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Warum hat keiner Marinus geholfen?
Heute Urteilsspruch im Potzlow-Prozess
»Gäste können sich in Potzlow wohl fühlen«, wirbt die Ortschaft, die in einer hügeligen Landschaft zehn Kilometer südlich von Prenzlau liegt. Doch der Pfarrer sagt: »Es macht nicht immer Spaß, hier zu leben«.
Am 13. Juli 2002 ermordeten jugendliche Rechtsextremisten den 16-jährigen Marinus Schöberl bestialisch. Über die drei mutmaßlichen Täter Marcel Sch. (18), Marco Sch. (24) und Sebastian F. (18) entscheidet heute die Jugendstrafkammer des Landgerichts Neuruppin. Nach vier Monaten Verhandlung soll um 12 Uhr das Urteil gesprochen werden.
Warum musste Marinus Schöberl sterben? Der Junge war schüchtern und stotterte, wenn er sich zu sehr aufregte. Doch auch Marco Sch. hatte in seiner Kindheit Schwierigkeiten, sich zu artikulieren. Marinus färbte sich die Haare blond und trug HipHop-Klamotten. Für HipHop-Musik begeisterte sich auch Marcel Sch. Doch als sein älterer Bruder Marco- ein Skinhead- eine Woche vor der Tat aus dem Knast kam, rasierte Marcel sich den Schädel kahl.
576 Menschen leben in dem Ortsteil Potzlow, der zur Gemeinde Oberuckersee gehört. Früher verdienten 700 Leute in zwei Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften ihre Brötchen. Heute sind viele arbeitslos. Der Alkoholismus grassiert. Marco Sch. trank schon seit seinem elften Lebensjahr. Wenn er seinen Pegel erreicht, ist er unberechenbar, weiß sein Vater zu berichten.
Das Opfer Marinus Schöberl wollte jedermanns Freund sein. So suchte er Kontakt zu den drei Jugendlichen, die ihre Tat inzwischen gestanden haben. Offenbar fanden sie in Potzlow keines der klassischen Opfer für ihren rechtsradikalen Hass. Marinus war kein Jude. Nach einem Saufgelage in einem Feldsteinhaus zwangen ihn die Täter unter Schlägen, zu sagen, dass er ein Jude sei.
Um 4 Uhr früh brachten sie ihn in einen alten Schweinestall. Marinus musste in einen Steintrog beißen. Marcel sprang ihm auf den Kopf. Die Idee zu diesem »Bordstein-Kick« nahm Marcel aus dem USA-Film »American History X«, wo ein Neonazi einem Farbigen ins Genick tritt. Weil Marinus noch nicht tot war, holte Marcel einen Gasbetonstein und ließ ihn zweimal auf den Kopf des Opfers fallen. Danach vergruben die Täter den Körper in einer Jauchegrube.
Am Freitag, dem 15. November 2002, führte Marcel Kinder zum Tatort und buddelte den Schädel aus. Ein Mädchen erzählte ihrer Mutter davon. Bis Sonntag wühlten noch fünf weitere Kinder in der Jauchegrube. Erst dann erhielt die Polizei einen anonymen Hinweis. Am 17. November fanden Beamte die Leichenteile.
Er habe noch keine Gemeinde erlebt, in der es so viele Tabus gebe, sagt der Pfarrer. Marinus Schöberls Mutter befestigte ein Transparent am Grab ihres Sohnes. »Warum hat dir keiner geholfen?« steht darauf. Vier Tage nach der Beerdigung tauchte ein Flugblatt vom »Nationalen Widerstand Potzlow« auf- die Bevölkerung solle sich nicht einschüchtern lassen. Jemand malte vor dem Grab einen Davidsstern in den Sand. Der Versuch, Ortsbürgermeister Johannes Weber telefonisch zu erreichen, scheitert. »Er wi...
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