Besuch bei den Mumins

Wie Tove Jansson ein Weltklassiker gelang

In ihrer Rede zur Verleihung des Hans-Christian-Andersen-Preises (1958) sagte Tove Jansson (1914-2001): »In einem Kinderbuch soll immer etwas unerklärt bleiben und ohne Illustrationen. Man muss dem Kind gestatten, allein weiterzudenken oder weiterzufühlen zwischen Möglichem und Unmöglichem.« Und sie plädiert für einen respektvollen Abstand, den der Autor zwischen sich und seinem Leser lassen muss, denn Letzterer sei nicht mehr, als ein Flüchter aus seiner eigenen Welt. So ist auch die mögliche Brücke strukturiert, die Tove Jansson zwischen sich und ihre Leser geschlagen hat, als sie 1939 ihre erste Mumin-Geschichte schrieb. Im Unterschied zu den Trollen nordischer Sagen und Märchen ist dieser Winzling Mumin weder böse noch hinterhältig, sondern gutmütig, hilfsbereit und niemandes Feind. Er lebt in der großen Muminfamilie, die freundlich, zufrieden, ja sogar ein bisschen selbstgefällig ist, ein positives Weltverständnis hat, sich dem Augenblick hingibt. Ahnungslos, aber widerstandsfähig sind diese Mumins, und die Autorin verhilft dem Leser auf unterhaltsame Weise in ein Land Nirgendwo, ohne auch nur das geringste pädagogische Dogma zu streifen. Sie vertraut ihren Figuren und ihren Geschichten, die mühelos reale und fantastische Dinge oder Vorgänge zueinander bringen, übergangslos, scheinbar spielerisch und von einleuchtender Vergnüglichkeit. Mumin ist Milch holen gegangen und gerät auf dem Heimweg in die Not, seine kleine, inzwischen verloren gegangene Schwester My zu suchen. Sie ist nicht in der großen Dose zu finden, dafür aber gerät er in den Staubsaugerschlauch des Fabelwesens Hemul. My ritzt den Schlauch auf, und der verstaubte Bruder kommt hervor. Schon glauben sich die beiden in Sicherheit, da müssen sie sich auch noch vor den Hatifnatten retten, die nur Tee trinken und nach Gewitter stinken. Tove Jansson weiß dem Ensemble Muminscher Familienharmonie durchaus einen Fabelwesenkreis beizuordnen, dessen Gefährlichkeit Spannung ins Geschehen bringt. Dazu gehören die Hatifnatten allemal. Das Ende löst alle Angst. Die Muminmama kann nun zwar keine Milch servieren, denn die ist unterdes sauer geworden, aber Beerensaft tut's auch. Tove Janson erzählt und zeichnet ihre Geschichten. Vielleicht haben ihre Mumins nur so ihr unverwechselbares outfit erhalten, vielleicht war auch das ein wesentlicher Impuls für den Welterfolg der Mumin-Bücher, die durch alle Medien gingen, sogar als Oper aufgeführt und in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurden. Die kleinen, eher knolligen Figuren im strengen Schwarz-Weiß auf farbigem Hintergrund oder mit eher sparsam gesetzten Farbflecken geschmückt, sind so einprägsam fremd und von solch freundlich-kindlicher Gestalt, dass man sie lieb gewinnt und wohl nie mehr vergisst. Ein Werk, das zum Schatz der internationaler Kinderliteratur gehört und nun im LeiV-Verlag erscheint. Reich bebildert. Das Besondere: ausgestanzte Seiten. Der Leser kann hindurchblicken, auf verschiedenen Wegen den Figuren folgen. »Wie geht's weiter?« - auf jeder Seite wird jene Frage gestellt, die sich auch an den Verlag ...

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