Mercedes ist nicht nur Waldhüter

ND-Spendenaktion gemeinsam mit SODI, INKOTA und Weltfriedensdienst / Nikaragua-Solidarität heute: Ein vorbildliches Projekt in San Dionisio verbindet Landbau und Ökologie

  • Armin Massing und Peter Steudtner
  • Lesedauer: 6 Min.
In den Bergen der mittelnikaraguanischen Region San Dionisio fristeten tausende Kleinbauern ein armseliges Dasein - bis die einheimische Entwicklungsorganisation ODESAR ihnen eine Perspektive gab: Gestaltung einer vielfältigen Landwirtschaft, eng verzahnt mit Naturschutz und ökologischen Anbaumethoden. Das ostdeutsche INKOTA-netzwerk hilft ihnen dabei.
Mercedes Menchu steht vor seinem Haus und zeigt mit ausgestreckter Hand über die Landschaft. Hier ist seine Heimat: Die Berge der Region San Dionisio mit seinem Dorf Susulí. Soweit das Auge reicht, sind die Hügel mit kleinen Feldern gepflastert. Die Hänge sind so steil, dass es einem unmöglich erscheint, dort etwas anzubauen. Doch überall sieht man Menschen in den Feldern den reifen Mais ernten. Mercedes fragt, ob irgendwo Wald zu sehen ist. Es stimmt, nur an wenigen Stellen ist der urwüchsige Bergwald stehen geblieben. Noch vor 30, 40 Jahren waren fast alle Hänge bewaldet, erzählt er. Dann hielt Brandrodung im großen Stil Einzug. Die so gerodeten Hänge werden durch die andauernde Bestellung mit Mais und Bohnen schneller ausgelaugt. Ebenso bedenklich ist für Mercedes, dass durch die Brandrodung der Grundwasserspiegel sinkt. »Viele Quellen und Brunnen in der Gegend sind versiegt, weil das Regenwasser nicht mehr langsam an den Hängen versickern kann, sondern schnell ins Tal abfließt«, berichtet er. Nicht länger nur Mais und Bohnen Schon seit mehreren Jahren gehört der kleine drahtige Mann mit seiner Familie zu den engagiertesten Akteuren in den Projekten der Organisation für ländliche Entwicklung (ODESAR) in San Dionisio. Zuerst nahm er selbst an Seminaren zu Grundwasserschutz, Wiederaufforstung und ökologischer Landwirtschaft teil. Inzwischen baut er auf eigenem Land vor allem organischen Kaffee zum Verkauf an. Alle Schädlingsbekämpfungsmittel stellt er selbst auf natürlicher Basis her, so dass sie weder die Pflanzen noch die Menschen schädigen. Außerdem wachsen in seinem Garten Mangos, Orangen, Tomaten und manch anderes für den Eigenbedarf. Nach den positiven Erfahrungen der Vorjahre ist Mercedes Menchu überzeugt davon, dass nur eine konsequent nachhaltige Landwirtschaft eine wirkliche Verbesserung der Lebensbedingungen für die Kleinbauern bringen kann. »Früher haben wir hier nur Mais und Bohnen angebaut. Wir waren arm und kannten nichts anderes«, erklärt Mercedes. ODESAR habe sie vom Anbau vieler verschiedener Obst- und Gemüsesorten überzeugt und auch die notwendigen Mittel dafür zur Verfügung gestellt. »Jetzt haben wir hier Bananen, Yuca, Kaffee, Mango und alle möglichen Arten von Pflanzen.« So konnte die Versorgung der bäuerlichen Familien nachhaltig verbessert werden und durch Verkauf auf lokalen Märkten erzielen sie ein bescheidenes Einkommen. Seit kurzer Zeit hat Mercedes auch eine Biogasanlage neben seinem Haus. Als Pilotprojekt hat ODESAR einen Tank gebaut, in dem alle organischen Abfälle des Haushalts entsorgt werden. Das entstehende Gas wird über eine dünne Rohrleitung bis in die dunkle kleine Küche des Hauses geführt, in dem Mercedes mit seiner Frau Dora Amalia, seinen sechs Kindern und seiner Mutter Lucia Matamoro wohnt. Die Umstellung war für die beiden Frauen nicht einfach und noch immer glimmt neben dem zweiflammigen Gaskocher auch ein Holzfeuer für die roten Bohnen und die Tortillas, die zu jeder Mahlzeit gehören. Fast alles andere wird aber auf dem Gaskocher zubereitet. So müssen die Frauen viel weniger Holz sammeln. Seit Mercedes selbst so erfolgreich die Strategien des ODESAR-Projektes umsetzt, unterstützt er auch andere Kleinbauern und -bäuerinnen bei umweltorientierten Veränderungen. Um sie in ihren Bergdörfern zu erreichen, ist er nun zwei bis drei Tage in der Woche zu Fuß unterwegs. Für diese Tätigkeit bildete ihn ODESAR zum ehrenamtlichen Promotoren weiter. Er informiert und berät die Menschen zu den ökologischen Anbaumethoden und agiert als Waldhüter. Auf eine seiner Touren nimmt uns Mercedes mit. Während wir dreieinhalb Stunden auf fast nicht erkennbaren Pfaden durch die Lande laufen, weist Mercedes auf die an einem Hang angelegten »Barreras Muertas« hin: Aus Felsbrocken aufgeschichtete niedrige Wälle, die den Hang horizontal überziehen. Oft mehrere hundert Meter lang, verhindern sie, dass Regenwasser den Hang mit hoher Geschwindigkeit hinunter strömt und so den Boden weiter wegschwemmt. Außerdem ermöglichen sie, dass das Regenwasser von den Böden an den Wällen aufgenommen wird und so dem Grundwasser zugute kommt. Auf dem gegenüberliegenden Hang sieht man das »lebende« Gegenstück dazu: die »Barreras Vivas«. Statt der Steinwälle sind hier Büsche gepflanzt und unterteilen die einzelnen Feldstücke in Terrassen. Neben den Vorteilen der »Barreras Muertas« kommt dabei noch die Verwertbarkeit der Büsche hinzu: in diesem Falle das auch bei uns bekannte Zitronengras. In San Dionisio wird es als Heilpflanze vor allem bei Magen-Darm-Krankheiten genutzt. Am Ende des Marsches erwartet uns Gonjino Candino. Er ist, wie auch Mercedes, offiziell anerkannter Waldhüter. Gonjino legt neue Baumanpflanzungen von einheimischen Bäumen auf nicht genutzten Flächen an. Mit diesem unbezahlten Amt verbindet sich auch die Aufgabe, in der Umgegend seiner Dörfer darauf zu achten, dass keiner mehr Holz schlägt, als zum unmittelbaren Eigenbedarf notwendig ist, oder Brandrodung betreibt. Am wichtigsten ist den Waldhütern dabei die Aufklärungsarbeit. Denn für viele Kleinbauern scheint die Brandrodung zunächst die effektivste Methode, die steilen Hänge zu entwalden und als Felder nutzbar zu machen. »Wir machen ihnen klar, dass sie sich langfristig viel mehr schaden als nutzen«, so Gonjino. Denn die so gewonnenen Felder sind schon nach wenigen Jahren nicht mehr brauchbar, so dass immer wieder neue Flächen benötigt werden. So verschwindet der Wald und der Grundwasserspiegel sinkt ab. Für die Aufklärungsarbeit lässt sich ODESAR ungewöhnliche Formen einfallen: Vor einiger Zeit zog eine Theatergruppe mit einem Stück zum Thema Brandrodung durch die Dörfer. Am Internationalen Tag des Umweltschutzes, dem 5. Juni, wurden überall große Spruchbänder über die Dorfstraßen gehängt. Mittlerweile hat die Arbeit der Promotoren bei vielen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zu einem Bewusstseinswandel geführt. »Hier gibt es Produzenten, die schon seit zwei, drei Jahren keine Brandrodung mehr betreiben, die Techniken zur Konservierung der Böden anwenden und so ihre Erträge steigern konnten«, berichtet Flor Martínez, die Koordinatorin des Projekts. Der Kampf für den Erhalt des Waldes und damit letztlich für das Überleben der Menschen vor Ort ist jedoch alles andere als leicht: Als letztes Mittel gegen die Brandrodung bleibt den Waldhütern nur eine Anzeige bei der Polizei, was kleinere Geldstrafen nach sich ziehen kann. Bis vor einem Jahr hat Mercedes dafür immer wieder Morddrohungen gegen sich und seine Familie erhalten. Nun wird die Arbeit von den Bauern und Bäuerinnen mehr und mehr akzeptiert, weil sie die Vorteile selbst erleben können: Brunnen, die vor ein paar Jahren ausgetrocknet waren, haben jetzt selbst während der Trockenzeit noch Wasser. Wieder üppig bewachsene Berghänge Dank Wiederaufforstung gibt es in einigen Gegenden wieder üppig bewachsene Berghänge, wo zuvor nur noch die großen braunen Flecken der ausgelaugten Böden das Landschaftsbild bestimmten. Doch der illegale Einschlag von Holz droht die Erfolge gegen die Brandrodung wieder zunichte zu machen. Geschäftemacher von außerhalb fällen unerlaubt Bäume und verschwinden mit dem Holz, um es anderswo zu verkaufen. Dabei arbeiten sie mit einigen wohlhabenden Familien in San Dionisio zusammen, die einen Teil des Profits kassieren. Nur durch einen Ausbau des Netzes der Waldhüter und Promotoren kann dem wirksam begegnet werden. »ODESAR ist wirklich die einzige Organisation, die hierher gekommen ist, um gerade auch den Ärmsten zu helfen und ihre Versorgung zu verbessern. Die Hilfe und die Anregungen, die sie bringen, sind für uns sehr kostbar«, sagt Mercedes. Diese Arbeit kann ODESAR jedoch nur mit der finanziellen Unterstützung ausländischer Organisationen wie INKOTA machen. Dafür sind weiterhin Spenden dringend notwendig.
Die ND-Spendenaktion »Drei Kontinente« erbrachte bisher über 7000 Euro. Ausführliche Informationen über die Aktion auf der ND-Webseite www.nd-online.de. Anfragen dazu an ND, die drei Organisationen oder per E-Mail unter 3kontinente@inkota.de. Spendenbescheinigungen werden nach Abschluss auf Anfrage zugeschickt.
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