Wo das Auge satt und das Herz leicht wird

Kleine Trendwende auf der »Insel der Seligen und Reichen«: weniger Schickimicki, mehr Natur-Touristen

  • Michael Müller
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Drei Tage Sylt im Komforthotel mit Flug ab 199 Euro. So stellt es zumindest der Feriendiscounter billigweg.de gerade in Aussicht. Dieser Tage will er das Angebot ab Köln testen. »Rechnet sich's, dann bringen wir im kommenden Jahr rund 5000 Kunden in dieser Preisklasse auf die Insel«, versichert Geschäftsführer Andreas Lambeck. Bei Susan Gerds, der Chefin vom Keitumer Hotel Aarnhoog, ist für dieses Geld gerade mal so eine Übernachtung zu haben. Aber sie hat mit solchen Schnäppchen-Avancen für die Insel kein Problem. »Zumindest so lange nicht, wie davon Umwelt und Fluidum bei uns nicht tangiert werden.« Das Aarnhoog, was Hochdeutsch Adlerhügel bedeutet, ist selbst für Sylter Verhältnisse superplus. Eines der zehn deutschen Besten in der Kategorie klein aber fein. »Das Geschäft läuft. Vor allem mit den Stammgästen«, sagt Frau Gerds. Allerdings stellt sie für Sylt insgesamt durchaus auch eine Trendwende fest. Das Image von der Insel der Seligen und Reichen würde wohl bleiben, »aber Fernseh-Schickimicki ist hier längst nicht mehr.« Tatsächlich waren Feldbuschs und Bohlens Vorgänger dabei, die Insel zu okkupieren. Und noch heute lockt eine Internet-Werbung damit, dass hier jeder »allseits bekannte Persönlichkeiten wie Wolfgang Joop und Claudia Schiffer« treffen könne. Weitgehend Fehlanzeige. Die Glamour-Leute wichen vor allem zwei Umständen. Zum einen der restriktiven Baugenehmigungs-Politik der Sylter Gemeinderäte, zum anderen der Tatsache, dass hier Grund und Boden längst unter den wirklich Reichen dieser Republik aufgeteilt war. Letzteres hat natürlich mit Geldanlage und Steuerabschreibung zu tun. Aber auch mit Liebhaber- und Mäzenatentum. Ein solcher Insel-Fan ist beispielsweise seit Jahrzehnten Karl-Rudolf Mankel aus Ennepental (Dorma GmbH und Co. KG, Türen und Sicherungssysteme). Er ließ das alte Fährhaus von Munkmarsch wieder spitzenmäßig auf Vordermann bringen und zu einem gastronomischen Kleinod ausbauen. Geprüft wurden die Bauanträge auch bei diesem Sylter »Ferien-Millionär« immerhin von Anfang 1992 bis Ende 1996. Die Gemeinderäte verfahren hier noch nach dem Ratschlag, den der Altonaer Arzt Gustav Ross den Insulanern 1857 zu ihrer ersten Seebad-Gründung mit auf den Weg gegeben hatte: »Im Verkehr mit den Badegästen den eigenen Gesichtskreis erweitern, und von der dargebotenen, gütigen Natur immer das Gute erhalten.« Diese Natur ist der Schatz von Sylt. Möglicherweise ist Rügen bunter und Usedom inzwischen moderner. Aber beide haben eben nicht Ebbe und nicht Flut. Die lassen Sylts Landschaft räumlich in einer Weise atmen, die sich gleichsam ins Seelische überträgt: in ein ganz langsames, beruhigendes wie inspirierendes Pulsieren. Sylt ist sommers als Badeinsel nicht unbedingt Spitze, aber auch da - und um wie viel mehr im Herbst oder im Frühling - werden Strandspaziergänge und -läufe zu Touren, bei denen die Seele baumelt, das Auge satt und das Herz leicht wird. Um schließlich noch einmal auf die Preise zurückzukommen. Sylt dürfte auch mit billigweg.de kein allgemeines Krabbeltisch-Schnäppchen werden. Aber es gibt hier unterhalb von Fünfstern plus eben auch Fremdenzimmer um die 40 Euro die Nacht, die allerdings in der Wohnqualität (im Vergleich mit anderen deutschen Küstenorten) hervorragend sind. Auch die Fahrradausleihe und die Karte in den (normalen) Gaststätten sind preislich Bundesdurchschnitt. Wer nicht gerade mit großer Familie anreist, sollte jedoch aufs Auto verzichten, denn der Autozug über den Hindenburgdamm kostet pro Pkw immerhin 74 Euro extra. Sylt hält auf sich, aber es öffnet sich. Kleines kulturelles Indiz: Der gegenwärtige Inselschreiber heißt Feridun Zaimoglu. Er kam als Kind mit seinen türkischen Eltern nach Deutschland, lebte die letzten 20 Jahren in Kiel und hat es in der deutschen Literaturszene mit »Kanak Sprak« und »Abschaum« bekanntlich richtig krachen lassen. Auch dieser Zaimoglu steht irgendwie für spürbare Wende weg vom Nur-Klatschspalten-Image. Wohingegen sich der fipsig-spießige Autoaufkleber in Inselfo...

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