Wie steter Alkoholkonsum das Gehirn schrumpft
Was wir alle schon immer wussten, die Wissenschaft bestätigt es uns von Zeit zu Zeit mal immer wieder: Alkohol in Maßen ist gesundheitsfördernd. Rotwein beugt Herzinfarkt vor, Bier schützt vor Krebs. Ja, das lesen und glauben wir gerne. Dass für diese Effekte, so sie denn tatsächlich nachweisbar sind, nicht der Alkohol sondern allenfalls andere Getränkebestandteile wie Flavonoide, Phenole und Antioxidantien zuständig sind, kehrt der gestandene mitteleuropäische Gelegenheits- und Genusstrinker geflissentlich unter den Tisch und hält es statt dessen lieber mit der Comicfigur Werner, die da tönt: »Hau wech das Zeuch«. Das »Zeuch« aber, und das wiederum ist schon lange bekannt, haut seinerseits Löcher in unser Gehirn und lässt es schrumpfen.
Warum das so ist, haben jetzt erstmals Psychiater der Universität Erlangen beschrieben, die einen Zusammenhang zwischen alkoholbedingtem Hirnschwund (Hirnatrophie) und der Aminosäure Homocystein festgestellt haben. Ein wenig Biochemie zum besseren Verstehen vorab. Wo immer im Körper Auf- und Umbauvorgänge stattfinden, werden Kohlenstoffbausteine gebraucht. Ein ganz wichtiger Lieferant ist die mit der täglichen Nahrung aufgenommene Aminosäure Methionin, die nach Abgabe ihres Bausteins als Homocystein solange im Körper verbleibt, bis sie durch Vitamin-B, bzw. Folsäure in Methionin zurückverwandelt wird.
Die Aminosäure Homcystein hat keine eigenständige Funktion im Körper, sie ist nicht einmal am Aufbau von Eiweißmolekülen beteiligt. Als Zwischenprodukt wird sie deshalb vom gesunden Organismus rasch wieder ab- oder umgebaut. Mit gutem Grund: Homocystein ist Gift, produziert freie Sauerstoffradikale und schädigt die Gefäßwände. Nach dem aktuellen Wissensstand gilt ein erhöhter Homocystein-Spiegel als Risikofaktor für Herzinfarkt und Gehirnversagen. Experten schätzen, dass 40 Prozent aller Erkrankungen des Gefäßsytems im Gehirn, die meisten Konzentrations- und Denkstörungen, sowie viele Formen von Depressionen und Demenzen auf überhöhten Homocystein-Werten beruhen. Gedächtnisstörungen und Hirnleistungsabbau sind auch Folge von regelmäßigem Alkoholkonsum. Im Extremfall schrumpft das Gehirn sogar messbar, was als Hirnatrophie bezeichnet wird. Vor diesem Hintergrund verglichen Erlanger Wissenschaftler um die Psychiater Privatdozent Dr. Stefan Bleich und Prof. Johannes Kornhuber die Hirnvolumen alkoholkranker Menschen mit deren Homocysteinspiegeln. Erste Erkenntnis: Je größer der Hirnschwund um so höher die Werte. Zweite Erkenntnis: Beim Alkoholentzug krampften nur jene Betroffenen, deren Homocystein-Spiegel besonders hoch war. »Daraus schlossen wir auf einen Zusammenhang zwischen alkoholbedingtem Hirnschwund und Homocystein, so wie er bereits für die Alzheimer und altersbedingte Hirnatrophie gesichert ist«, erklärt Kornhuber.
Alkohol raubt dem Körper den natürlichen Gegenspieler des Homocysteins, die Folsäure. So bleiben die Werte zwangsläufig hoch. Für die schädliche Wirkung des Homocysteins auf die Nervenzellen hat die Erlanger Forschergruppe eine Erklärung parat. »Die Aminosäure bindet an den sogenannten NMDA-Rezeptor von Gehirnzellen, der normalerweise von Glutamat besetzt wird. Dadurch wird die Zelle übererregt und geht zu Grunde«, sagt Kornhuber und Bleich fasst zusammen: »Homocystein wirkt im Gehirn also wie ein falscher Botenstoff und schädigt letztlich das Organ«. Je größer und regelmäßiger der Alkoholkonsum, um so mehr Homocystein sammelt sich an und um so ausgeprägter ist der Hirnschwund.
Alkoholverzicht normalisiert die Werte und lässt geschädigtes Gewebe sogar regenerieren. Deshalb wollen die Forscher in weiterführenden Studien Folsäure als Gehirn schützendes Medikament einsetzen. Kornhuber rät schon jetzt: »Wer unbedingt Alkohol trinken muss, sollte wenigstens viel Salat dazu essen. Der enthält Folsäure in ausreichender Menge«. Und schmunzelnd fügt er hinzu: »Denkbar wäre natürlich, Bieren Folsäure als Nahrungsergänzungsmittel beizumengen. Ich glaube aber eher, dass dies am Deutschen Reinheitsgebot scheitert«. Die Ergebnisse der Erlanger Psychiater haben die deutsche Trinkkultur stark erschüttert. Bleich: »Regelmäßig getrunken sin...
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