- Brandenburg
- Bündnis Prenzlauer Berg für „Wohnen ohne Auto“ an der Eldenaer Straße - aber:
Insel der Glückseligen ist nicht das Ziel
(ND-Kimmel). In~ sechs Berliner Stadtplanungsbüros macht man sich derzeit Gedanken um die Gestaltung des Gebietes rund um den ehemaligen Schlachthof in Prenzlauer Berg. Rund 50 Hektar umfaßt das Gelände zwischen Landsberger Allee, Ringbahntrasse, Eldenaer Straße und Thaerstraße. Voraussichtlich ab 1996 sollen hier im östlichen Teil auf 37 Hektar Wohnungen für etwa 50 000 Menschen sowie ein Stadtpark (10 Hektar) entstehen. Im nordwestlichen Teil wird auf rund 13 Hektar Gewerbe angesiedelt.
Das Bündnis Prenzlauer Berg hat durchgesetzt, daß die Planer für das Wohngebiet jeweils zwei Konzepte erarbeiten, wie Reiner Schöbel, Abgeordneter der Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung, am Montag vor der Presse erläuterte. In einer Variante A gehe es um eine „konventionelle“ Lösung, Variante B solle eine „autofreie“ darstellen. „Wohnen ohne Auto“ so die Devise. Wobei Reiner Schöbel eingangs den gelegentlichen Vorwurf zurückwies, man wolle dort ein Gebiet ohne Individualverkehr schaffen:' „Wenn ich von der Straßenbahnhaltestelle nach Hause
laufe ist das auch Individualverkehr. Wir wollen dort lediglich ein Wohngebiet ohne Autos. Zumindest weitgehend.“
Dabei erwarte man keine „Insel der Glückseligen“ an der Eldenaer Straße, sondern ein Gebiet, das den Ansprüchen seiner Bewohner an ein gesundes, lebenswertes Umfeld weitestgehend entspricht. Da mit S-Bahn, mehreren Buslinien und Straßenbahn ein günstiger Anschluß an den öffentlichen Nahverkehr gegeben ist, könne der Autoverkehr ohne weiteres auf das absolut Notwendige (Ver- und Endsorgung, Behinderte, Notfallfahrzeuge) beschränkt bleiben.
Interessenten für „Wohnen ohne Auto“ gebe es eine Menge und zwar quer durch alle Beyölkerungsschichten, wies Reiner Schöbel ein weiteres Argument von Gegnern des Projektes zurück. „Bei unserer Arbeitsgruppe haben sich auch ohne große Kampagne in der Öffentlichkeit bereits rund 2 000 Leute gemeldet, die in solch ein Wohngebiet ziehen würden.“ Rund 20 Prozent davon wollten dort auch Eigentumswohnungen erwerben. Es sei also überhaupt
nicht so, daß sich für autofreies Wohnen lediglich einige Grüne oder Alternative interessiert zeigten.
Einige der wichtigsten Argumente für Wohnen ohne Auto aus Schöbeis Sicht: Lebensqualität und Attraktivität in dieser innerstädtischen Wohnlage erhöhen sich. Stra-ßenraum kann wieder Lebensraum werden, der Platz zwischen Häusern ist Begegnungsstätte von Menschen und nicht von Autos. Es gibt mehr Grün. Nicht zu verachten sei auch der Spareffekt, wenn man bedenke, daß ein Autostellplatz zu ebener Erde 20 000 Mark, in der Tiefgarage sogar bis zu 60 000 Mark, koste. Ein Beispiel aus Bremen zeige, daß pro Wohnungseinheit drei bis zehn Prozent geringere Kosten zu erwarten sind.
Allerdings leidet das Projekt, wie Baustadtrat Matthias Klipp ergänzte, an chronischer Geldknappheit, was die Möglichkeiten der Planungsbüros erheblich beschneide. Für das Gutachterverfahren, es wird im November abgeschlossen, stehen insgesamt etwa 300 000 Mariczur Verfügung. „Bei Olympiabauten wie der Radsporthalle oder
der Mehrzweckhalle wurden für die Wettbewerbe eine Million ausgegeben und Stadtplaner aus aller Welt eingeladen. Da spielte Geld keine Rolle“, kritisierte Klipp. Die Tatsache, daß die Luftverbesserung durch Heizungsumstellung im Bezirk bereits durch den wachsenden Verkehr wieder „ausgeglichen“ wurde, mache deutlich, wie nötig solch ein verkehrsarmes Wohngebiet tatsächlich ist.
Rund um den Schlachthof und in den angrenzenden Gebieten sollen einmal Büround Gewerbeflächen entstehen, die bis zu 6 000 Stellplätze nach sich ziehen würden, wenn das Baugesetz nicht verändert würde, warf Klipp einen Blick in die nächste Zukunft. Pro Stunde verkrafte eine Fahrspur der Landsberger Allee 1 000 Kraftfahrzeuge. „Da höre ich schon den Ruf nach deren vierspurigem Ausbau und der Schließung des Stadtringes. Was das für die Wohnqualität bedeute, könne sich jeder leicht ausrechnen.
Zum Stadtentwicklungsgebiet Eldenaer Straße findet am Mittwoch, 11. August, im Gemeindesaal der Immanuelkirche, ab 20 Uhr eine Podiumsdiskussion statt.
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