennung ihrer beiden WM-Goldmedaillen stehende Sprinterin war bei den Leichtathletik-WM im August in Paris nach ihrem Sieg über 100 m auf das Stimulanzmittel Modafinil positiv getestet worden. White bestreitet die Einnahme des anabolen Steroids Tetrahydrogestrinone (THG). »Ich habe wirklich überhaupt nichts mit der Sache zu tun«, beteuerte sie. Hinsichtlich ihrer Einnahme der verbotenen Stimulanzie Modafinil stellte sich inzwischen heraus, dass die Sprinterin das Präparat auch schon bei den nationalen Titelkämpfen im Juni im kalifornischen Stanford eingenommen hat. Nach Informationen aus US-Medien sind mindestens sechs US-Leichtathleten positiv auf THG getestet worden. Darunter befände sich mit Kevin Toth auch einer der weltbesten Kugelstoßer und WM-Vierter. Sein Agent John Nubani sagte der »Washington Post«: Toth sei sich wahrscheinlich nicht darüber im Klaren gewesen, dass THC ein anaboles Steroid sei, weil es nicht auf der Verbotsliste des IOC stehe. Sein Klient sei bislang nie positiv getestet worden. »Alles, was ich weiß, ist das, was er mir gesagt hat«, so Nubani, »demnach war THG Teil seines Paketes von Nahrungsergänzungsmitteln, die er zu sich nimmt.« Inzwischen hat das Nationale Olympische Komitee der USA (USOC) dem nationalen Leichtathletik-Verband (USATF) ein Ultimatum gestellt. Bis zum 17. November muss USATF einen detaillierten Maßnahmekatalog erstellen, wie USATF mit den Dopingvergehen und Dopingsündern zu verfahren gedenkt. Angedroht wurden Sanktionen für den Fall, dass USATF nicht mit aller Härte vorgeht. Dann würde sich das USOC nicht scheuen, alle finanziellen und politischen Hebel in Bewegung zu setzten, um den Verband zu säubern, kündigte USOC-Interimspräsident Bill Martin an. Nach Veröffentlichungen der amerikanische Anti-Doping-Agentur (USADA) ist bei zahlreichen Top-Leichtathleten in der A-Probe THG nachgewiesen worden. Eine genaue Anzahl und die Namen der betroffenen Sportler wurden nicht genannt. Das geschehe frühestens im Dezember nach Untersuchung der B-Proben, sagte USADA-Direktor Terry Madden. Sollten sich die Befunde der A-Probe bestätigen, zöge das für die Athleten eine zweijährige Sperre und die Nichtteilnahme an den Olympischen Spielen 2004 nach sich. Den Fall ins Rollen brachte ein anonymer Hinweis. Bei dem Informanten handele es sich um einen renommierten Leichtathletik-Trainer. Er sandte USADA auch eine Spritze, die die Dopingsubstanz enthielt. Während der nationalen Meisterschaften im Juni in kalifornischen Stanford seien 350 sowie auch bei anderen Sportarten im Rahmen von Trainingskontrollen weitere 200 Dopingprobe genommen worden, deren Ergebnisse zum Fall von ungeahntem Massendoping geführt hat. Der Wissenschaftler Professor Dr. Fritz Sörgel bewertet den Doping-Skandal in den USA als einen Beleg dafür, »das die Schwelle zum Kriminellen im Bereich des Sportes und des sich Dopens längst überschritten ist«. Der Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg-Heroldsberg sprach gegenüber dpa von »modernen Menschenversuchen der übelsten und kriminellen Art. Die Chemiker, die so was herstellen, wissen genau, was sie tun.« Die Entwicklung einer solchen Substanz wie THG erfordere eine »erhebliche pharmakologische Kompetenz«. Kleinste chemische Veränderungen an einem Arzneistoff können zur »chemischen Bombe« führen. Im Fall des Gestrinons, das zu THG verändert wurde, sei die Ausgangslage klar gewesen: »Man wollte einen Stoff finden, der nicht leicht nachweisbar ist und der sich im Körper anders verhält als die anderen Steroide.« Durch geschickte chemische Veränderungen sei es möglich, den Stoff so zu gestalten, dass er sich hauptsächlich in den Geweben aufhält und nur in minimaler Konzentration im Urin auftaucht, was natürlich die Doping-Fahndung erschwert. Der Wissenschaftler wies darauf hin, dass die Wirkung von THG »zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt nicht abgeschätzt werden kann. In jedem Fall sollten die positiv getesteten Sportler auf Schäden hin untersucht werden«. Sörgel vermutet, »dass es längst richtige Pharmakologie-Labore gibt, die in unverantwortliche Weise alles, was auf Grund pharmakologischer Lehrbücher nur halbwegs Erfolg versprechend leistungssteigernd wirkt, am Menschen - ohne jeden Tierversuch - testen«. Diese »kriminellen Elemente« setzten alles daran, andere Stoffe chemisch so weit abzuwandeln, »dass sie eine besondere Wirkung verursachen, ohne nachweisbar zu sein. Dies würde über kurz oder lang zu »schwersten Zwischenfä...

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